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Der Marsch nach Fredericksburg nahm zweieinhalb Tage in Anspruch. Auf dem Weg machten sie Bekanntschaft mit Virginias »Geheimwaffe«: dem Chigger, einer Zeckenart. Die winzigen roten Tierchen ließen sich auf die Männer fallen, wenn sie unter tiefhängenden Ästen hindurchgingen, und blieben hängen, wenn sie durch hohes Gras marschierten. Haftete das Tier einmal an der Kleidung, wanderte es weiter, bis es nackte Haut erreichte, um sich dann mit seinem ganzen Körper ins Fleisch einzugraben. Bald saßen die Chigger zwischen den Fingern, Zehen und Hinterbacken und auf dem Penis der Soldaten. Die Zecke hatte einen zweigeteilten Leib. Wenn ein Soldat einen Chigger dabei erwischte, wie er sich gerade ins Fleisch bohren wollte, und versuchte, ihn herauszuziehen, riss er an der schmälsten Stelle ab, und der Teil, der festsaß, richtete genausoviel Schaden an, wie das ganze Tier es getan hätte. Am dritten Tag kratzten sich die meisten Soldaten fluchend, und die Wunden begannen in der feuchten Hitze schnell zu eitern. Rob J. konnte nicht mehr tun, als Schwefelpuder auf die festgebissenen Tiere streuen, doch einige der Männer hatten Erfahrung mit dieser Plage und erklärten den anderen, dass das einzig wirksame Hilfsmittel sei, das glühende Ende eines Stockes oder einer Zigarre nahe an die Haut zu halten, bis der Chigger, angezogen von der Hitze, den Rückweg antrete. Dann könne man ihn langsam und vorsichtig herausziehen, damit er nicht abriss. Und so entfernten bald allenthalben Männer einander die Tierchen. Das Bild erinnerte Rob J. an die Affen im Edinburgher Zoo, die er oft dabei beobachtet hatte, wie sie sich gegenseitig nach Läusen absuchten. Doch die Chigger-Plage lenkte nur kurzfristig von der Angst ab. Je näher sie Fredericksburg kamen, wo bei der vorangegangenen Schlacht ein solches Gemetzel unter den Yankees angerichtet worden war, um so größer wurde die Anspannung. Als sie aber eintrafen, sahen sie überall nur Unionsblau: Robert E. Lee hatte mehrere Tage zuvor im Schutz der Nacht seine Truppen in aller Stille abgezogen. Seine Northern-Virginia-Army war auf dem Weg nach Norden. Die Unionskavallerie überwachte zwar Lees Marsch, doch die Potomac-Army heftete sich nicht an seine Fersen. Den Grund dafür kannte nur General Hooker.

Das 119. Indiana lagerte sechs Tage bei Fredericksburg. Man ruhte sich aus, behandelte die Blasen an den Füßen, entfernte Chigger und reinigte und ölte die Waffen. In der Freizeit stiegen die Soldaten grüppchenweise auf die Berge, wo nur ein halbes Jahr zuvor fast dreizehntausend Unionssoldaten gefallen oder verwundet worden waren. Als sie hinunterblickten und sahen, welch leichtes Ziel ihre nachkommenden Kameraden boten, waren sie heilfroh, dass General Lee vor ihrem Eintreffen abgezogen war.

Als Symonds neue Befehle bekam, mussten sie wieder in Richtung Norden. Sie marschierten gerade auf einer staubigen Straße, als die Nachricht eintraf, dass Winchester, wo sie den Truppenzug verlassen hatten, durch Konföderierte unter General Richard S. Ewell überrollt worden sei. Ein weiterer Sieg der Rebellen: fünfundneunzig Unionssoldaten getötet, dreihundertachtundvierzig verwundet und mehr als viertausend vermisst oder gefangengenommen.

Rob J., der auf dem Kutschbock des Ambulanzwagens die friedliche Landstraße entlangfuhr, wollte nicht glauben, dass Krieg war, wie er als Junge den Tod nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Warum sollten Menschen sterben, wenn es so schön war zu leben. Und warum sollten Menschen in einen Krieg ziehen? Es war so viel angenehmer, schläfrig diese sanft geschwungene, sonnenheiße Straße entlangzurollen, als sich dem Geschäft des Mordens hinzugeben. Doch wie der Junge einst durch den Tod seines Vaters mit der Sterblichkeit konfrontiert worden war, so wurde dem Erwachsenen nun die Realität des Krieges vor Augen geführt, als sie nach Fairfax kamen und er erkannte, was gemeint ist, wenn die Bibel von »Heerscharen« spricht.

