Ein paar hundert Meter weiter fand er einen in den Wald führenden Weg. Er war mit einem quer über zwei Pfosten gelegten Balken, an dem ein Schild mit der Aufschrift »Chasse Privee« hing, zur Straße hin versperrt.
Der Schakal hob den Balken ab, lenkte den Wagen auf den Weg und legte den Balken wieder auf seinen Platz.
Etwa achthundert Meter weit fuhr er auf dem Pfad in den Wald hinein, während die knorrigbizarren Silhouetten der Bäume, deren Äste wie die knochigen Arme von Gespenstern nach dem Eindringling zu greifen schienen, von den Scheinwerfern des Wagens angeleuchtet wurden. Schließlich stoppte er, schaltete das Licht aus und entnahm dem Handschuhfach Stahlschere und Taschenlampe. Auf dem Rücken liegend, verbachte er eine Stunde unter dem Wagen, und der betaute Waldboden durchnäßte sein Hemd. Dann waren die das zerlegte Scharfschützengewehr enthaltenden Stahlröhren, die er vor sechzig Stunden mit Lötdraht in ihrem Versteck befestigt hatte, vom Chassis gelöst, und er packte sie in den Koffer mit den alten Kleidungsstücken und dem Armeemantel. Er betrachtete den Wagen ein letztes Mal prüfend von allen Seiten, um sicherzugehen, daß nichts mehr darin verblieben war, was demjenigen, der ihn entdecken würde, auch nur den geringsten Hinweis auf den Fahrer hätte geben können, und steuerte ihn dann mitten in eine nahe Gruppe dichter wilder Rhododendronbüsche hinein.
Dann schnitt er mit der Stahlschere Äste von weiteren Rhododendronbüschen ab und steckte sie überall dort, wo der Alfa das Geäst geknickt hatte, in den Boden. Nach einer Stunde war der kleine Wagen gänzlich der Sicht entzogen.
Er knotete ein Ende seiner Krawatte am Handgriff eines Koffer fest und das andere an dem zweiten. Auf diese Weise konnte er, indem er sich die Krawatte über die Schulter hängte, so daß er ein Gepäckstück vor der Brust und das andere auf dem Rücken trug, in jeder Hand einen der beiden restlichen Koffer schleppen und den Rückmarsch zur Straße antreten.
Alle hundert Meter stellte er das Gepäck ab, ging zurück, um mit einem Rhododendronzweig die leichten Spuren zu verwischen, die der Alfa auf dem moosigen Waldboden hinterlassen hatte. Es dauerte eine weitere Stunde, bis er die Straße erreicht hatte, unter dem Schlagbaum hindurchgekrochen war und sich einen Kilometer vom Eingang zum Wald entfernt hatte.
Sein karierter Anzug war von Erde und Öl beschmutzt, der seidene Rollkragenpullover klebte ihm am Rücken und unter den Armen feucht auf der Haut, und er glaubte, seine Muskeln würden nie wieder zu schmerzen aufhören. Er stellte die Gepäckstücke ab, setzte sich auf einen der Koffer und begann zu warten, während der Himmel im Osten langsam heller wurde. Überlandbusse, sagte er sich, starten ja früh.
Er hatte tatsächlich Glück. Ein Traktor, der mit einem Anhänger voll Heu nach Egletons unterwegs war, hielt an.
«Autopanne?«fragte der Fahrer.
«Nein. Ich habe Wochenendurlaub bis Montag früh zum Wecken und will per Anhalter nach Hause. Bin letzte Nacht bis Ussel gekommen und wollte weiter nach Tülle. Da habe ich einen Onkel, der mich im Lastwagen bis Bordeaux mitnehmen kann. Weiter als bis hierher bin ich nicht gekommen. «Er grinste den Fahrer an, der lachend mit den Achseln zuckte.
«Verrückt, nachts in dieser Gegend herumzumarschieren. Nach Dunkelwerden fährt kein Mensch mehr auf dieser Strecke. Klettern Sie auf den Anhänger. Ich bringe Sie bis Egletons, und Sie können versuchen, von da aus weiterzukommen.«
Um Viertel vor sieben rollten sie in die kleine Stadt. Der Schakal dankte dem Bauern, ging um den Bahnhof herum und betrat ein Cafe.
«Gibt es ein Taxi in der Stadt?«fragte er den Mann hinter der Theke.
Der Mann nannte ihm die Telephonnummer, und er rief den Droschkenbetrieb an. Es gab einen Wagen, erfuhr er, der in einer halben Stunde vorfahren könne. Der Schakal benutzte die Wartezeit, um sich in der Herrentoilette des Cafes das Gesicht und die Hände mit kaltem Wasser zu waschen, die Zähne zu putzen und den Anzug zu wechseln.
