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Rob J. erkannte bald, dass in einigen Fällen eine sofortige Amputation unumgänglich war.

Die Freiwilligen waren eifrig, aber unerfahren: Buchhalter, Lehrer und Stallburschen, die sich nun mit Blut, Schmerz und Tragödien konfrontiert sahen, die sie sich in ihren schlimmsten Träumen nicht ausgemalt hatten.

Rob J. versammelt einige von ihnen als Helfer um sich und wies die übrigen an, Sprague dabei zu unterstützen, Verbände zu erneuern, Kompressen zu wechseln, den Durstigen Wasser zu bringen und diejenigen, die auf dem Deck lagen, so gut es ging, mit allen verfügbaren Decken und Mänteln gegen den eisigen Regen zu schützen.

Rob J. wäre es am liebsten gewesen, die Verwundeten der Reihe nach zu untersuchen, aber dazu kam er nicht.

Statt dessen eilte er von Patient zu Patient, sobald ihm mitgeteilt wurde, dass es um den Entsprechenden

»schlecht« stand. Theoretisch hätte es um keinen der Männer, die an Bord der War Hawk waren, so »schlecht stehen« dürfen, dass er die Reise nicht überstanden hätte, doch schon kurz nach der Abfahrt starben mehrere.

Rob J. ließ die Kabine des Zweiten Maats räumen und begann dort im Licht von vier Laternen zu amputieren.

Schon in der ersten Nacht entfernte er vierzehn Gliedmaßen. Viele Verwundete waren bereits amputiert worden, bevor sie an Bord gekommen waren, und als er diese untersuchte, stellte er bestürzt fest, wie unsachgemäß der Eingriff meistens durchgeführt worden war. Ein neunzehnjähriger Junge namens Peter hatte sein rechtes Bein bis zum Knie, sein linkes Bein bis zur Hüfte und seinen rechten Arm zur Gänze eingebüßt. Irgendwann während der Nacht begann der linke Beinstumpf zu bluten. Vielleicht hatte er aber auch schon geblutet, als der Junge an Bord kam. Er gehörte zu den ersten Toten.

»Papa, ich habe es versucht«, schluchzte ein Soldat mit langen, goldblonden Haaren und einem Loch im Rücken, aus dem die Wirbelsäule weiß wie eine Forellengräte hervorschimmerte. »Ich habe es wirklich versucht.«

»Ja, das hast du. Du bist ein guter Sohn.« Rob J. streichelte ihm über den Kopf.

Manche schrien, manche hüllten sich in Schweigen wie in eine Rüstung, manche weinten und stammelten wirres Zeug. Mit der Zeit setzte Rob J. den Hergang der Schlacht aus den Mosaiksteinen all ihrer schrecklichen Erlebnisse zusammen. Grant hatte mit zweiundvierzigtausend Mann bei Pittsburg Landing auf General Don Carlos Buells Truppen gewartet. Beauregard und Albert Johnston beschlossen, Grant zu erledigen, bevor Buell eintraf, und so fielen vierzigtausend Konföderierte über die biwakierenden Unionstruppen her. Grants vorderste Linie wurde an beiden Flügeln zurückgedrängt, aber die Mitte - bestehend aus Soldaten aus Iowa und Illinois -

hielt dem Gemetzel stand.

Die Rebellen hatten am Sonntag viele Gefangene gemacht. Die Unionsstreitkraft wurde zum Fluss zurückgetrieben und dort ins Wasser, wo das gegenüberliegende Steilufer einen weiteren Rückzug unmöglich machte. Doch am Montagmorgen, als die Konföderierten »reinen Tisch« machen wollten, tauchten plötzlich aus dem Nebel Boote auf- mit zwanzigtausend Mann Verstärkung von Buell -, und das Blatt wendete sich. Am Ende dieses wilden Kampftages zogen sich die Südstaatler nach Corinth zurück. Als die Dämmerung hereinbrach, war das Schlachtfeld, so weit das Auge vom Turm der Shiloh Church aus reichte, mit Leichen übersät. Nur wenige der Verwundeten wurden geborgen und auf Schiffe gebracht.

Am Morgen glitt die War Hawk an Wäldern vorbei, deren Bäume junge, hellgrüne Blätter und dicke Mistelkugeln trugen, an sprießenden Feldern und dann und wann an einem Pfirsichhain in weißer Blütenpracht.

Doch Rob J. sah von alledem nichts. Der Kapitän hatte vorgehabt, nur am Vormittag in einer Stadt anzulegen, um den Holzvorrat aufzufüllen. Während dieser Zeit sollten die Freiwilligen an Land gehen und so viel Wasser und Lebensmittel beschaffen wie möglich. Aber Rob J. und Jim Sprague überredeten ihn dazu, auch mittags haltzumachen und nachmittags noch einmal, denn das Wasser war sehr schnell verbraucht. Die Verwundeten hatten Durst.

