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»Das uralte, das du >Rob J.s Messer< nennst? Das seit Jahrhunderten in Familienbesitz sein soll?«

»Ja, das meine ich. Und es ist wirklich seit Jahrhunderten in Familienbesitz. Es wird immer an den Erstgeborenen weitergegeben, der Arzt wird. Es gehört dir.«

Shaman lächelte. »Solltest du mit diesem Geschenk nicht warten, bis ich im Dezember die Abschlussprüfung mache?«

»Ich weiß nicht, ob ich dann herkommen kann: Ich gehe als Arzt zur Army.«

Shamans Augen weiteten sich. »Aber du bist Pazifist! Du hasst doch den Krieg!«

»Das bin ich, und das tue ich«, bestätigte Rob J. mit einer Stimme, die bitterer war als der Kaffee. »Aber du siehst ja selbst, was sie einander antun.«

Sie saßen noch lange zusammen, nippten an ihren inzwischen wieder gefüllten Tassen - zwei hochgewachsene Männer, die einander in die Augen sahen und leise und ausführlich miteinander sprachen, als hätten sie alle Zeit der Welt füreinander.

Doch um elf waren sie bereits wieder im Operationssaal. Der Ansturm der Verwundeten von der War Hawk überforderte sowohl die Unterbringungsmöglichkeiten des Krankenhauses als auch den Chirurgenstab. Manche Ärzte hatten die ganze Nacht bis in den Vormittag hinein durchgearbeitet, und jetzt operierte Robert Jefferson Cole einen jungen Mann aus Ohio, dessen Schädel, Schultern, Rücken, Hintern und Beine einen wahren Hagel von Konföderiertenschrapnellen abbekommen hatten. Die Prozedur war zeitaufwendig und mühevoll, denn jedes Metallstückchen musste mit einem Minimum an Zerstörung des umliegenden Gewebes aus dem Fleisch herausgepult werden, und das Nähen war ebenfalls eine Präzisionsarbeit, denn es galt zu erreichen, dass die Muskeln wieder zusammenwachsen konnten. Die Tribüne war mit Medizinstudenten und mehreren Fakultätsmitgliedern besetzt, die die Arbeit an solch schrecklichen kriegsbedingten Fällen verfolgten. In der ersten Reihe versetzte Dr. Harold Meigs seinem Nachbarn Dr. Barnett McGowan einen Rippenstoß und wies mit seinem Kinn auf einen Mann, der - weit genug entfernt, um nicht im Weg zu stehen, aber nahe genug, um alles sehen zu können - im Operationssaal stand. Groß, füllig, mit ergrauendem Haar, stand er mit verschränkten Armen da und konzentrierte sich ausschließlich auf die Vorgänge auf dem Operationstisch. Als er das selbstsichere und routinierte Vorgehen der jungen Chirurgen sah, nickte er unbewusst beifällig, und die beiden Professoren sahen einander an und lächelten.

Rob J. fuhr mit dem Zug zurück und kam neun Tage nach seiner Abreise von Holden’s Crossing in Rock Island an. Auf der Straße hinter dem Bahnhof traf er Paul und Roberta Williams, die in den Ort gekommen waren, um Einkäufe zu machen.

»Hallo, Doc! Gerade angekommen?« fragte Williams. »Hab’ gehört, Sie waren weg. Auf Urlaub?«

»Ja.« Rob J. nickte.

»War’s schön?«

Rob J. öffnete den Mund - und schloss ihn wieder. Dann sagte er: »Ja, sehr schön. Danke der Nachfrage, Paul!«

Er verabschiedete sich und ging zum Mietstall, um Boss zu holen und nach Hause zu reiten.

Der Vertragsarzt

Rob J. brauchte fast den ganzen Sommer, um sein Vorhaben vorzubereiten. Sein erster Gedanke war gewesen, es für einen anderen Arzt finanziell attraktiv zu machen, seine Praxis in Holden’s Crossing zu übernehmen. Doch nach einiger Zeit musste er sich eingestehen, dass das unmöglich war, denn der Krieg hatte zu einem akuten Ärztemangel geführt. So blieb ihm nur, Tobias Barr zu bitten, jeden Mittwoch und bei Notfällen nach Holden’s Crossing zu kommen. Bei leichteren Erkrankungen würden die Leute von Holden’s Crossing zu Dr. Barr nach Rock Island fahren oder die Nonnen konsultieren müssen. Sarah tobte - weil Rob J. sich der »falschen Seite«

anschloss und weil er überhaupt wegging. Sie betete und beriet sich mit Sydney Blackmer. Sie sei ohne ihn völlig hilflos, jammerte sie. »Bevor du gehst, musst du an die Unionsarmee schreiben«, drängte sie, »und anfragen, ob sie irgendwelche Unterlagen haben, dass Alex ihr Gefangener ist, oder ob er als gefallen gilt.« Rob J. hatte das schon Monate zuvor getan, doch er stimmte ihr zu, dass es an der Zeit sei, nochmals nachzufragen, und kümmerte sich darum.

