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Meade achtete darauf, zwischen Lees Heer und Washington zu bleiben. Doch die Unionsarmee fiel bei sporadischen Kämpfen immer wieder ein, zwei Meilen zurück, bis es schließlich vierzig Meilen waren.

Rob J. bemerkte, dass jeder Bahrenträger anders an seine Aufgabe heranging. So legte Wilcox eine verbissene Entschlossenheit an den Tag, während Ordway mit sorgloser Tapferkeit vorging, wenn er wie eine große, hinkende Krabbe zu einem Verwundeten eilte und ihn mit den anderen vorsichtig zurücktrug, indem er seine Ecke der Bahre hoch und gerade hielt und mit der Muskelkraft der Arme seinen unregelmäßigen Gang ausglich.

Rob J. hatte mehrere Wochen Zeit, um über den ersten Einsatz seiner Mannschaft nachzudenken, bis es soweit war. Leider hatte er ebensoviel Phantasie wie Robinson -vielleicht sogar noch mehr: Er konnte sich alle möglichen Arten und Umstände vorstellen, getroffen zu werden. In seinem Zelt fertigte er inzwischen beim Licht der Lampe eine Reihe von Zeichnungen an, die Wilcox’ Mannschaft im Einsatz zeigten: drei Männer, gebückt gegen einen möglichen Ansturm von Bleikugeln, der vierte, im Rennen die Bahre als armseligen Schild vor sich haltend. Er zeichnete Ordway beim Zurückkommen, wie er hinten rechts die Bahre trägt. Während die anderen drei angespannte, furchtsame Gesichter zeigen, sind Ordways schmale Lippen zu einer Mischung aus Lächeln und Hohn verzogen: ein Mann ohne erkennbare Begabungen, der endlich etwas gefunden hat, das er wirklich gut kann. Was wird Ordway tun, fragte sich Rob J., wenn der Krieg zu Ende ist und er keine Verwundeten mehr vom Schlachtfeld bergen kann?

Von seiner eigenen Mannschaft machte Rob J. keine Zeichnungen: Sie war bisher noch nicht ausgerückt. Der erste Einsatz erfolgte am 7. November. Das 119. Indiana wurde in der Nähe eines Ortes namens Kelly’s Ford über den Rappahannock geschickt. Das Regiment überquerte den Fluss am späten Vormittag, wurde jedoch durch intensiven Beschuss aufgehalten, und innerhalb von zehn Minuten bekam der Sanitätstrupp die Nachricht, dass ein Verwundeter zu bergen sei. Rob J. und seine drei Helfer liefen zu einer Wiese, wo ein halbes Dutzend Männer hinter einer efeubewachsenen Steinmauer kauerten und in den Wald feuerten. Auf dem ganzen Weg zur Mauer wartete Rob J., auf ein Geschoss, das sich in sein Fleisch bohrte. Die Luft schien dick wie Sirup zu sein und seine Nasenlöcher zu verstopfen. Er hatte das Gefühl, sich nur mit äußerster Anstrengung vorwärtskämpfen zu können, und seine Beine versagten ihm fast den Dienst. Den Soldaten hatte es an der Schulter erwischt. Die Kugel saß im Fleisch und musste herausgeholt werden - aber nicht unter Beschuss. Rob J. nahm eine Kompresse aus seinem mee-shome und verband die Wunde, um die Blutung zu stillen. Dann legten sie den Verwundeten auf die Bahre und machten sich in schnellem Tempo auf den Rückweg. Rob J. war sich bewusst, welch ausgezeichnete Zielscheibe sein breiter Rücken am Ende der Bahre darstellte. Er hörte jeden Schuss, der abgegeben wurde, und das Geräusch der Kugeln, die vorbeiflogen, durch das Gras zischten und sich schließlich ganz in ihrer Nähe in die Erde gruben.

Neben ihm stöhnte Amasa Decker. »Getroffen?« fragte Rob J. keuchend. »Nein.« Sie fielen in Laufschritt und erreichten - nach einer Ewigkeit, wie es ihnen vorkam - den flachen Schützengraben, in dem Major Coppersmith seine Sanitätsstation eingerichtet hatte.

Als sie den Verwundeten dem Arzt übergeben hatten, fielen die vier Träger ins Gras und schnappten nach Luft wie frisch gefangene Forellen.

»Diese Minies hörten sich an wie Bienen«, schnaufte Lucius Wagner.