Zur Rob J.’s Verzweiflung schafften es die Freiwilligen nicht, hygienische Zustände zu schaffen. Viele der Soldaten hatten schon vor ihrer Verwundung an Ruhr gelitten. Die Männer entleerten Blase und Darm, wo sie lagen, und es war unmöglich, sie zu säubern. Es gab keine Ersatzkleidung, und so klebten die Exkremente an ihren Körpern, während sie im kalten Regen lagen. Die Pfleger verbrachten den größten Teil ihrer Zeit damit, heiße Suppe zu verteilen.

Am zweiten Nachmittag hörte der Regen auf, und die Sonne brach durch die Wolken. Rob J. begrüßte die Wärme mit großer Erleichterung, doch der Dunst, der nun entstand, verstärkte den Geruch, der von den Decks und den Menschen ausging, um ein Vielfaches. Der Gestank war fast greifbar. Manchmal, wenn das Schiff anlegte, kamen patriotische Bürger mit Decken, Wasser und Lebensmitteln an Bord. Sie blinzelten, Tränen traten ihnen in die Augen, und sie flüchteten so schnell wie möglich wieder an Land. Rob J. ertappte sich bei dem Wunsch, ein paar Fässer von Dr. Akersons Chlorwasserstoff zur Verfügung zu haben.

Männer starben und wurden in Laken eingenäht, die vor Dreck standen. Rob J. amputierte noch in einem Dutzend weiterer Fälle, die unaufschiebbar waren, und als sie ihr Ziel erreichten, befanden sich unter den achtunddreißig Toten acht, die er operiert hatte. Sie legten früh am Dienstagmorgen in Cincinnati an. Rob J.

hatte dreieinhalb Tage nicht geschlafen und so gut wie nichts gegessen. Plötzlich ohne Aufgabe, stand er auf dem Pier und sah zu, wie andere die Patienten in Gruppen aufteilten, die zu den verschiedenen Krankenhäusern gebracht wurden. Als ein Karren für das Southwestern Ohio Hospital mit Verwundeten beladen wurde, kletterte Rob J. hinauf und setzte sich zwischen zwei Tragbahren auf den Boden. Als die Patienten ausgeladen wurden, wanderte er durch das Hospital- sehr langsam, denn die Luft in Cincinnati schien so dick wie Pudding zu sein.

Das Personal musterte den unrasierten Riesen, von dem ein intensiver Gestank ausging, mit scheelen Blicken.

Als ein Pfleger ihn anfuhr, was er hier zu suchen habe, fragte er nach Shaman. Er wurde zu einem kleinen Balkon geführt, von dem aus man in den Operationssaal hinunterschauen konnte. Man hatte bereits begonnen, die Patienten von der War Hawk zu operieren. Vier Männer standen um einen Tisch, und Rob J. sah, dass einer von ihnen Shaman war. Eine kurze Weile sah er ihnen bei ihrer Arbeit zu, dann überschwemmte ihn eine warme Woge der Müdigkeit, und er ließ sich von ihr davontragen.

Später erinnerte er sich nicht daran, dass er aus dem Krankenhaus in Shamans Zimmer gebracht und ausgezogen worden war. Den Rest des Tages und die ganze Nacht schlief er, ohne es zu wissen, im Bett seines Sohnes. Als Rob J. aufwachte, war es Mittwoch, und die Welt glänzte in strahlendem Sonnenschein. Während er sich rasierte und ein Bad nahm, brachte Shamans Freund, ein hilfsbereiter junger Mann namens Cooke, Rob J.’s Sachen aus der Krankenhauswäscherei, wo sie ausgekocht und gebügelt worden waren, und dann ging er, den Sohn holen.

Shaman war schmaler geworden, machte jedoch einen gesunden Eindruck.

»Hast du etwas von Alex gehört?« fragte er sofort nach der Begrüßung. »Nein.«

Shaman nickte. Er führte Rob J. in ein Wirtshaus, das ein Stück vom Krankenhaus entfernt lag, damit sie ungestört waren. Sie aßen eine ausgiebige Mahlzeit, die aus Eiern, Kartoffeln und einem großen Stück Fleisch bestand, und tranken einen dünnen Kaffee, der zum Großteil aus getrockneter Zichorie gebraut worden war.

Shaman ließ seinem Vater Zeit, den ersten heißen, bitteren Schluck zu trinken, ehe er begann, Fragen zu stellen und der Beschreibung der Reise auf der War Hawk mit großem Interesse zu folgen.

Rob J. erkundigte sich nach den Fortschritten in der Ausbildung und sagte, wie stolz er auf seinen Sohn sei. »Zu Hause habe ich ein altes blaues Stahlskalpell, erinnerst du dich?«