Das Taxi — ein klappriger alter Renault — kam um 7 Uhr 30.»Kennen Sie das Dorf La Haute Chalonniere?«fragte er den Fahrer,»'türlich.«»Wie weit?«
«Achtzehn Kilometer. «Der Mann deutete mit dem Daumen zum Gebirge hinüber.»Ist da drüben in den Bergen.«
«Fahren Sie mich hin«, sagte der Schakal und hievte sein Gepäck mit Ausnahme eines Koffers, den er mit sich in den Wagen nahm, in die Gepäckablage auf dem Autodach.
Er bestand darauf, sich vor dem Cafe de la Poste auf dem Dorfplatz absetzen zu lassen. Der Taxifahrer aus der nahen Kleinstadt brauchte nicht zu erfahren, daß er zum Chateau wollte. Als das Taxi weggefahren war, schaffte er seine Koffer in das Cafe. Draußen auf dem Dorfplatz, wo zwei vor einen Heuwagen gespannte Ochsen nachdenklich wiederkäuten, während fette schwarze Fliegen ihre sanft dreinblickenden Augen umschwirrten, begann es bereits glühend heiß zu werden.
Im Cafe war es dunkel und kühl. Der Schakal bemerkte, daß sich die Leute an den Tischen nach ihm umwandten. Eine bäuerlich aussehende alte Frau in einem schwarzen Kleid, die eine Gruppe von Landarbeitern bedient hatte, klapperte in Holzpantinen über den Fliesenboden und trat hinter die Theke.»Monsieur?«krächzte sie. Er stellte seine Gepäckstücke ab und beugte sich über die Theke. Die Eingesessenen, das hatte er bemerkt, tranken Rotwein.
«Un gros rouge, s'il vousplatt, madame.«
«Wie weit ist es bis zum Schloß, Madame?«fragte er, als die Frau ihm den Wein eingoß. Sie sah ihn mit ihren listigen schwarzen Knopfaugen scharf an.
«Zwei Kilometer, Monsieur.«
Er seufzte müde.»Dieser Idiot von einem Taxifahrer hat mir doch einzureden versucht, hier gäbe es kein Schloß, und mich auf dem Marktplatz abgesetzt.«
«War er aus Egletons?«fragte sie. Der Schakal nickte.
«Die Leute in Egletons sind Narren«, bemerkte sie.
«Ich muß zum Chateau«, sagte er.
Keiner der Bauern, die rundum an den Tischen saßen und unverwandt herüberblickten, rührte sich. Er zog einen Hundertfrancschein aus der Tasche.
«Wieviel macht der Wein, Madame?«
Die alte Frau betrachtete den Schein mißtrauisch.
«Soviel kann ich nicht wechseln«, sagte sie.
Erhob ratlos die Schultern.»Wenn doch nur jemand mit einem Wagen da wäre, würde der vielleicht auch wechseln können«, sagte er.
Einer der Bauern stand auf und trat an ihn heran.
«Es gibt einen Wagen im Dorf, Monsieur«, sagte er.
Der Schakal drehte sich in gespielter Überraschung um.
«Gehört er Ihnen, mon ami?«
«Nein, Monsieur, aber ich kenne den Mann, dem er gehört. Vielleicht fährt er Sie hinauf.«
Der Schakal nickte nachdenklich, als erwäge er die Vorzüge des Angebots.
«Was trinken Sie inzwischen?«
Der Bauer gab der alten Frau einen Wink. Sie goß ihm ein großes Glas Rotwein ein.
«Und Ihre Freunde? Es ist ein heißer Tag. Ein Tag, der durstig macht.«
Das bartstoppelige Gesicht des Bauern verzog sich zu einem breiten Lächeln. Er nickte der alten Frau nochmals zu, die daraufhin zwei volle Flaschen zu der an dem großen Tisch sitzenden Gruppe hinübertrug.
«Benoit, geh und bring den Wagen her«, befahl der Bauer, und einer der Männer leerte sein Glas in einem Zug und ging hinaus.
Der Vorzug des Landvolks der Auvergne, dachte der Schakal, als er auf dem ratternden und schaukelnden Gefährt die letzten beiden Kilometer zum Schloß hinauf zurücklegte, besteht darin, daß es viel zu abweisend und verschlossen ist, um nicht seinen verdammten Mund zu halten — zumindest Fremden gegenüber.
Colette de la Chalonniere hatte sich im Bett aufgesetzt, um ihren Morgenkaffee auszutrinken und den Brief nochmals zu lesen. Der Ärger, der sie bei dessen erster Lektüre überkommen hatte, war einem verdrossenen Abscheu gewichen.