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Er war fasziniert von den Gründen, die Menschen dazu brachten, einander zu hassen, und er studierte Lanning Ordway, als sei der hinkende Sergeant ein Käfer unter seinem Mikroskop. Hätte Ordway nicht dann und wann Hass versprüht wie ein überlaufender Kessel und hätte Rob J. nicht gewusst, dass über zwölf Jahre zuvor in seinem eigenen Wald in Illinois ein grässliches, ungeahndetes Verbrechen begangen wurde, er hätte Ordway als einen der liebenswürdigeren jungen Männer des Regiments betrachtet. Jetzt sah er den Bahrenträger regelrecht aufblühen; wahrscheinlich bescherte Ordway sein Dienst in der Armee mehr Erfolg, als er jemals gehabt hatte.

Im ganzen Regiment herrschte Hochstimmung. Die Kapelle des 119. Indiana zeigte Schmiss und Elan, als sie von Lazarett zu Lazarett zog und für die Verwundeten spielte. Der neue Kornettbläser war nicht so gut wie Thad Bushman, aber die Musiker spielten voller Stolz, weil sich während des Kampfgeschehens gezeigt hatte, dass auch sie gebraucht wurden.

»Wir sind miteinander durch die Hölle gegangen«, verkündete Wilcox eines Abends, als er zuviel getrunken hatte, feierlich und versuchte Rob J. mit seinen schielenden Augen zu fixieren. »Wir sind in den Rachen des Todes marschiert und wieder heraus und sind wie Wiesel durch das Tal der Schatten geflitzt. Wir haben der Bestie ins Auge gesehen. Wir haben den Kriegsschrei der Rebellen gehört und zurückgeschrien.«

Die Männer behandelten einander äußerst behutsam. Sergeant Ordway, Sergeant Wilcox und sogar der schmuddelige Corporal Addison Perry wurden geehrt, weil sie ihre Kameraden von der Kapelle ins Schlachtgetümmel geführt hatten, um Verwundete zu bergen. Die Geschichte von Rob J.s zweitägigem Operationsmarathon wurde in allen Zelten und Hütten immer und immer wieder erzählt, und die Männer wussten, dass er für die Einführung des Ambulanzdienstes in ihrem Regiment verantwortlich gewesen war. Sie grüßten ihn jetzt lächelnd, wenn sie ihn sahen, und niemand verlor mehr ein Wort über das Thema Latrinen.

Seine neue Beliebtheit gefiel Rob J. sehr. Einer der Soldaten der B-Kompanie der Zweiten Brigade, ein Mann namens Lyon, brachte ihm sogar ein Pferd. »Hab’ den Gaul reiterlos am Straßenrand gefunden«, erklärte er und übergab Rob J. die Zügel.

Der Arzt war verlegen und hoch erfreut über einen solchen Beweis der Zuneigung. Das lehmfarbene Tier war ein magerer Hengst mit einem Hohlkreuz und hatte wahrscheinlich einem gefallenen oder verwundeten Rebellen gehört, denn sowohl Pferd als auch der blutbespritzte Sattel wiesen das Brandzeichen der Konföderierten auf.

Obwohl der Gaul Kopf und Schwanz müde hängen ließ, stumpfe Augen hatte und seine Mähne und sein Schweif voller Kletten waren, sagte Rob J.: »Soldat, das ist wirklich ein schönes Tier! Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.«

»Na ja - zweiundvierzig Dollar sollt’s Ihnen schon wert sein«, meinte Lyon.

Rob J. lachte, mehr aus Verlegenheit über seinen Hunger nach Zuneigung als über die Situation. Nach ausführlichem Feilschen ging das Pferd für vier Dollar fünfundachtzig in seinen Besitz über, wobei er dem Betrag noch das Versprechen hinzufügte, den Soldaten nicht wegen Plünderns zu melden.

Er gab dem Hengst reichlich Futter, entfernte geduldig die Kletten aus Mähne und Schweif, wusch das Blut vom Sattel, und rieb das Pferd an den Stellen mit Öl ein, an denen das Leder das Fell abgescheuert hatte. Doch als all das erledigt war, sah das Pferd immer noch sehr traurig aus, und so taufte ihn Rob J. Pretty Boy in der stillen Hoffnung, dass dieser Name dem hässlichen Tier wenigstens ein Mindestmaß an Freude und Selbstvertrauen schenken werde.

Er ritt auf Pretty Boy, als das 119.Indiana Regiment am 17. August Pennsylvania verließ. Kopf und Schweif ließ der Gaul zwar nach wie vor hängen, doch das Tier bewegte sich in der lockeren, gleichmäßigen Gangart eines Pferdes, das lange Strecken gewohnt ist. Falls irgend jemand im Regiment nicht sicher war, in welche Richtung der Marsch führte, wurde er aufgeklärt, als Kapellmeister Warren Fitts in seine Pfeife blies, Kinn und Taktstock hob, und die Kapelle »Maryland, My Maryland« intonierte.

