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Es war ihm zunächst gar nicht aufgefallen, aber als er jetzt an seiner Zigarette zog, kam es ihm zum Bewußtsein. Kurze Zeit nachdem er den Hörer aufgenommen hatte, war ein leises Klicken in der Leitung vernehmbar gewesen. Bei den Telephongesprächen der letzten drei Tage hatte er nichts dergleichen gehört. In Colettes Zimmer gab es zwar einen Nebenanschluß, aber sie hatte bestimmt ganz fest geschlafen, als er aufstand. Bestimmt… Er drückte die Zigarette aus und warf den Stummel zum offenen Fenster auf den Kiesboden hinaus. Dann drehte er sich abrupt um, rannte lautlos auf bloßen Füßen die Treppe hinauf und stürmte ins Schlafzimmer. Der Telephonhörer war auf die Gabel zurückgelegt worden. Der Garderobenschrank stand offen, die drei geöffneten Koffer und sein Schlüsselring lagen auf dem Fußboden. Die Baronin hockte inmitten des Durcheinanders auf den Knien und starrte ihn mit weitaufgerissenen Augen an. Um sie herum lag eine Anzahl schlanker Stahlröhren, deren zum Verschluß der offenen Enden bestimmte Kappen abgenommen worden waren. Aus einer der Röhren ragte das Zielfernrohr heraus, aus einer anderen die Mündung des Schalldämpfers. Sie hielt etwas in den Händen — etwas, das sie voll Schrecken angestarrt hatte, als er eintrat.

Sekundenlang blieben beide stumm. Der Schakal faßte sich zuerst.»Du hast mitgehört.«

«Ich — ich wollte wissen, mit wem du jeden Morgen telephonierst.«

«Ich dachte, du schläfst.«

«Nein. Ich werde immer wach, wenn du aufstehst. Dieses… Ding- das ist ein Gewehr, eine Mordwaffe.«

Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, und doch drückte sich darin die unsinnige Hoffnung aus, er könne erklären, daß es sich um etwas anderes, etwas ganz Harmloses handele. Er sah auf sie hinunter, und zum erstenmal bemerkte sie, daß sich die grauen Flecken in seinen Augen vermehrt und deren Ausdruck wie mit einem wolkigen Schleier überzogen hatten. Sein Blick war kalt und leblos geworden, und sie hatte das Gefühl, als starre eine Maschine sie an.

Sie richtete sich zögernd auf und ließ den Gewehrlauf scheppernd zu Boden fallen.

«Du willst ihn umbringen«, flüsterte sie.»Du bist einer von den OAS-Leuten. Du brauchst dies hier, um de Gaulle damit zu töten.«

Daß er ihr nicht antwortete, war Antwort genug. Sie wollte zur Tür stürzen. Er fing sie mühelos ein und schleuderte sie quer durch den Raum, setzte ihr mit drei raschen Schritten nach und warf sie aufs Bett. Auf das zerwühlte Laken gestreckt, öffnete sie den Mund, um zu schreien. Ein Hieb mit dem Handrücken auf die Halsschlagader würgte den Schrei ab, noch bevor er aus ihrem Mund gedrungen war. Dann packte der Schakal mit seiner Linken ihr Haar und drehte ihr den Kopf mit dem Gesicht nach unten über die Bettkante. Ein Ausschnitt aus dem Teppichmuster war das letzte, was sie wahrnahm, bevor der Handkantenschlag mit voller Wucht auf ihren Nacken niederfuhr.

Der Schakal ging zur Tür, um zu lauschen, aber von unten drang kein Laut herauf. Ernestine war vermutlich in der im hinteren Teil des Schlosses gelegenen Küche, um das Frühstück zu richten, und Louison würde sich in Kürze auf den Weg zum Markt machen. Glücklicherweise waren beide ziemlich schwerhörig.

Er steckte die Einzelteile des Gewehrs wieder in die Stahlrohre zurück, packte diese in den dritten Koffer mit dem Armeemantel und den ungereinigten Kleidungsstücken Andre Martins und tastete das Kofferfutter nach den Papieren ab, um sicherzugehen, daß sie sich noch an ihrem Platz befanden. Dann schloß er den

Koffer zu. Der zweite Koffer, der die Garderobe des dänischen Pastors Per Jensen enthielt, war geöffnet, aber nicht durchwühlt worden.

Er brauchte fünf Minuten, um sich in dem ans Schlafzimmer angrenzenden Bad zu waschen und zu rasieren. Anschließend nahm er seine Schere zur Hand und verbrachte weitere zehn Minuten damit, sein langes blondes Haar sorgfältig hochzukämmen und es gute fünf Zentimeter kürzer zu schneiden. Alsdann bürstete er genügend Färbemittel hinein, um ihm die eisengraue Haarfarbe eines älteren Mannes zu verleihen. Die Feuchtigkeit des Färbemittels erlaubte es ihm schließlich, es genau in der Weise zu bürsten, wie es auf dem Photo in Pastor Jensens Paß, den er vor sich auf das Bord über dem Waschbecken gelegt hatte, zu sehen war. Zu guter Letzt setzte er sich die Kontaktlinsen ein.

