Zur medizinischen Ausrüstung der Army gehörten auch Schienen, doch die gefielen Rob J. nicht, und er beschaffte Holz, aus dem er die Bahrenträger unter seiner Anleitung Schienen anfertigen ließ. Abner Wilcox erwies sich als geschickter Schreiner und als erfindungsreich dazu. Er konstruierte eine ganze Anzahl leichtgewichtiger Tragbahren, indem er Segeltuch zwischen zwei Holzstangen spannte. Der Versorgungsoffizier bot einen zweirädrigen Karren als Ambulanzfahrzeug an, doch Rob J. war jahrelang auf schlechten Straßen zu Hausbesuchen gefahren, und er wusste, dass man für den Transport Verwundeter in unebenem Gelände die Sicherheit von vier Rädern brauchte. Er trieb einen stabilen offenen Wagen auf, und Wilcox versah ihn mit einem Aufbau. Sie strichen das Fahrzeug schwarz an, und Ordway kopierte von einer Kiste mit medizinischer Ausrüstung den Merkurstab, das Symbol der Militärärzte, und malte ihn in Silber auf beide Seitenwände. Rob J.
schwatzte dem Generalquartiermeister zwei hässliche, aber starke Arbeitspferde ab - »Ausschuss« wie der Rest des Rettungstrupps. Die fünf Männer entwickelten gegen ihren Willen eine Art Gruppenstolz, doch Robinson äußerte sich offen über das größere Risiko, das ihre neue Aufgabe mit sich brachte. »Natürlich ist es riskant«, gab Rob J. zu. »Die Infanterie an der Front sieht dem Tod ins Gesicht, und jeder Kavallerieangriff birgt Gefahren
- sonst brauchten wir ja keine Bahrenträger!«
Er hatte schon immer gewusst: Krieg korrumpiert. Doch jetzt musste er feststellen, dass Krieg ihn ebenso korrumpiert hatte wie alle anderen. Er würde diese fünf jungen Männer wieder und wieder hinausschicken, damit sie Verwundete bargen, als könnten sie Gewehrkugeln abwehren und Artilleriefeuer einfach abschütteln, und er versuchte, ihre Empörung darüber von seiner Person abzulenken, indem er ihnen erklärte, dass sie einer Todesgeneration angehörten. Mit diesen Worten wollte er sich von der Verantwortung befreien, versuchte er doch, nicht nur den Männern, sondern auch sich selbst einzureden, dass sie jetzt nicht schlechter dran seien als vorher, als nur Fitts’ schwieriges Temperament ihr Leben erschwerte und ihre einzige Sorge dem Ausdruck galt, den ihre Walzer, Schottischen und Qickstep-Märsche haben sollten. Er teilte sie in Untergruppen auf: Perry und Lawrence, Wilcox und Robinson.
»Und was ist mit mir?« fragte Ordway.
»Sie bleiben in meiner Nähe«, antwortete Rob J.
Corporal Amasa Decker, der Posthalter und Briefträger, kannte Rob J. gut, weil er ihm ständig Post von Sarah brachte, die lange und leidenschaftliche Briefe schrieb. Dass seine Frau so sinnlich war, hatte Rob J. schon immer besonders gefallen. Manchmal lag er in seiner Hütte und las Brief für Brief, und er fühlte sich ihr dabei so nahe, dass er glaubte, ihren Duft zu riechen. Obwohl es in Cairo jede Menge Frauen gab - von käuflichen bis zu patriotischen -, hatte er sich nie einer von ihnen genähert: Er war mit dem Fluch der Treue belegt. Einen Großteil seiner Freizeit verbrachte er damit, Sarah sanfte, aufmunternde Briefe zu schreiben - als Kontrapunkt zu ihrer angstvollen Heißblütigkeit. Manchmal schrieb er auch an Shaman, und regelmäßig machte er Eintragungen in sein Tagebuch. Zwischendurch lag er auf seinem Umhang und überlegte, wie er von Ordway erfahren könne, was an dem Tag geschehen war, als Makwa-ikwa umgebracht wurde. Er musste Ordways Vertrauen irgendwie gewinnen. Er dachte an den Bericht über die Nichtswisser und den Supreme Order of the Star-Spangled Banner, den Miriam Ferocia ihm gegeben hatte. Wer immer ihn auch verfasst hatte - er selbst war überzeugt, es handle sich um einen spionierenden Priester-, hatte sich als protestantischer Katholikengegner ausgegeben. Könnte dieselbe Taktik nicht auch bei ihm funktionieren? Der Bericht lag bei seinen Papieren in Holden’s Crossing, aber er hatte ihn so oft und so aufmerksam gelesen, dass er sich an die Zeichen und Signale, die Losungsworte und Parolen erinnerte - ein ausgeklügeltes Verständigungssystem, das von einem Heranwachsenden mit Sinn für Dramatik und mit einer ausgeprägten Phantasie hätte stammen können.
