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Nachdem Colonel Symonds einmal unerfahrene Soldaten in umkämpftes Gebiet hatte führen müssen, war er entschlossen, sie nie wieder unvorbereitet in eine Schlacht ziehen zu lassen. Während des Winters drillte er seine Soldaten hart. Es gab Übungsmärsche von dreißig Meilen Länge, die Rob J. neue Patienten bescherten, da manche der Männer vom Schleppen des vollen Marschgepäcks und der schweren Musketen Muskelzerrungen davontrugen. Andere bekamen durch die Gürtel, an denen schwere Patronenkästen hingen, einen Leistenbruch.

Ständig trainierten Gruppen den Gebrauch des Bajonetts, und Symonds zwang sie, das mühevolle Laden der Musketen wieder und wieder zu üben: »Beißt das Papier von der Patrone ab, als ob ihr wütend auf sie wärt.

Schüttet das Schießpulver in den Lauf, steckt das Minie-Geschoss hinein und das Papier als Stöpsel drauf, und rammt dann das Ganze fest nach unten. Nehmt ein Zündhütchen aus eurem Beutel und setzt es auf den Nippel am Verschlussstück. Und dann zielt und feuert!«

Sie wiederholten es unermüdlich, unendlich. Symonds erklärte Rob J., er wolle, dass sie das Laden und Feuern auch beherrschten, wenn sie mitten aus dem Schlaf gerissen würden, wenn sie betäubt vor Angst seien oder wenn ihre Hände vor Furcht und Aufregung zitterten. Und damit sie lernten, Befehle auszuführen, ohne zu überlegen oder zu protestieren, ließ der Colonel sie in geschlossener Ordnung marschieren, auf und ab, auf und ab. An Tagen, an denen Schnee lag, lieh sich Symonds von der Cairoer Straßenmeisterei große Walzen aus, die dann von Pferdegespannen so lange über den Exerzierplatz gezogen wurden, bis er flach und hart genug war für weiteren Drill, den dann die Regimentskapelle mit Märschen und Quicksteps begleitete. Als Rob J. an einem klaren Wintertag am Exerzierplatz entlangschlenderte, der sich allmählich mit Soldaten füllte, musterte er die schon bereit sitzenden Musiker, und er bemerkte, dass einer der Hornisten ein großes Muttermal im Gesicht hatte. Das schwere Instrument lag auf seiner linken Schulter abgestützt, so dass der geschwungene Messinghals und der große Schalltrichter golden in der Sonne glänzten, während er seine Backen beim Spiel von »Hail Columbia« aufblähte wie Ballons. Jedesmal wenn sich die Wangen des Mannes von neuem mit Luft füllten, wurde der purpurne Fleck unter seinem rechten Auge dunkler - wie ein Signal.

Zwölf Jahre lang hatte Rob J. sich jedesmal innerlich verkrampft, wenn er einen Mann mit einem Muttermal im Gesicht sah, doch jetzt ging er, automatisch dem Takt der Musik angepasst, einfach weiter, den ganzen Weg zu dem Zelt, in dem er seine Sprechstunde abhielt. Am nächsten Morgen, als er sah, wie die Kapelle zum Exerzierplatz marschierte, um bei einer Parade mitzumachen, hielt er nach dem Hornisten mit dem großen Muttermal Ausschau, doch der Mann war nicht dabei.

Rob J. ging zu den Hütten, in denen die Mitglieder der Kapelle untergebracht waren, und entdeckte den Gesuchten sofort: Er nahm gerade gefrorene Wäschestücke von der Leine. »Steifer als der Schwanz von ‘nem Gehängten«, sagte der Mann angewidert. »Völlig blödsinnig, mitten im Winter Inspektionen zu machen.«

Heuchlerisch stimmte ihm Rob J. bei, obwohl er die Inspektionen selbst angeregt hatte, um die Männer zu zwingen, wenigstens einige ihrer Kleidungsstücke ab und zu zu waschen. »Dienstfrei heute?« Der Mann sah ihn verdrießlich an. »Ich marschiere nicht mit: Ich hinke.«

Und als er mit einem Arm voll Wäsche davonging, sah Rob J., dass es stimmte: Der Hornist hätte den Gleichschritt einer Militärkapelle gestört; sein rechtes Bein schien ein wenig kürzer zu sein als das linke, so dass er auffallend hinkte.

Rob J. ging in seine Hütte und setzte sich mit einer Decke um die Schultern in der kalten Dämmerung auf seinen Umhang. Zwölf Jahre. Er erinnerte sich genau an den Tag und an jeden einzelnen Hausbesuch, den er gemacht hatte, während Makwa-ikwa vergewaltigt und ermordet wurde.

