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Gegen elf Uhr erhielt Colonel Symonds neue Befehle, und das 119. Regiment wurde eine halbe Meile über einen bewaldeten Hügelkamm zu einer Wiese auf einer Anhöhe östlich der Emmitsburg Road geführt. An sechs Vorposten der Union hatte es sich bewahrheitet, dass die neue Stellung sich näher am Feind befand: Sie lagen hingestreckt im Gras, als schliefen sie. Alle sechs waren barfuss: Die schlecht beschuhten Südstaatler hatten ihre Stiefel gestohlen.

Symonds ließ erneut Brustwehre bauen und ersetzte die Posten. Auf Rob J.’s Bitte hin wurde am Waldrand ein langes, schmales Gerüst in Form eines Laubengangs aufgestellt und mit einem Dach aus Zweigen versehen, um den Verwundeten Schatten zu bieten, und vor diesem »Lazarett« stellte Rob J. seinen Operationstisch auf. Von Kundschaftern erfuhren sie, dass der erste Feuerwechsel beim Zusammenstoß von Kavallerieeinheiten erfolgt war. Im Laufe des Tages wurde der Schlachtenlärm immer lauter: ein ständiges, heiseres Bellen von abgefeuerten Musketen, das sich anhörte wie das Gekläff Tausender mordlüsterner Hunde, dazu dröhnender, nicht endender Kanonendonner. Jede noch so leichte Bewegung der heißen Luft traf sie ins Gesicht wie ein Schlag. Am frühen Nachmittag wurde das Regiment zum drittenmal an diesem Tag in Marsch gesetzt und in Richtung der Stadt, des Gefechtslärms, des Kanonengrollens und der weißgrauen Rauchwolken geführt. Rob J.

kannte die Soldaten inzwischen gut und wusste, dass die meisten eine leichte Verwundung herbeisehnten, nicht mehr als einen Kratzer, der aber eine Narbe hinterließ, damit ihre Leute daheim sehen konnten, wieviel sie für den Sieg auf sich genommen hatten. Jetzt freilich waren sie auf dem Weg in ein Gebiet, wo Männer starben. Sie marschierten durch die Stadt und waren, als sie den Hügel erklommen, plötzlich von dem Lärm umgeben, den sie vorher nur von weitem gehört hatten. Mehrmals zischten Artilleriesalven über ihre Köpfe hinweg, und sie kamen an eingegrabener Infanterie und vier Geschützbatterien vorbei, die unablässig feuerten. Als sie oben waren und ihnen befohlen wurde anzuhalten, stellten sie fest, dass sie sich mitten auf einem großen Friedhofsgelände befanden, das dem Hügel seinen Namen gegeben hatte: Cemetery Hill. Rob J. baute gerade seine Geräte hinter einem imposanten Mausoleum auf, das sowohl Schutz als auch ein wenig Schatten spendete, als ein schweißüberströmter Colonel auf ihn zukam und nach dem Sanitätsoffizier fragte. Er stellte sich als Colonel Martin Nichols vom Medical Department vor und erklärte, er organisiere die medizinische Versorgung.

»Haben Sie Erfahrung als Chirurg?« fragte er. Rob J. fand, dass jetzt keine Zeit für falsche Bescheidenheit sei.

»Ja, habe ich. Eine recht umfassende sogar«, antwortete er.

»Dann brauche ich Sie im Lazarett, wo schwere Fälle zum Operieren hingebracht werden.«

»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich lieber bei meinem Regiment bleiben, Colonel.«

»Es macht mir aber etwas aus, Doktor! Es macht mir sogar sehr viel aus! Ich habe ein paar gute Ärzte, aber auch einige junge, unerfahrene Burschen, die lebensentscheidende Eingriffe durchführen und dabei ein schreckliches Gemetzel anrichten. Sie amputieren Gliedmaßen, ohne Hautlappen überstehen zu lassen, und manche lassen die Knochenenden zentimeterweit aus dem Fleisch ragen. Sie wagen Experimente, die ein erfahrener Arzt niemals machen würde, schneiden Oberarme am Ansatz weg und trennen Hüft- und Schultergelenke ab. Sie fabrizieren unnötigerweise Krüppel, die für den Rest ihres Lebens unter entsetzlichen Schmerzen leiden werden. Hören Sie, Doc: Sie nehmen den Platz eines dieser Möchtegernchirurgen ein, den ich dafür hierher schicke, damit er Verwundeten Kompressen auflegt.« Rob J. nickte. Er unterrichtete Ordway davon, dass dieser bis zur Ankunft eines anderen Arztes die Leitung der Sanitätsstation zu übernehmen habe, und folgte Colonel Nichols den Hügel hinunter.

Das Lazarett befand sich in der Stadt, in der katholischen Kirche, die, wie Rob J. las, Franz von Assisi geweiht war. Er wollte nicht vergessen, dies Miriam Ferocia zu erzählen. In der Vorhalle war ein Operationstisch aufgestellt worden. Die beiden Flügel des Portals standen weit offen, damit der Chirurg möglichst viel Licht bekam. Das Gestühl war mit Brettern überdeckt worden, auf denen man aus Stroh und Decken Betten für die Verwundeten gemacht hatte. In einem feuchten Raum im Keller standen, im gelben Licht mehrerer Lampen, zwei weitere Operationstische, und einen davon übernahm Rob J. Er zog seinen Rock aus und rollte seine Ärmel so weit hoch wie möglich, während ein Corporal der Ersten Kavallerie-Division einem Soldaten Chloroform verabreichte, dessen Hand eine Kanonenkugel weggerissen hatte. Sobald der Junge narkotisiert war, nahm Rob J.

so viel des Arms ab, wie unbedingt erforderlich war, und ließ einen ausreichenden Hautlappen für den Stumpf stehen.

