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Dr. Meigs spitzte die Lippen. »Sie müssen es zumindest versuchen.« Umständlich erklärte er Shaman, wie er sich das Instrument ans Ohr zu halten habe. Aber Shaman konnte nur den Kopf schütteln. »Es tut mir leid«, sagte Professor Meigs.

Eine Prüfung in medizinischer Praxis stand bevor. Dabei musste jeder Student einen Patienten mit einem Stethoskop untersuchen und eine Diagnose abgeben. Es war klar, dass Shaman diese Prüfung nicht würde bestehen können.

An einem kalten Morgen brach er, dick eingepackt in Mantel, Schal und Handschuhe, zu einem längeren Spaziergang auf. An einer Ecke verkaufte ein Junge Zeitungen, die von Lincolns Amtseinsetzung berichteten.

Tief in Gedanken versunken, ging Shaman zum Fluss hinunter und an den Piers entlang.

Nach seiner Rückkehr ging er ins Krankenhaus und musterte das Pflegepersonal auf den Stationen. Es waren überwiegend Männer und viele davon Säufer, die es ins Krankenhaus verschlagen hatte, weil hier keine großen Ansprüche an sie gestellt wurden. Er konzentrierte sich auf die, die einen nüchternen und intelligenten Eindruck machten, und entschied sich schließlich für einen Mann namens Jim Halleck. Er wartete, bis der Pfleger einen Armvoll Holz in den Krankensaal getragen und neben dem dickbäuchigen Ofen auf den Boden geworfen hatte, und sprach ihn dann an. »Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen, Mr. Halleck.«

Am Prüfungsnachmittag waren sowohl Dr. McGowan wie Dr. Berwyn im allgemeinmedizinischen Behandlungsraum anwesend, was Shamans Nervosität noch erhöhte. Dr. Meigs prüfte die Kandidaten in alphabetischer Reihenfolge. Shaman war der dritte, nach Allard und Bronson. Israel Allard hatte keine Probleme; seine Patientin war eine junge Frau mit einem Rückenleiden, deren Herztöne stark, regelmäßig und unkompliziert waren. Clark Bronson erhielt einen älteren, asthmatischen Mann zur Untersuchung. Stotternd und unsicher beschrieb er die Rasselgeräusche in der Brust des Patienten. Meigs musste ihm mehrere hinführende Fragen stellen, bis er die Antwort bekam, die er hören wollte, doch am Ende schien er zufrieden. »Mr. Cole?«

Es war offensichtlich, dass er von Shaman eine Verweigerung der Teilnahme erwartete. Aber Shaman trat vor und nahm das einohrige Stethoskop entgegen. Als er zu Jim Halleck hinüberblickte, stand der Pfleger auf und kam zu ihm. Der Patient war ein sechzehnjähriger Junge von kräftiger Statur, der sich in einer Schreinerwerkstatt die Hand verletzt hatte. Halleck hielt das eine Ende des Stethoskops an die Brust des Jungen und legte sein Ohr ans andere Ende. Shaman nahm das Handgelenk des Patienten und fühlte dessen Puls unter seinen Fingerspitzen klopfen.

»Der Herzschlag des Patienten ist normal und regelmäßig. Achtundsiebzig Schläge pro Minute«, sagte er nach einer Weile. Dann sah er den Pfleger fragend an, der nur leicht den Kopf schüttelte. »Keine Rasselgeräusche«, sagte Shaman.

»Was soll denn dieses... Theater?« fragte Dr. Meigs. »Was hat Jim Halleck hier zu suchen?«

»Mr. Halleck ersetzt mir meine Ohren, Sir«, sagte Shaman und hatte dabei das Pech, das breite Grinsen auf den Gesichtern einiger Studenten zu bemerken.

Dr. Meigs grinste nicht. »Ich verstehe. Er ersetzt Ihre Ohren. Werden Sie denn Mr. Halleck heiraten, Mr. Cole, um ihn zu allen Behandlungen mitnehmen zu können?«

»Nein, Sir.«

»Werden Sie dann andere Leute bitten, Ihnen die Ohren zu ersetzen?«

»Vielleicht werde ich das, hin und wieder.«

»Und wenn Sie als Arzt zu jemandem kommen, der Ihre Hilfe braucht, und Sie sind ganz allein, nur Sie und der Patient?«

»Ich kann den Herzschlag anhand des Pulses feststellen«, Shaman legte zwei Finger auf die Halsschlagader an der Kehle des Patienten, »und spüren, ob er normal, unregelmäßig oder schwach ist.« Er spreizte die Finger und legte sie dem Jungen auf die Brust. »Ich kann die Atmungsrate spüren. Und die Haut sehen und sie berühren, um festzustellen, ob sie fiebrig oder kühl ist, feucht oder trocken. Ich kann die Augen sehen. Wenn der Patient wach ist, kann ich mit ihm sprechen, und ob er nun bei Bewusstsein ist oder nicht, kann ich die Konsistenz seines Sputums feststellen und die Farbe seines Urins sehen und ihn riechen, ja, ihn sogar kosten, wenn ich muss.« Er sah dem Gesicht des Professors den Einwurf an, den dieser gleich machen würde, und er nahm ihn vorweg:

