Addison Perry, der schon bewiesen hatte, dass er überall und zu jeder Tages- und Nachtzeit schlafen konnte, schnarchte bereits, und auch der junge Lawrence schlief. Lewis Robinson hatte sich eine Bahre unter der Laterne ausgesucht und zeichnete hier mit einem Bleistift kleine schwarze Punkte auf ein Stück Papier: Er komponierte.
Sie hatten keine Ahnung, wohin sie fuhren. Als Rob J. zum Ende des Waggons ging und die Tür öffnete, wurde das Rattern des Zuges beträchtlich lauter. Er schaute zu den Lichtpunkten am Himmel hinauf und entdeckte den Kleinen Bären. Sein Blick suchte den äußersten Stern am Schwanzende und fand den Polarstern. »Wir fahren nach Osten«, erklärte er, als er zurückkam.
»Scheiße!« fluchte Abner Wilcox voller Inbrunst. »Sie schicken uns zur Potomac-Army.« Lewis Robinson hörte auf zu komponieren. »Und was ist dagegen zu sagen?«
»Die Potomac-Army hat noch nie was geleistet. Die sitzen fast nur herum. Und wenn sie alle Jubeljahre mal kämpfen, dann schaffen es diese Keksköpfe immer, gegen die Rebellen zu verlieren. Ich wollte zu Grant. Das ist ein General!«
»Wenn man nur herumsitzt, wird man wenigstens nicht umgebracht«, gab Robinson zu bedenken.
»Mir stinkt’s, nach Osten zu gehen«, sagte Ordway. »Der ganze verdammte Osten ist verseucht mit Iren, diesem römisch-katholischen Gesocks.«
»Bei Fredericksburg hat sich niemand besser geschlagen als die Irische Brigade«, wandte Robinson ein und fügte dann kleinlaut hinzu: »Die meisten sind allerdings umgekommen.«
Rob J. fasste einen spontanen Entschluss. Er legte die Zeigefingerspitze unter sein rechtes Auge und ließ sie langsam an seiner Nase entlang abwärts gleiten: Das war das Signal eines Mitglieds des Geheimbundes an ein anderes, den Mund zu halten.
Funktionierte es, oder war es Zufall? Lanning Ordway starrte ihn einen Moment lang an, hörte dann auf zu reden und legte sich schlafen.
Um drei Uhr morgens gab es einen langen Aufenthalt in Louisville, als eine Artillerieeinheit zustieg. Die Nachtluft war schwerer als in Illinois und weicher. Diejenigen, die wach waren, verließen den Zug, um sich die Beine zu vertreten, und Rob J. sorgte dafür, dass der fiebernde Junge ins örtliche Krankenhaus gebracht wurde.
Anschließend ging er an den Schienen entlang und kam an zwei pinkelnden Männern vorbei. »Keine Zeit, hier Gräben zu ziehen, Sir«, sagte der eine. Der Doktor in Zivil war immer noch für einen Witz gut. Rob J.
schlenderte zu der Stelle, wo die großen Zehn-Pfund-Parrott-Geschütze und die Zwölf-Pfund-Haubitzen mit schweren Ketten auf den Plattformwagen vertäut wurden. Die Kanonen wurden im gelben Schein großer Karbidlampen verladen, und das spuckende und flackernde Licht warf Schatten, die ein Eigenleben zu haben schienen.
»Doktor?« sagte jemand leise. Der Mann trat neben ihm aus der Dunkelheit und nahm seine Hand, das Zeichen des Erkennens. Zu aufgeregt, um sich albern vorzukommen, wagte Rob J. die Antwortgeste, als habe er dies schon oft getan. Ordway sah ihn an. »Gut«, sagte er.
Die lange graue Front
Mit der Zeit begannen sie, den Truppentransportzug zu hassen. Er kroch langsam durch Kentucky und wand sich träge zwischen den Hügeln hindurch - ein schlangenförmiges, langweiliges Gefängnis. Die Neuigkeit, dass sie Virginia erreicht hatten, verbreitete sich wie ein Lauffeuer von Waggon zu Waggon. Die Soldaten spähten in der Erwartung aus den Fenstern, sofort den Feind zu sehen, doch alles, was sie zu Gesicht bekamen, waren Berge und Wälder. Wenn sie in kleinen Städten anhielten, um Brennstoff und Wasser aufzunehmen, waren die Leute ebenso freundlich wie in Kentucky, denn der Westen Virginias stand auf der Seite der Union. Als sie den anderen Teil dieses Staates erreichten, merkten sie es sofort: Hier standen keine Frauen auf dem Bahnsteig, um kühles Bergwasser oder Limonade anzubieten, und die Männer hatten ausdruckslose Gesichter und wachsame Augen unter schweren Lidern.