Sarah und Lillian standen einander näher als je. Jay hatte ein erfolgreiches System ausgeklügelt, Post und Konföderiertennachrichten durch die feindlichen Linien nach Hause zu lotsen - wahrscheinlich mit Hilfe von Flussschmugglern. Bevor die Zeitungen von Illinois die Meldung druckten, konnte Lillian bereits berichten, dass Judah Benjamin vom konföderierten Kriegsminister zum konföderierten Außenminister befördert worden sei.

Einmal hatten Sarah und Rob J. mit den Geigers und Benjamin zu Abend gegessen, als Lillians Cousin nach Rock Island gekommen war, um mit Hume über einen Eisenbahnprozess zu sprechen. Benjamin hatte einen intelligenten und bescheidenen Eindruck gemacht, nicht den eines Mannes, der danach strebte, eine neue Nation anzuführen.

Jay sei in Sicherheit, erzählte Lillian. Er habe den Dienstgrad eines Stabsfeldwebels und sei irgendwo in Virginia als Aufseher oder Verwalter eines Lazaretts stationiert.

Als sie hörte, dass Rob J. sich der Nordstaatenarmee anschließen würde, sah sie ihn besorgt an. »Ich hoffe nur, dass du und Jay nicht aufeinandertrefft, solange dieser Krieg dauert.«

»Das ist höchst unwahrscheinlich«, antwortete er und tätschelte ihre Hand.

Er verabschiedete sich so unauffällig wie möglich von seinen Freunden. Mater Ferocia hörte ihm mit fast versteinerter Resignation zu. Es gehört zum Leben der Nonnen, dachte er, sich von Menschen zu verabschieden, die ein Teil ihres Lebens geworden sind. Sie gehen, wohin Gott sie schickt, und in dieser Hinsicht sind sie wie Soldaten. Er nahm das mee-shome und einen kleinen Koffer und ließ sich am Morgen des 12. August 1862 von Sarah zur Dampferanlegestelle von Rock Island bringen. Sie weinte und küsste ihn in wilder Verzweiflung wieder und wieder auf den Mund, ohne sich um die neugierigen Blicke der anderen Leute auf dem Pier zu kümmern.

»Schon gut, mein Mädchen, schon gut!« Er drückte sie sanft an sich. Es schmerzte ihn, sie zu verlassen, und so empfand er es als Erleichterung, an Bord zu gehen und ihr zuzuwinken, als die Sirene zwei kurze Signale und ein langes ausstieß und der Dampfer in den Strom hinaussteuerte, um sich schnell zu entfernen.

Er blieb fast während der ganzen Fahrt stromabwärts auf Deck. Er liebte den Mississippi, und es machte ihm Spaß, den regen Verkehr auf dem Strom zu beobachten. Der Süden hatte kühnere und zähere Soldaten und weit bessere Generäle gehabt als der Norden, aber als die Unionstruppen in diesem Frühling New Orleans eingenommen hatten, kam das der Vorherrschaft des Nordens über den unteren und oberen Abschnitt des Mississippi gleich. Mit dem Tennessee und anderen kleineren Flüssen hatte die Union nun einen Wasserweg direkt in den verwundbaren Bauch des Südens.

Ein militärischer Brückenkopf entlang dieser Wasserstraße war Cairo, wo Rob J. seine Fahrt mit der War Hawk begonnen hatte. Und hier ging er jetzt von Bord. Diesmal war die Stadt nicht überflutet, aber das machte sie kaum liebenswerter, denn Tausende von Soldaten kampierten am Stadtrand, und die Auswirkungen dieser konzentrierten Menschenansammlung waren in die Stadt übergeschwappt: Müll, tote Hunde und faulender Unrat türmten sich in den Straßen vor den gepflegten Häusern. Rob J. folgte dem Militärverkehr zum Lager, wo er von einem Posten aufgehalten wurde. Er wies sich aus, bat, zum kommandierenden Offizier gebracht zu werden, und stand kurz darauf Colonel Sibley von den 67. Pennsylvania Volunteers gegenüber. Das 67. Regiment habe bereits die zwei Ärzte, die ihm laut Verteilerschlüssel zustünden, sagte der Colonel. Es befänden sich jedoch noch drei weitere Regimenter im Lager, das 42. Kansas, das 106. Kansas und das 23. Ohio, und beim 106.

Kansas sei noch eine Stelle für einen Assistenzarzt frei. Und so begab sich Rob J. als nächstes dorthin. Der kommandierende Offizier des 106. Regiments war ein Colonel namens Frederick Hilton, den Rob J. vor seinem Zelt antraf, wo er Tabak kauend an einem kleinen Tisch saß und schrieb. Hilton wollte ihn unbedingt haben. Er stellte ihm den Dienstgrad eines Leutnants in Aussicht (»und so bald wie möglich Captain«) und bot ihm eine Jahresverpflichtung als stellvertretender Regimentsarzt an. Doch Rob J. hatte vor seiner Abreise aus Holden’s Crossing viel nachgeforscht und nachgedacht. Wenn er sich dazu entschlossen hätte, die Prüfung als Generalstabsarzt abzulegen, hätte er sich für einen Majorsrang, einen ansehnlichen Sold und eine Stellung als Sanitätsoffizier oder Stabsarzt in einem Hauptlazarett qualifiziert - er aber wusste, was er wollte.