Er spülte alle Spuren des Färbemittels fort, wischte das Waschbecken sorgfältig aus, nahm sein Rasierzeug und kehrte ins Schlafzimmer zurück. Der nackten Leiche auf dem Bett gönnte er keinen weiteren Blick.

Er zog sich die Socken, das Hemd, die Hose und die Weste an, die er in Kopenhagen gekauft hatte, legte den steifen weißen Priesterkragen um und band sich das schwarze Plastron. Schließlich schlüpfte er in die festen schwarzen Schuhe und zog sich die schwarze Anzugjacke über. Er steckte die goldgeränderte Brille in die Brusttasche, packte sein Wasch-und Rasierzeug in die Reisetasche und legte auch das dänische Buch über die französischen Kathedralen dazu. Der Paß des Dänen wanderte in die innere Anzugtasche, ein Bündel Banknoten desgleichen. Seine englischen Kleidungsstücke legte er in den Koffer, aus dem er sie entnommen hatte, und schloß auch diesen ab.

Inzwischen war es fast 8 Uhr geworden, und Ernestine konnte jeden Augenblick mit dem Morgenkaffee kommen. Die Baronin hatte versucht, ihre Affäre vor den Dienstboten zu verheimlichen, denn beide waren in den Baron vernarrt gewesen, als er noch ein kleiner Junge war, und auch dem späteren Schloßherrn rückhaltlos ergeben.

Vom Fenster aus sah der Schakal Louison den breiten Pfad, der zum Portal des Anwesens führte, hinunterradeln, während der leichte Einkaufsanhänger hüpfend hinter dem Rad herrollte. Im gleichen Augenblick hörte er Ernestine an die Tür klopfen. Er gab keinen Laut von sich. Sie pochte nochmals.»Ya vot', cafe, ma-dame«, kreischte sie durch die verschlossene Tür. Der Schakal überlegte kurz und rief dann mit verschlafener Stimme auf französisch:

«Stellen Sie ihn nur ab, wir holen ihn uns, wenn wir soweit sind. «Ernestine sagte nur:»Oh. «Skandalös! Dahin war es also gekommen — und das im Schlafzimmer des Schloßherrn! Sie eilte die Treppe hinab, um Louison von ihrer Entdeckung zu unterrichten, aber da er fortgefahren war, mußte sie sich damit begnügen, dem Küchenausguß über die moralische Verkommenheit der Menschen heutzutage, die so ganz anders waren als zu Zeiten des alten Barons, eine längere Predigt zu halten. So konnte sie auch nicht das dumpfe Poltern hören, mit dem vier an zusammengeknoteten Bettlaken aus dem Fenster herabgelassene Gepäckstücke in dem Blumenbeet vor der Schloßfront aufschlugen.

Sie ahnte nicht, daß auf dem Bett im Stockwerk über ihr der leblose Körper ihrer Herrin zu einer täuschend lebensecht wirkenden Schlummerpose arrangiert und der Toten die Bettdecke bis unters Kinn hinaufgezogen wurde. Sie hörte weder das Geräusch, mit dem der draußen auf dem Gesims hockende grauhaarige Mann den Fensterflügel hinter sich zuzog, noch den gedämpften Aufprall, als er mit einem Sprung auf dem Rasen landete.

Was sie hörte, war das Brummen des Motors, als in dem zur Garage umgebauten Pferdestall neben dem Schloß Madames Renault angelassen wurde. Durchs Küchenfenster konnte sie den Wagen gerade noch um die Ecke biegen und über den vorderen Schloßhof die Auffahrt hinunterjagen sehen.

«Na, was die nur jetzt wieder vorhaben mag?«murmelte sie kopfschüttelnd und stieg neuerlich die Treppe hinauf. Der Kaffee auf dem vor der Schlafzimmertür abgestellten Tablett war noch lauwarm und unberührt. Nachdem sie ein paarmal geklopft hatte, versuchte sie die Tür zu öffnen. Sie war abgeschlossen, und die Tür zum Gästezimmer ebenfalls. Niemand antwortete ihr. Ernestine fand, daß hier außergewöhnliche Dinge vor sich gingen, Dinge von der Art, wie sie sich seit den Tagen, da sich die Boches als Dauergäste im Schloß einquartiert und dem Baron die verrücktesten Fragen nach dem jungen Herrn gestellt hatten, nicht mehr passiert waren.