»Keine Offiziersstelle. Die Army stellt auch zivile Ärzte auf Zeit ein -und ich werde auf der Basis eines Dreimonatsvertrages für Sie arbeiten.«
Hilton zuckte mit den Achseln. »Ich werde die Papiere entsprechend ausstellen. Kommen Sie nach dem Abendessen her, und unterschreiben Sie! Achtzig Dollar im Monat, und Sie bringen Ihr eigenes Pferd mit. Ich kann Sie zu einem Uniformschneider in der Stadt schicken.«
»Ich werde keine Uniform tragen.«
Der Colonel sah ihn befremdet an. »Das wäre aber ratsam. Diese Männer hier sind Soldaten - von einem Zivilisten werden sie sich kaum etwas sagen lassen.«
»Darauf lasse ich es ankommen.«
Colonel Hilton nickte gleichgültig und spuckte Tabaksaft auf den Boden. Dann rief er einen Sergeanten zu sich und befahl ihm, Dr. Cole zum Zelt der Sanitätsoffiziere zu bringen.
Sie waren erst ein paar Meter gegangen, als die ersten Töne des Zapfenstreichs erklangen: Die Zeremonie des Flaggeneinholens bei Sonnenuntergang begann. Alle Geräusche im Militärlager verstummten, als die Männer mit dem Gesicht zur Fahne zackig salutierten.
Es war das erstemal, dass Rob J. diesem feierlichen Akt beiwohnte, und er empfand ihn als bewegend, denn er spürte, dass er so etwas wie eine religiöse Gemeinschaft zwischen diesen Männern schuf, die regungslos im Salut verharrten, bis der letzte bebende Ton der Melodie verklungen war. Gleich darauf herrschte wieder rege Geschäftigkeit im Camp.
Die meisten Unterkünfte waren kleine Zweimannzelte, doch der Sergeant steuerte auf eine Gruppe kegelförmiger Zelte zu, die Rob J. an Tipis erinnerten, und blieb vor einem stehen. »Da sind wir, Sir.«
»Ich danke Ihnen.«
Im Innern gab es nur zwei Schlafplätze, die aus auf der Erde ausgebreiteten Decken bestanden. Ein Mann, zweifellos der Regimentsarzt, lag im Tiefschlaf. Sein Körper verströmte einen säuerlichen Geruch, und sein Atem roch stark nach Rum. Rob J. stellte seine Tasche auf den Boden und setzte sich daneben. Ich habe viele Fehler gemacht und mehr Dummheiten als die einen und weniger als die anderen, dachte er, und jetzt konnte er nicht umhin, sich zu fragen, ob er nicht im Begriff stand, eine der größten Dummheiten seines Lebens zu begehen.
Der Regimentsarzt hatte den Rang eines Majors und hieß G. H. Woffenden. Rob J. erfuhr sehr bald, dass der Mann nie ein Medizinstudium absolviert, jedoch eine Weile »beim alten Doc Cowan gelernt« und sich dann selbständig gemacht hatte, dass er von Colonel Hilton in Topeka rekrutiert worden war, das Majorsgehalt sein bisher bestes regelmäßiges Einkommen darstellte - und dass er sich hauptsächlich auf das Trinken konzentrierte und seinem Assistenten die tägliche Sprechstunde überließ.
Diese nahm freilich fast den ganzen Tag in Anspruch, denn die Schlange der Patienten schien niemals zu enden.
Das Regiment bestand aus zwei Bataillonen - das erste fünf Kompanien stark, das zweite nur drei - und war vor knapp vier Monaten gebildet worden, als die gesündesten Männer bereits anderweitig in Kriegsdienst standen.
