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Die Stunden vergingen.

Allmählich kam es ihm so vor, als habe er den größten Teil seines Lebens damit verbracht, in diesem kleinen feuchten Raum Menschen zu zerschneiden, und er fühlte sich verdammt dazu, immer hier zu bleiben und weiterzumachen. Doch irgendwann änderten sich die Geräusche, die zu ihnen herunterdrangen. Sie hatten sich längst an die Schreie und das Stöhnen, an den Kanonendonner und das Gewehrfeuer, die Explosion von Minen und sogar an die Erschütterung, die nahe Einschläge verursachten, gewöhnt. Aber nun erreichte das Inferno ein neues Crescendo, eine unaufhörliche Folge von Schüssen und Explosionen, die mehrere Stunden andauerte.

Danach trat plötzlich eine relative Stille ein, in der die Leute in der Kirche auf einmal miteinander sprechen konnten, ohne schreien zu müssen. Und dann war da ein neuer Lärm, ein Brüllen, das auftoste und verebbte und weiter und weiter wogte wie der Ozean, und als Rob J. einen konföderierten Helfer hinausschickte, damit er feststelle, was das war, kam der Mann kurz darauf zurück und berichtete gebrochen, es sei das Triumphgeheul der gottverdammten Yankees.

Als Lanning Ordway einige Stunden später kam, stand Rob J. immer noch am Operationstisch.

»Doc! Mein Gott, Doc! Sie kommen jetzt mit mir!« Von Ordway erfuhr Rob J., dass er fast zwei Tage in diesem Keller zugebracht hatte, und der Corporal berichtete ihm, wo das 119. Regiment biwakierte. Rob J. ließ sich von seinem guten Kameraden und schlimmsten Feind in einen unbenutzten Lagerraum führen, wo ein weiches Bett aus sauberem Heu für ihn aufgeschüttet worden war. Er legte sich hin und schlief sofort ein.

Spät am folgenden Nachmittag weckten ihn das Stöhnen und die Schreie der Verwundeten, die man um ihn herum auf den Boden gelegt hatte. Andere Chirurgen hatten die Tische übernommen und kamen gut ohne ihn zurecht. Es hatte keinen Sinn zu versuchen, den Abort der Kirche zu benutzen, da dieser schon längst übergelaufen war. Also trat Rob J. hinaus in den strömenden Regen und entleerte seine Blase hinter einigen Fliederbüschen, die jetzt wieder der Union gehörten. Ganz Gettysburg gehörte wieder der Union. Er hatte vergessen, wo sein Regiment lagerte, und fragte jeden, dem er begegnete. Schließlich fand er es südlich der Stadt, verstreut über mehrere Felder. Wilcox und Ordway begrüßten ihn mit einer Herzlichkeit, die ihn rührte.

Sie hatten Eier! Während Lanning Ordway Zwieback zerkrümelte und die Bröckchen mit Eiern als Frühstück für den Doktor in Schweinefett briet, berichteten sie ihm, was sich ereignet hatte - das Schlechte zuerst. Der beste Kornettbläser der Kapelle, Thad Bushman, war gefallen. »Er hatte nur ein winziges Loch in der Brust«, sagte Wilcox. »Die Kugel muss direkt ins Schwarze getroffen haben.« Lewin Robinson hatte es als ersten von den Bahrenträgern erwischt. »Wurde in den Fuß geschossen, kaum dass Sie weg waren«, erzählte Ordway. »Und Lawrence wurde gestern von der Artillerie fast in zwei Stücke gerissen.«

Ordway stellte die Pfanne mit dem Eier-Zwieback-Gemisch vor Rob J., der mit aufrichtiger Trauer an den ungeschickten Trommler dachte. Doch zu seiner Beschämung konnte er dem Essen nicht widerstehen, und er stürzte sich gierig darauf.

»Oscar war zu jung. Er hätte eigentlich zu Hause bei seiner Ma bleiben sollen«, sagte Wilcox bitter.

Rob J. verbrannte sich den Mund an dem Kaffee, der entsetzlich war und trotzdem herrlich schmeckte. »Wir hätten eigentlich alle bei unseren Mas zu Hause bleiben sollen«, meinte er und rülpste. Er aß etwas langsamer weiter und trank eine zweite Tasse Kaffee, während sie ihm schilderten, was in den beiden Tagen passiert war, die er im Keller der Kirche zugebracht hatte.