Er dachte an die drei Männer, die unmittelbar vor dem Mord nach Holden’s Crossing gekommen und danach verschwunden waren. In all den zwölf Jahren hatte er nicht mehr Einzelheiten über sie in Erfahrung bringen können, als dass sie »versoffene Strolche« waren. Ein falscher Priester, Reverend Ellwood R. Patterson, den er wegen Syphilis behandelt hatte. Ein gedrungener, kräftiger Fettwanst namens Hank Cough. Und ein magerer junger Kerl, den sie Len genannt hatten, manchmal auch Lenny, mit einem großen Muttermal unter dem rechten Auge und einem zu kurzen Bein.

Falls der Musiker der Gesuchte war, so hatte er inzwischen einiges an Gewicht zugelegt. Aber schließlich war er selbst, Rob, auch nicht mehr so schlank.

Wahrscheinlich war es gar nicht der Mann, den er suchte, sagte sich Rob J. Es gab sicher mehrere Männer in Amerika mit einem großen Muttermal im Gesicht und einem zu kurzen Bein. Und er erkannte plötzlich, dass er nicht wollte, dass es der richtige Mann war. Er gestand sich ein, dass er die Männer gar nicht mehr wirklich finden wollte. Was sollte er tun, wenn der Hornist Lenny war? Ihm die Kehle durchschneiden?

Hilflosigkeit grinste ihn an.

Es war ihm gelungen, Makwas Tod in eine der hintersten Schubladen seines Gedächtnisses zu verbannen, aber jetzt war diese Schublade, gleich der Büchse der Pandora, wieder geöffnet worden, und er spürte, wie eine vergessen geglaubte Kälte in ihm hochkroch, eine Kälte, die nichts mit der Temperatur in der kleinen Hütte zu tun hatte. Er verließ seine Behausung und ging zu dem Zelt, in dem die Regimentsverwaltung saß. Adjutant Douglass war inzwischen daran gewöhnt, dass der Doktor die Personalakten einsah, und hatte Rob J. schon gesagt, dass er noch nie einen Arzt gekannt habe, der so viel Wert auf lückenlose Patientenberichte legte.

»Wieder Papierkram, Doc?«

»Ein bisschen.«

»Bedienen Sie sich! Die Ordonnanz ist gerade Kaffee holen gegangen. Sie können gerne welchen abhaben. Aber tropfen Sie mir bitte bloß nicht auf die verdammten Akten!« Rob J. versprach es.

Die Kapelle war der Headquarters Company angegliedert. Douglass bewahrte die Unterlagen jeder Kompanie ordentlich getrennt in grauen Kästen auf. Rob J. fand den gesuchten Kasten, und darin lag ein Aktenbündel, das mit 119. Indiana-Regimentskapelle beschriftet war. Er ging die Unterlagen sorgfältig durch. Es gab unter den Musikern keinen mit dem Vornamen Leonard, doch als Rob J. die Karteikarte fand, wusste er sofort, dass er die richtige vor sich hatte, genauso wie er manchmal wusste, ob jemand überleben oder sterben würde.

Ordway, Lanning A., ohne Dienstgrad, Heimatort Vincennes, Indiana.

Freiwillig für ein Jahr verpflichtet, am 28. Juli 1862 in Fort Wayne eingetreten.

Geboren in Vincennes, Indiana, am 11. November 1836.

Größe 1,70 m, Haut hell, Augen grau, Haare braun.

Eingesetzt für begrenzte Tätigkeit als Musiker (Horn in F)

und allgemeine Arbeiten (wegen körperlicher Behinderung).

Truppenbewegungen

Rob J.’s Vertrag war schon seit Wochen abgelaufen, als Colonel Symonds zu ihm kam, um über eine Neuerung zu sprechen. Zu dieser Zeit wüteten in den anderen Regimentern bereits die gefürchteten Frühlingsfieber - nicht aber im 119. Indiana. Dessen Angehörige litten zwar wegen des Schlafens auf feuchtem Boden an Erkältung und wegen der Ernährung an Durchfall, doch die Warteschlangen vor Robs Sprechstundenzelt waren die kürzesten, die er je erlebt hatte, seit er bei der Army arbeitete. Die ältesten Männer, die von Anfang an nicht hätten rekrutiert werden dürfen, hatte man nach Hause geschickt. Die meisten anderen litten unter Läusen, hatten schmutzige Füße und Hälse und Juckreiz im Schritt, und vor allem tranken sie zuviel Whiskey. Aber sie waren drahtig und abgehärtet durch die langen Märsche und den ständigen Drill, und sie hatten klare Augen und Tatendurst, weil es dem Assistenzarzt Cole irgendwie gelungen war, sie gesund durch die kalte Jahreszeit zu bringen, wie er es versprochen hatte. Von den sechshundert Mann des Regiments waren im Laufe der Wintermonate sieben gestorben - eine Sterblichkeit von zwölf Promille. Im gleichen Zeitraum starben in den drei anderen Regimentern 58 Promille und jetzt, da das Fieber grassierte, würde der Satz mit Sicherheit noch steigen.