»Der nächste!« rief er. Ein weiterer Patient wurde hereingetragen, und Rob J. vertiefte sich in seine Aufgabe.

Der Keller maß etwa sechs auf zwölf Meter. Am zweiten Tisch arbeitete ebenfalls ein Chirurg, doch Rob J. und er sahen einander nur selten an und hatten sich nicht viel zu sagen. Im Laufe des Nachmittags wurde Rob J. klar, dass der andere gute Arbeit leistete, und auch er erhielt ein Lob von seinem Gegenüber. Dann konzentrierte sich jeder wieder auf seinen Tisch. Rob J. entfernte Geschosse und Metallsplitter, stopfte Eingeweide in Bäuche zurück, nähte Wunden zu und amputierte. Und amputierte immer wieder. Das Minie-Geschoss war ein Niedergeschwindigkeits-Projektil, das besonders viel Schaden anrichtete, wenn es einen Knochen traf. Riss es einen Knochen ab oder zertrümmerte es ihn, blieb dem Chirurgen nichts anderes übrig, als das Glied zu entfernen. Auf dem Lehmboden zwischen Rob J. und dem anderen Arzt wuchs ein wahrer Berg von Armen und Beinen. Von Zeit zu Zeit kamen Männer und schafften die Gliedmaßen weg. Nach vier oder fünf Stunden trat ein Colonel in grauer Uniform in den Kellerraum und eröffnete den beiden Ärzten, dass sie sich ab sofort als Gefangene zu betrachten hätten. »Wir sind bessere Soldaten als eure Leute. Wir haben die Stadt erobert. Eure Truppen sind nach Norden getrieben worden, und wir haben viertausend Mann gefangengenommen.« Dazu gab es nicht viel zu sagen. Der andere Chirurg warf Rob J. einen Blick zu und zuckte mit den Achseln. Rob J., der einen Patienten auf dem Tisch hatte, machte den Colonel darauf aufmerksam, dass er ihm im Licht stehe.

Wann immer eine Pause eintrat, versuchte er, ein paar Minuten zu dösen - im Stehen. Aber es gab kaum Pausen.

Die kämpfenden Armeen schliefen zwar nachts, doch die Ärzte arbeiteten durch und versuchten unermüdlich, die Männer zu retten, die auf dem Schlachtfeld zerfetzt worden waren. Der Keller hatte kein Fenster, und die Lampen brannten stets mit voller Leistung. Rob J. verlor jede Übersicht, ob Tag oder Nacht war. »Der nächste!«

rief er. Der nächste! Der nächste! Der nächste!

Es war eine Sisyphus-Arbeit, denn sobald er mit einem Patienten fertig war, wurde der nächste hereingebracht.

Manche trugen zerrissene, blutdurchtränkte graue Uniformen und manche zerrissene, blutdurchtränkte blaue, und Rob erkannte bald, dass ein unerschöpflicher Nachschub zur Verfügung stand.

Nicht so bei anderen Dingen. Nach kurzer Zeit gab es in dem Kirchenhospital keine Kompressen mehr und keine Lebensmittel. Der Colonel, der ihm erklärt hatte, die Südstaatler seien die besseren Soldaten, erklärte ihm nun, dass der Süden weder Chloroform noch Äther habe.

»Ihr könnt ihnen weder Stiefel zur Verfügung stellen noch ein Mittel gegen ihre Schmerzen geben«, sagte Rob J.

ohne Genugtuung. »Deshalb werdet ihr am Ende verlieren.« Und dann ersuchte er den Offizier, Alkohol zu beschaffen. Der Colonel entfernte sich tief beleidigt, schickte jedoch Whiskey für die Patienten und heiße Hühnerbrühe für die Ärzte, die Rob J. hinunterschüttete, ohne etwas zu schmecken.

Da er keine Betäubungsmittel mehr hatte, holte er sich mehrere starke Männer, damit sie die Patienten festhielten, und dann operierte er so, wie er es in früheren Jahren getan hatte. Er schnitt, sägte, nähte so schnell und geschickt, wie William Fergusson es ihn gelehrt hatte. Die Opfer freilich schrien und versuchten, um sich zu schlagen. Er gähnte nicht, und obwohl er häufig blinzeln musste, blieben seine Augen offen. Er merkte, dass seine Füße und Knöchel schmerzhaft anschwollen, und manchmal, wenn ein Patient hinaus- und ein anderer hereingetragen wurde, rieb er sich mit der linken Hand die rechte. Jeder Fall war anders, doch da es nur begrenzte Möglichkeiten gibt, ein menschliches Wesen zu zerstören, erschienen ihm bald alle gleich, ob nun das Gesicht zerfetzt, die Genitalien abgeschossen oder die Augen getroffen waren.