»Am ersten Tag drängten sie uns zurück auf die Anhöhe nördlich der Stadt«, sagte Ordway. »Das war das Beste, was uns passieren konnte. Am nächsten Tag standen wir in einer langen Linie, die zwischen zwei Hügelpaaren verlief, zwischen Cemetery Hill und Culp’s Hill im Norden, nahe der Stadt, sowie Round Top und Little Round Top ein paar Meilen weiter südlich. Die Kämpfe waren furchtbar. Furchtbar. Eine Unmenge Gefallener. Wir kamen gar nicht mehr nach mit dem Abtransportieren der Verwundeten.

»Aber wir haben es gut gemacht«, warf Wilcox ein. »Wie Sie’s uns gezeigt haben.«

»Davon bin ich überzeugt.« Rob J. nickte.

»Am nächsten Tag sollten wir Howards Korps verstärken. Gegen Mittag wurden wir von Konföderiertenkanonen in die Mangel genommen«, erzählte Ordway weiter. »Unsere Vorposten stellten fest, dass, während die uns beschossen, eine Menge Konföderierte tief unter uns auf der anderen Seite der Straße im Wald verschwanden. Wir sahen hier und da Metall durch die Bäume blitzen. Das Kanonenfeuer dauerte noch eine Stunde oder länger, und wir bekamen einiges ab, aber wir waren die ganze Zeit über auf der Hut, weil wir wussten, dass sie angreifen wollten. Irgendwann am Nachmittag hörten ihre Kanonen auf zu schießen und unsere auch. Und dann schrie jemand: >Sie kommen !<, und fünfzehntausend Rebellenstrolche in grauer Uniform kamen aus dem Wald. Lees Jungs kamen Schulter an Schulter auf uns zu, Reihe hinter Reihe. Ihre Bajonette sahen aus wie ein langer Stahlzaun über ihren Köpfen, der in der Sonne glänzte. Man hörte keinen Kriegsschrei, sie kamen ohne ein Wort mit schnellen, entschlossenen Schritten auf uns zu.« Ordway legte eine kleine Pause ein.

»Robert E. Lee hat uns schon oft den Arsch versohlt«, fuhr er dann fort, »und ich weiß, dass er ein gemeiner, hinterlistiger Hurensohn ist, aber hier in Gettysburg war er nicht hinterlistig. Wir trauten unseren Augen nicht, als die Rebellen da über offenes Gelände auf uns zukamen, wo wir doch auf der Anhöhe standen und sie uns schutzlos ausgeliefert waren. Wir wussten, dass sie in den Tod liefen - und sie müssen’s auch gewusst haben.

Wir ließen sie fast eine Meile marschieren, ohne was zu tun. Colonel Symonds und die anderen Colonels entlang unserer Linie brüllten immer wieder: >Nicht schießen, nicht schießen! Lasst sie näher rankommen! Nicht schießen!< Und das müssen die Grauröcke auch gehört haben. Als sie so nahe waren, dass wir ihre Gesichter erkennen konnten, eröffnete unsere Artillerie auf dem Little Round Top und dem Cemetery Hill das Feuer, und viele von den Männern verschwanden einfach. Die, die übrig waren, kamen durch die Rauchwolken weiter auf uns zu. Schließlich schrie Colonel Symonds: >Feuer!<, und jeder von uns schoss einen Rebellen ab. Irgend jemand brüllte >Fredericksburg<, und dann schrien es plötzlich alle. >Fredericksburg! Fredericksburg!

Fredericksburg!< Es wurde nur noch geschossen und geladen, geschossen und geladen, geschossen und geladen... Sie kamen nur an einer Stelle bis zu der Steinmauer am Fuß unseres Hügels, und die es schafften, kämpften mit dem Mut der Verzweiflung, aber sie wurden alle getötet oder gefangengenommen«, schloss Ordway.

Rob J. nickte: Das musste der Zeitpunkt gewesen sein, als das Triumphgeschrei losbrach.

Wilcox und Ordway hatten die ganze Nacht Verwundete transportiert, und jetzt begleitete Rob J. sie durch den nach wie vor strömenden Regen. Als sie das Schlachtfeld erreichten, stellte er fest, dass der Regen ein wahrer Segen war, da er den Leichengestank etwas milderte, der trotzdem entsetzlich war. Überall aufgedunsene Leiber.