Rob J. übte mit den Bahrenträgern, von denen einer den Verwundeten spielen musste, und stellte fest, dass zwei Männer zwar einen Soldaten auf eine Bahre legen und in den Ambulanzwagen heben konnten, jedoch schnell ermüdeten und sogar zusammenzubrechen drohten, wenn sie ihre Last eine größere Strecke tragen mussten.
»Wir brauchen vier Träger«, sagte Perry, und Rob J. sah das ein. Doch damit hätte er nur genügend Männer für eine Bahre gehabt, was eindeutig zu wenig war, sobald das Regiment auch nur in die geringsten Schwierigkeiten geriet. Er trug sein Problem dem Colonel vor. »Und was wollen Sie unternehmen?« fragte Symonds.
»Die ganze Kapelle einspannen. Machen Sie meine fünf geübten Träger zu Corporals. In Situationen, in denen es viele Verwundete gibt, kann jeder eine Trägergruppe befehligen, die sich aus drei weiteren Musikern zusammensetzt. Hätten die Soldaten die Wahl zwischen Musikern, die während einer Schlacht aufmunternde Liedchen spielen, und Musikern, die ihr Leben retten, wenn sie angeschossen daliegen- ich weiß, wofür sie sich entscheiden würden.«
»Sie haben gar nichts zu entscheiden«, sagte Symonds trocken. »Die Entscheidungen hier treffe ich.« Und er traf die richtige: Die fünf Bahrenträger nähten Streifen auf ihre Ärmel, und wann immer Fitts zufällig Rob J.
begegnete, sah er demonstrativ in die andere Richtung.
Mitte Mai wurde es heiß. Das Camp lag zwischen dem Zusammenfluss des Ohio und des Mississippi, die beide durch die Abwässer aus dem Lager verunreinigt waren. Rob J. teilte je ein halbes Stück Kernseife an die Männer des Regiments aus, und sie mussten kompanieweise Flussaufwärts zu einer sauberen Stelle des Ohio marschieren, sich dort entkleiden und baden. Anfangs gingen sie fluchend und stöhnend ins Wasser, doch die meisten waren auf dem Land aufgewachsen und erinnerten sich jetzt an ihre Kindheit. Bald artete die Waschaktion in eine fröhliche Wasserbalgerei aus. Beim Herauskommen wurden die Soldaten von ihren Sergeants inspiziert, wobei besondere Sorgfalt der Überprüfung von Kopf und Füßen galt, und unter dem Gejohle der Kameraden wurden manche zurück ins Wasser geschickt, um sich noch einmal zu reinigen.
Viele der Uniformen waren zerfetzt oder fleckig und aus minderwertigem Tuch gefertigt, doch Colonel Symonds hatte eine Reihe neuer Uniformen angefordert, und als sie an die Männer verteilt wurden, nahmen diese zu Recht an, dass ihre Verschiffung bevorstehe. Beide Kansas-Regimenter waren per Dampfschiff den Mississippi hinuntergebracht worden. Es hieß, sie würden Grants Armee bei der Eroberung von Vicksburg unterstützen und das 119. Indiana solle folgen. Doch am Nachmittag des 27. Mai, als Warren Fitt’s Kapelle zackig, aber mit unüberhörbaren Nervositätsfehlern aufspielte, wurde das Regiment anstatt zum Fluss zum Bahnhofsgelände geführt. Soldaten und Pferde wurden in gedeckte Güterwagen verfrachtet, diese mit Plattform- und Salonwagen zu langen Zügen zusammengekoppelt, und zwei Stunden später verabschiedete sich das 119. von Cairo in Illinois.
Der Arzt und die Bahrenträger reisten in einem Sanitätswaggon. Als sie Cairo verließen, war er ansonsten leer, doch nach etwa einer Stunde wurde ein junger gemeiner Soldat gebracht, der in einem der Güterwagen ohnmächtig geworden war. Rob J. stellte fest, dass er vor Fieber glühte und phantasierte. Er wusch den Jungen mit Alkohol ab und beschloss, ihn bei nächster Gelegenheit in ein Krankenhaus bringen zu lassen. Rob J.
bewunderte den Sanitätswaggon, der von unschätzbarem Wert gewesen wäre, wenn sie sich auf dem Rückweg von einer Schlacht befunden hätten und nicht auf dem Weg zu einer solchen. Auf beiden Seiten des Ganges waren über die ganze Länge des Wagens in drei Reihen übereinander Bahren angebracht. Jede hing in Gummischlaufen, und das elastische Material glich einen Großteil des Hol-perns und Schwankens während der Fahrt aus. Da es noch an Patienten mangelte, hatten die fünf frischgebackenen Corporale je eine Bahre besetzt und waren übereinstimmend der Meinung, dass sie auch als Generäle nicht komfortabler hätten reisen können.