Für das 106. Regiment hatte man zusammengesammelt, was übrig war, und für das zweite Bataillon den
»Ausschuss« aus Kansas genommen. Viele der Männer, die darauf warteten, von Rob J. behandelt zu werden, waren eigentlich schon zu alt, um Soldaten zu sein, und viele waren noch zu jung wie ein halbes Dutzend Burschen, die kaum über zehn Jahre alt waren. Alle befanden sich in außerordentlich schlechter Verfassung. Die häufigsten Beschwerden gingen auf Diarrhöe und Ruhr zurück, aber Rob J. traf auch auf die verschiedensten Arten von Fieber, auf schwere Erkältungen, die Bronchien und Lunge in Mitleidenschaft zogen, auf Syphilis und Tripper, Delirium tremens und andere Auswirkungen von Alkoholismus, auf Leistenbrüche und viele Fälle von Skorbut. Es gab ein Behandlungszelt, in dem sich ein geräumiger Armeetragkorb und ein großer Schrank aus Rohrgeflecht und Segeltuch befanden, wo das medizinische Zubehör aufbewahrt wurde. Nach der Inventurliste hätte dieses auch schwarzen Tee enthalten sollen, weißen Zucker, Kaffee-Extrakt, Rinderbrühekonzentrat, Kondensmilch und medizinischen Alkohol. Als Rob J. Woffenden nach diesen Dingen fragte, sah der Arzt ihn beleidigt an. »Wahrscheinlich gestohlen«, erklärte er knapp in auffällig defensivem Ton. Schon nach den ersten Mahlzeiten begriff Rob J., weshalb so viele der Männer Leibschmerzen hatten. Er suchte den Verpflegungsoffizier auf, einen hageren Second Lieutenant namens Zearing, und erfuhr von ihm, dass die Army dem Regiment nur achtzehn Cent pro Mann und Tag für Essen bewilligte. Das Resultat war eine tägliche Ration von dreihundert Gramm fettem, gesalzenem Schweinefleisch, sechzig Gramm weißen Bohnen oder Erbsen und entweder fünfhundert Gramm Mehl oder dreihundert Gramm Schiffszwieback. Das Fleisch war für gewöhnlich außen schwarz und innen faulig-gelb, und die Soldaten nannten den Zwieback »Wurmparadies«, denn die großen dicken Kekse, die oft von Feuchtigkeit aufgequollen waren, boten Maden und Würmern ein wahres Dorado.
Jeder erhielt seine Ration roh und bereitete sie sich selbst über einem kleinen Lagerfeuer zu, wobei er die Bohnen kochte und das Fleisch, den zerkrümelten Zwieback, ja sogar das Mehl in Schweinefett briet. In Verbindung mit dem schlechten Gesundheitszustand verursachte diese Art von Diät in Tausenden von Bäuchen einen Tumult, und es gab keine Latrinen. Die Männer erleichterten sich meist hinter ihren Zelten, und viele, die an Durchfall litten, schafften es nur bis zu dem Raum zwischen ihrem und dem Nachbarzelt. Der Geruch im Camp erinnerte an den auf der War Hawk, und Rob J. kam zu dem Schluss, dass die gesamte Army nach Exkrementen stank. Es war ihm klar, dass er gegen die Verpflegung nichts tun konnte - jedenfalls nicht im Moment -, aber er war entschlossen, die hygienischen Bedingungen zu verbessern. Am nächsten Nachmittag ging er nach der Sprechstunde zu einem Sergeanten der C-Kompanie des ersten Bataillons, der gerade dabei war, ein halbes Dutzend Soldaten in der Handhabung des Bajonetts zu unterweisen. »Sergeant, wissen Sie, wo Schaufeln sind?«
»Schaufeln? Ja, das weiß ich schon«, antwortete der Mann vorsichtig. »Sehr gut. Ich möchte, dass Sie jedem dieser Männer eine geben. Sie sollen einen Graben ziehen.«
»Einen Graben, Sir?« Der Sergeant musterte die Gestalt in dem ausgebeulten Anzug und dem verknitterten Hemd neugierig. »Ja, einen Graben«, nickte Rob J. »Gleich da drüben. Drei Meter lang, einen Meter breit und einsachtzig tief.« Der Doktor war ein großer Mann. Er schien sehr entschlossen zu sein - und der Sergeant wusste, dass er theoretisch den Dienstgrad eines Stabsfeldwebels bekleidete. Kurze Zeit später gruben die sechs Männer eifrig, während Rob J. und der Sergeant ihnen zuschauten, bis Colonel Hilton und Captain Irvine von der C-Kompanie die Straße herunterkamen. »Was zum Teufel soll das?« fragte Colonel Hilton den Sergeanten, der den Mund öffnete und Rob J. ansah. »Sie graben eine Versitzgrube, Colonel«, erklärte Rob J. »Eine Versitzgrube?«
»Ja, Sir - eine Latrine.«
»Ich weiß, was eine Versitzgrube ist. Es wäre bedeutend sinnvoller, wenn die Männer ihre Zeit darauf verwenden würden, mit dem Bajonett zu üben. Sie werden sehr bald in der Schlacht stehen. Wir bringen ihnen bei, wie sie die Rebellen umbringen sollen. Dieses Regiment wird Konföderierte erschießen, mit Bajonetten aufspießen, erstechen und sie, wenn es nötig sein sollte, zu Tode scheißen und pissen - aber keine Latrinen graben!«