»Aber ich werde nie in der Lage sein, die Rasselgeräusche in der Brust zu hören.«

»Nein, das werden Sie nicht.«

»Für mich werden Rasselgeräusche kein Warnsignal sein. Wenn ich das Frühstadium kruppöser Atmung sehe, weiß ich, dass die Rasselgeräusche in der Brust, könnte ich sie hören, knisternd klingen müssten. Wenn der Patient deutlich kruppös atmet, weiß ich, dass ein feuchtsprudelndes Rasseln zu hören wäre. Und wenn Asthma oder eine Infektion der Bronchien vorliegt, weiß ich, dass es zischendes Rasseln sein muss.« Er hielt inne und sah Dr. Meigs direkt an. »Gegen meine Taubheit kann ich nichts tun. Die Natur hat mich eines wertvollen diagnostischen Hilfsmittels beraubt, aber ich habe noch andere Sinne. In einem Notfall würde ich alles für einen Patienten tun, was ich mit meinen Augen, meiner Nase, meinem Mund, meinen Fingern und mit meinem Verstand für den Patienten tun kann.« Das war nicht die bescheiden-respektvolle Antwort, die Dr. Meigs von einem Studenten im ersten Jahr erwartet hätte, und seinem Gesicht war die Verärgerung anzusehen. Dr.

McGowan trat zu ihm, beugte sich über seinen Stuhl und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Kurz darauf wandte Dr.

Meigs sich wieder Shaman zu. »Es wurde vorgeschlagen, dass wir Sie beim Wort nehmen und Sie einen Patienten ohne Stethoskop untersuchen lassen. Ich bin bereit dazu, wenn Sie einverstanden sind.«

Shaman nickte, obwohl ihm das Herz in die Hose rutschte. Der Professor führte sie in einen nahe gelegenen Krankensaal, wo er vor einem Patienten stehenblieb, dessen Karte am Fuß des Bettes ihn als Arthur Herrenshaw auswies. »Bitte, untersuchen Sie diesen Patienten, Mr. Cole!«

Shaman sah schon Arthur Herrenshaws Augen an, dass der Mann in ernster Gefahr war. Er zog die Bettdecke zurück und hob das Nachthemd hoch. Der Körper des Patienten wirkte extrem fett, doch als Shaman eine Hand auf Mr. Herrenshaws Bauch legte, war es, als berühre er aufgequollenen Hefeteig. Vom Hals, an dem herausstehende Adern pulsierten, bis zu den formlosen Knöcheln war das geschwollene Gewebe angefüllt mit Flüssigkeit. Das Atmen machte dem Patienten große Mühe. »Wie geht es Ihnen heute, Mr. Herrenshaw?«

Er musste die Frage mit lauterer Stimme wiederholen, bevor der Patient mit einem schwachen Kopfschütteln antwortete. »Wie alt sind Sie, Sir?«

»... Ich... zweiund... fünfzig.« Der Patient keuchte schwer zwischen den einzelnen Silben, wie ein Mann, der eine lange Strecke gelaufen ist. »Haben Sie Schmerzen... Sir? Haben Sie Schmerzen?«

»Oh...«, sagte der Patient und legte die Hand auf das Brustbein. Shaman sah, dass er versuchte, sich aufzurichten. »Wollen Sie sich aufsetzen?« Er half ihm und stützte ihn mit Kissen ab. Mr. Herrenshaw schwitzte stark, zitterte aber gleichzeitig. Die einzige Wärmequelle in diesem Teil des Krankensaals war ein großes, schwarzes Ofenrohr, das, von dem Holzofen am anderen Ende kommend, entlang der Mitte der Saaldecke verlief. Shaman zog Mr. Herrenshaw die Bettdecke über die Schultern. Er holte seine Uhr aus der Tasche. Als er den Puls des Patienten maß, war es, als gehe plötzlich der Sekundenzeiger langsamer. Der Puls war schwach, fadenförmig und unglaublich schnell wie das verzweifelt hastende Trappeln eines kleinen Tieres auf der Flucht vor einem Räuber. Shaman konnte kaum schnell genug zählen. Das Tier wurde langsamer, blieb stehen, machte ein paar langsame Sprünge und fing dann wieder an zu rennen. Shaman wusste, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war, an dem Dr. Meigs das Stethoskop benutzen würde. Er konnte sich die interessanten, tragischen Geräusche vorstellen, die Geräusche eines Mannes, der in seiner eigenen Körperflüssigkeit ertrinkt. Er nahm Mr.