»Ich dachte, unser letztes Stündlein habe geschlagen«, japste Amasa Decker. »Sie nicht, Doc?«

»Ich hatte Angst, aber ich habe mich auf meinen Schutz verlassen.«

Rob J. zeigte ihnen das mee-shome und erklärte ihnen, dass die Riemen, die izze, ihn, wie die Sauks sagten, vor Verletzungen durch Geschosse schützen würden. Decker und Wagner hörten aufmerksam zu, Wagner leicht lächelnd.

Am Nachmittag wurde nur noch ganz vereinzelt geschossen. Beide Seiten hatten einen toten Punkt - bis zum Einbruch der Dämmerung, als zwei Brigaden der Union den Fluss überquerten und am 119. Regiment vorbei in dem einzigen Bajonettangriff vorstürmten, den Rob J. im Laufe des Krieges sehen sollte. Die Infanterie des 119.

Regiments pflanzte ebenfalls die Bajonette auf und schloss sich dem Angriff an, dessen Überraschungsmoment und geballte Kraft es der Union ermöglichten, den Feind zu überrollen und mehrere tausend Konföderierte zu töten oder gefangenzunehmen. Die Verluste auf der Seite der Union waren leicht, doch Rob J. und seine Träger mussten vor Anbruch der Nacht noch ein halbes dutzendmal ausrücken. Die drei Soldaten waren zu der Überzeugung gelangt, dass Doc Cole und sein indianisches Medizinerbündel sie zu einer vom Glück begünstigten Mannschaft machten, und als sie zum siebtenmal heil zurückkamen, glaubte Rob J. genauso fest an die Macht seines mee-shome wie seine Leute. An jenem Abend, nachdem die Verwundeten versorgt waren, sah Gardner Coppersmith ihn im gemeinsamen Zelt mit leuchtenden Augen an. »Das war ein wahrhaft glorreicher Bajonettangriff, finden Sie nicht, Cole?«

Rob J. dachte eine Weile nach. »Es war wohl eher ein Gemetzel«, sagte er dann müde.

Der Regimentsarzt betrachtete ihn voller Abscheu. »Wenn Sie das so sehen, warum sind Sie dann hier?«

»Weil hier die Patienten sind«, antwortete Rob J.

Dennoch beschloss er, das 119. Indiana Ende des Jahres zu verlassen. Es stimmte ja, dass hier die Patienten waren, die Hilfe brauchten, und er war zur Army gegangen, um sie medizinisch zu betreuen, doch Major Coppersmith war nicht bereit, ihm das zu gestatten. Ein erfahrener Arzt, der kaum mehr zu tun hatte, als eine Bahre zu tragen -das war in seinen Augen eine Verschwendung, und als Atheist sah er keinen Sinn darin, zu leben wie ein Märtyrer. Er wollte nach Hause zurückkehren, sobald sein Vertrag in der ersten Woche des Jahres 1864 auslief.

Der Weihnachtsabend verlief traurig und gleichzeitig bewegend. Vor den Zelten wurden Gottesdienste abgehalten. Auf der einen Seite des Rappahannock spielten die Musiker des 119. Indiana »Adeste Fidelis«, und als sie geendet hatten, intonierte am anderen Ufer die Konföderiertenkapelle »God Rest Ye Merry, Gentlemen«.

Die Melodie wehte geisterhaft über das dunkle Wasser, und dann folgte »Silent Night«. Kapellmeister Fitts hob seinen Taktstock, und die Unionskapelle und die Konföderiertenmusiker spielten gemeinsam, und an beiden Ufern sangen die Soldaten mit. Sie konnten die Lagerfeuer des Gegners deutlich sehen.

Es wurde wirklich eine stille Nacht: Kein Schuss fiel. Als Festessen gab es zwar keinen Truthahn, doch die Army hatte für eine durchaus akzeptable Suppe gesorgt, die sogar Fleisch enthielt, das nach Rind schmeckte, und jeder Soldat des Regiments bekam einen Schluck Feiertagswhiskey. Das erwies sich als Fehler, denn der Schluck weckte den Durst nach mehr. Als das Konzert vorbei war, traf Rob J. Wilcox und Ordway, die vom Flussufer herauf wankten. Sie hatten dort einen Krug Fusel geleert, den sie von einem Händler erworben hatten. Wilcox stützte Ordway, war jedoch selbst nicht sicher auf den Beinen.