Sie schlugen ihr Lager inmitten von Artillerie, Kavallerie und Infanterie auf den Feldern einer Farm auf. Wohin Rob J. auch blickte, er sah Unionssoldaten. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Am Tag nach der Ankunft erfuhr das 119. Regiment, dass Lees Northern-Virginia-Army bereits in den Norden einmarschiert war und über den Potomac nach Maryland vorstieß. Jetzt endlich ließ sich Hooker dazu herbei, etwas zu unternehmen: Er schickte Einheiten seiner Armee nach Norden, damit sie sich zwischen Lees Truppen und Washington stellten. Vierzig Stunden später wurde auch das 119. Indiana angefordert, worauf es sich wieder Richtung Norden in Bewegung setzte. Beide Armeen waren zu groß und zu verstreut, um schnell und vollständig verlagert zu werden. Ein Teil von Lees Streitkräften befand sich noch in Virginia und war erst dabei, den Fluss zu überqueren, um sich ihrem Befehlshaber anzuschließen. Die beiden Heere waren konturlose, pulsierende Monster, die sich ausdehnten und zusammenzogen, immer in Bewegung waren, manchmal sogar unmittelbar nebeneinander. Wenn die Ränder sich berührten, gab es Scharmützel wie aufstiebende Funken - bei Upperville, bei Haymarket und einem Dutzend weiterer Orte. Das 119. Indiana erlebte keine nennenswerten Kampfhandlungen, nur in einer Nacht kam es zwischen dem äußeren Ring von Posten und feindlichen Reitern zu einem kurzen Feuerwechsel ohne Folgen, da sich die Reiter sehr schnell aus dem Staub machten. In der Nacht zum 28. Juni überquerten die Männer des 119. Regiments in kleinen Booten den Potomac. Am Morgen setzten sie sich wieder in Richtung Norden in Marsch, und Fitts’ Kapelle intonierte »Maryland, My Maryland«. In manchen Gegenden hatten ihnen die Menschen zugewinkt, wenn sie vorbeikamen, doch die Einwohner von Maryland machten einen gleichgültigen Eindruck: Sie sahen schon seit Tagen Truppen durchmarschieren.

Rob J. und den Soldaten hing die Maryland-Hymne sehr bald zum Hals heraus, doch die Kapelle spielte sie auch noch, als sie an einem Morgen durch fruchtbares, sanfthügeliges Farmland in einen gepflegten Ort kamen.

»Wo sind wir denn hier?« erkundigte sich Ordway bei Rob J. »Ich weiß es nicht.« Sie kamen an einer Bank vorbei, auf der ein alter Mann saß und das Militär beobachtete. »Mister«, rief Rob J. hinüber, »wie heißt denn diese hübsche Stadt?«

Das Kompliment schien den alten Mann zu irritieren. »Unsere Stadt?« sagte er. »Die Stadt heißt Gettysburg, Pennsylvania.«

Obwohl die Männer des 119. Indiana es nicht wussten, unterstanden sie an dem Tag, als sie Pennsylvania erreichten, bereits seit vierundzwanzig Stunden einem neuen Kommandanten: General George Meade hatte General Joe Hooker abgelöst, der die Rechnung für die viel zu späte Verfolgung der Konföderierten bezahlen musste. Sie durchquerten die kleine Stadt und marschierten die Taneytown Road entlang. Die Unionsarmee war südlich von Gettysburg zusammengezogen worden, und Symonds ließ seine Leute auf einer ausgedehnten, hügeligen Wiese anhalten und das Lager aufschlagen. Die Luft war schwer, heiß und feucht - und erfüllt von ängstlicher Tapferkeit. Die Soldaten des 119. Regiments unterhielten sich über den Kriegsschrei der Rebellen.

Sie hatten ihn in Tennessee nicht selbst gehört, doch viel darüber vernommen und oft Imitationen vorgeführt bekommen. Sie fragten sich bang, ob sie das Original wohl in den nächsten Tagen hören würden.

Colonel Symonds wusste, dass die beste Therapie für strapazierte Nerven Arbeit ist, und so stellte er Trupps zusammen und ließ sie hinter aufgehäuften Steinen, die als Brustwehr dienen sollten, flache Schützengräben ausheben. An diesem Abend schliefen sie bei dem Klang leisen Vogelgezwitschers und dem Zirpen der Laubheuschrecken ein, am nächsten Morgen aber weckte sie Geschützfeuer, das mehrere Meilen nordwestlich aus der Gegend des Chambersburg Pike herüberdonnerte.