Das 119. Regiment überquerte den Potomac sechs Wochen nach Lees Truppen und einen vollen Monat nach den ersten Einheiten der eigenen Armee. Sie folgten dem Spätsommer nach Süden, und der milde Herbst holte sie erst ein, als sie schon tief nach Virginia vorgedrungen waren. Sie waren alte Hasen, chigger- und kampferprobt, aber das Kriegsgeschehen konzentrierte sich momentan im Westen, und das 119. Indiana genoss die ruhige Phase. Lees Soldaten zogen durch das Shenandoah Valley, wo Unionsspäher sie auskundschafteten und berichteten, sie seien in guter Verfassung, wenn man von einem offensichtlichen Mangel an Versorgungsgütern -

vor allem Schuhen - absehe.

Als sie zum Rappahannock kamen und feststellten, dass die Konföderierten erst vor kurzem hier kampiert hatten, hingen schwere Herbstregenwolken am Himmel. Obwohl Rob J. protestierte, errichteten sie ihre Zelte auf dem ehemaligen Lagerplatz der Rebellen. Major Coppersmith war ein gebildeter und kompetenter Arzt, doch er hielt sich nicht damit auf, sich auch noch über Scheiße Gedanken zu machen, und er belästigte auch niemanden mit dem Ansinnen, Latrinen zu graben. Er teilte Rob J. mit schonungsloser Deutlichkeit mit, dass die Zeiten vorüber seien, da ein Zivilist die medizinischen Anordnungen für das Regiment traf. Der Major hielt seine Sprechstunden am liebsten allein ab, außer er fühlte sich schlecht, was allerdings nicht oft vorkam. Und er sagte, solange sich eine Schlacht nicht wieder zu Gettysburg-Dimensionen ausweite, reichten er und ein Freiwilliger aus, um in der Sanitätsstation Kompressen anzulegen. Rob J. schaute ihn lächelnd an. »Und was bleibt für mich zu tun?«

Major Coppersmith runzelte die Stirn und glättete mit dem Zeigefinger seinen Schnurrbart. »Nun, Sie können sich um die Bahrenträger kümmern, Dr. Cole«, antwortete er.

So wurde Rob J. Opfer seiner eigenen Schöpfung, gefangen in dem von ihm selbst gesponnenen Netz. Er hätte Besseres gewusst, als sich um die Bahrenträger zu kümmern, doch nachdem ihre Belange nun seine einzige Aufgabe waren, erschien es ihm ein Unding, sich darauf zu beschränken, die Trupps nur hinauszuschicken und zuzusehen, was mit ihnen geschah. Also stellte er einen eigenen Trupp zusammen: zwei Musiker - den neuen Kornettbläser Alan Johnson und den Querpfeifer Lucius Wagner - und als vierten Bahrenträger Corporal Amasa Decker, den Posthalter und Briefträger des Regiments. Die Trupps rückten abwechselnd aus. Er erklärte den neuen Männern, was er schon den ersten fünf Trägern erklärt hatte, von denen jetzt einer tot und der andere amputiert war, dass nämlich die Bergung von Verwundeten nicht gefährlicher sei als alles andere, was mit dem Krieg in Verbindung stehe. Wieder redete er sich ein, dass alles gutgehen werde, und er fügte seinen Trupp in den Wechseldienst ein.

Das 119. Regiment und eine ganze Anzahl anderer Einheiten der Potomac-Army folgten der Spur der Konföderierten entlang des Rappahannock zu seinem größten Nebenfluss, dem Rapidan. Sie marschierten Tag für Tag am Wasser entlang, in dem sich nur das Grau des Himmels spiegelte. Lee war, sowohl was die Truppenstärke als auch was die Versorgung betraf, unterlegen und nicht auf eine Konfrontation aus. Die Lage in Virginia spitzte sich erst zu, als das Kriegsglück im Westen die Union verließ. General Braxton Braggs Konföderierte führten am Chickamauga Creek bei Chattanooga einen schrecklichen Schlag gegen General William Rosecrans’ Unionstruppen, der die Bundesarmee mehr als sechzigtausend Mann kostete. Lincoln und sein Kabinett hielten eine Krisensitzung ab und beschlossen, Hookers beide Korps von der Potomac-Army in Virginia abzuziehen und per Eisenbahn nach Alabama zu schicken, um Rosecrans zu unterstützen. Nachdem Meades Heer um zwei Korps ärmer war, hörte Lee auf davonzurennen. Er teilte seine Armee und versuchte, Meade in die Zange zu nehmen, indem er in westlicher und nördlicher Richtung auf Manassas und Washington zumarschierte. Damit begannen die Scharmützel.