Das 119. Indiana verließ den Zug in Winchester, einer besetzten Stadt, in der man nur blaue Uniformen sah.
Während die Pferde und die Ausrüstung ausgeladen wurden, verschwand Colonel Symonds in einer Kaserne nahe des Bahnhofs, und als er wieder herauskam, befanden sich Soldaten und Fuhrwerke bereits in Marschordnung, und es ging südwärts.
Als Rob J. seinen ersten Vertrag unterschrieben hatte, wurde ihm gesagt, er müsse sich selbst ein Pferd besorgen.
Aber in Cairo hatte er keines gebraucht, denn er trug weder eine Uniform, noch nahm er an Paraden teil.
Außerdem waren Pferde überall, wo die Army saß, Mangelware, denn die Kavallerie requirierte jedes Tier, dessen sie ansichtig wurde, gleichgültig, ob es Rennen lief oder einen Pflug zog. Und so saß Rob J. jetzt neben Corporal Ordway, der die Pferde lenkte, auf dem Kutschbock des Ambulanzwagens. Rob J. war in Ordways Gegenwart noch immer unsicher, doch dessen einzige Frage war gewesen, warum ein Mitglied des OSSB »mit ausländischem Akzent« spreche, womit er das gutturale, schottische Schnarren meinte das sich auch jetzt noch gelegentlich in Rob J.’s Aussprache einschlich. Rob J. hatte ihm erklärt, er sei in Boston geboren und als Jugendlicher zur Ausbildung nach Edinburgh geschickt worden, und der Corporal schien damit zufrieden zu sein. Er war jetzt aufgeschlossen und freundlich: Offensichtlich beruhigte es ihn, für einen Mann zu arbeiten, der einen politischen Grund hatte, sich auch um sein Wohlergehen zu sorgen.
Sie kamen an einem Schild vorbei, das besagte, dass sie sich auf dem Weg nach Fredericksburg befänden.
»Allmächtiger!« stöhnte Ordway. »Ich hoffe bloß, dass keiner auf die Idee kommt, da noch einmal Yankees gegen diese schießwütigen Rebellen zu schicken!« Rob J. konnte ihm nur zustimmen.
Mehrere Stunden vor Einbruch der Dämmerung erreichte das 119. Regiment den Rappahannock, und Symonds ließ anhalten und das Lager aufschlagen. Er rief alle Offiziere zu sich vor sein Zelt, und Rob J. stand hinter den Uniformen und hörte zu.
»Meine Herren - seit einem halben Tag sind wir Angehörige der Potomac-Army, die unter dem Kommando von General Joseph Hooker steht«, sagte Symonds. Er berichtete, dass Hooker eine Streitmacht von etwa einhundertzweiundzwanzigtausend Mann über ein großes Gebiet verteilt habe. Etwa neunzigtausend Konföderierte unter Robert E. Lee befänden sich bei Fredericksburg. Hookers Kavallerie habe Lees Armee lange beobachtet und sei zu der Überzeugung gelangt, dass die Konföderierten beabsichtigten, in den Norden einzumarschieren, um die Unionstruppen von der Belagerung Vicksburgs in Mississippi wegzulocken. Doch niemand wisse, wo oder wann diese Invasion stattfinden solle. »Washington ist verständlicherweise nervös, seit die Konföderierten nur noch ein paar Stunden vom Weißen Haus entfernt sind. Das 119. Regiment ist unterwegs, um sich den Truppen bei Fredericksburg anzuschließen.« Die Offiziere nahmen die Neuigkeit gelassen auf. Sie zogen mehrere Ringe von Postenketten um das Camp, und dann bereitete sich das Lager für die Nacht vor.
Nachdem Rob J. seine Ration Schweinefleisch mit Bohnen gegessen hatte, legte er sich zurück und blickte in den sternenübersäten Himmel. Es ging über seine Vorstellungskraft sich die Masse von Menschen auszumalen, die da ins Feld geführt werden sollten. Etwa neunzigtausend Konföderierte! Etwa einhundertzweiundzwanzigtausend Unionssoldaten! Und alle würden ihr Bestes tun, sich gegenseitig umzubringen!
Es war eine schöne Nacht. Die Männer lagen auf dem warmen Boden, ohne sich die Mühe zu machen, Zelte aufzuschlagen. Die meisten waren noch erkältet, und ihr Husten hätte jedem in der Nähe befindlichen Feind ihre Anwesenheit verraten. Mit Schaudern stellte Rob J. sich vor, wie es sich anhören mochte, wenn einhundertzweiundzwanzigtausend Männer gleichzeitig husteten. Er schlang die Arme um seinen Körper, weil ihn plötzlich fror. Wenn zwei so riesige Armeen aufeinanderprallten, waren mehr Männer nötig, um die Verwundeten abzutransportieren, als seine Regimentsmusiker.