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Die Soldaten auf beiden Seiten waren dazu übergegangen, Zettel an ihre Kleidung zu heften, auf denen ihr Name und ihre Adresse standen, weil sie hofften, dass ihre Angehörigen benachrichtigt würden, wenn sie im Krieg blieben. Doch weder Rob J. noch seine drei Bahrenträger machten sich diese Mühe: Sie rückten ohne Furcht ins Feld aus, denn Amasa Decker, Alan Johnson und Lucius Wagner waren inzwischen überzeugt davon, dass Makwa-ikwas Magie sie tatsächlich beschützte. Und Rob J. ließ sich von ihrer Überzeugung anstecken. Es war, als gehe von dem mee-shome der Indianerin wirklich eine Kraft aus, die alle Kugeln abhielt und den Trupp unverwundbar machte.

Manchmal schien es, als sei schon immer Krieg gewesen, und als würde er ewig fortdauern. Doch dann las Rob J. eines Tages in einem zerfledderten Exemplar des »Baltimore American«, dass alle männlichen Südstaatler zwischen siebzehn und fünfzig zum Dienst in der Konföderiertenarmee eingezogen worden seien. Das bedeutete, dass es inzwischen keinen Ersatz mehr für die Gefallenen gab und die gegnerische Armee zwangsläufig kleiner wurde. Rob J. sah auch, dass die Konföderierten, die gefangengenommen oder getötet wurden, allesamt zerfetzte Uniformen und ebensolches Schuhwerk trugen. Er fragte sich verzweifelt, ob Alex noch am Leben war, und wenn ja, ob er Essen, Kleidung und Schuhe hatte. Colonel Symonds kündigte an, dass das 119. Indiana in Kürze eine große Anzahl Sharps-Karabiner bekomme, die mit Schnellfeuermagazinen ausgerüstet seien. Auch das deutete daraufhin, in welche Richtung sich der Krieg entwickelte: Der Norden stellte die besseren Waffen, die bessere Munition und die besseren Schiffe her, und der Süden litt unter schwindenden Soldatenzahlen und einem entschiedenen Mangel an allem, was aus Fabriken kam.

Doch die Konföderierten schienen nicht einsehen zu wollen, dass sie an einem extremen industriellen Rückstand litten, und sie kämpften mit einer Besessenheit, die ihr Schicksal bald besiegeln sollte.

Eines Tages, gegen Ende Februar, wurden die vier Bahrenträger zu einem Captain namens Taney von der A-Kompanie der Ersten Brigade gerufen, der in aller Ruhe eine Zigarre paffte, obwohl ihm eine Kugel das Schienbein durchschlagen hatte. Rob J. sah, dass es keinen Sinn hatte, eine Schiene anzulegen, da das Geschoss mehrere Zentimeter des Knochens und des Wadenbeins weggerissen hatte und das Bein unterhalb des Knies amputiert werden musste. Als er eine Kompresse aus seinem mee-shome nehmen wollte, stellte er fest, dass der Medizinbeutel nicht da war.

Sein Magen krampfte sich zusammen, als ihm einfiel, wo er ihn gelassen hatte: vor dem Sanitätszelt im Gras!

Die anderen wussten das auch.

Er nahm Alan Johnson seinen Gürtel ab und legte ihn als Aderpresse an, und dann hoben sie den Captain gemeinsam auf die Bahre und wankten mit ihm davon, als wären sie betrunken. »Gütiger Gott«, sagte Lucius Wagner. Das sagte er stets, wenn er Angst hatte, in vorwurfsvollem Ton. Diesmal flüsterte er es immer und immer wieder, bis er den anderen damit auf die Nerven ging, aber keiner beschwerte sich oder befahl ihm, den Mund zu halten, denn alle warteten furchtsam darauf, dass eine Kugel ihren Körper treffen könnte, der ohne den Schutz der Magie den Greueln des Krieges ausgeliefert war.

Sie bewegten sich langsamer und unbeholfener als bei ihrem allerersten Einsatz. Immer wieder bellte Gewehrfeuer, doch die Bahrenträger blieben verschont. Endlich erreichten sie das Sanitätszelt, und nachdem sie den Patienten in Major Coppersmiths Obhut übergeben hatten, hob Amasa Decker das mee-shome vom Boden auf und drückte es Rob J. in die Hand. »Hängen Sie es um! Sofort!« Und Rob J. gehorchte.

Die drei Träger berieten sich und kamen überein, gemeinsam darauf zu achten, dass der Doc jeden Morgen als erstes das mee-shome umhängte.

Zwei Tage später war Rob J. sehr froh, das Medizinbündel dabeizuhaben: Das 119. Indiana kam eine halbe Meile vor der Stelle, an der der Rapidan in den größeren Fluss mündete, um eine Straßenbiegung und sah sich plötzlich einer Brigade in grauen Uniformen gegenüber. Beide Seiten eröffneten sofort das Feuer - die vordersten Männer aus nächster Nähe. Die Luft war erfüllt von Flüchen und Rufen, dem Knallen der Musketen und den Schreien der Getroffenen, und dann verhakten sich die beiden Frontlinien ineinander. Offiziere droschen mit ihren Degen auf den Gegner ein oder schossen kleine Handfeuerwaffen ab, Soldaten setzten ihre Gewehre als Keulen ein und ihre Fäuste, Fingernägel und Zähne, da keine Zeit zum Nachladen blieb. Rechts von der Straße befand sich ein Eichenwald, links ein gedüngtes Feld, gepflügt, geeggt und für die Saat bereit, so dass es aussah wie weicher Samt. Einige Männer beider Seiten nahmen Deckung hinter den Bäumen, doch der Großteil verteilte sich auf dem Feld und zerstörte die makellose Fläche. Zwei unregelmäßige, lückenhafte Schützenlinien feuerten aufeinander.

Für gewöhnlich hielt sich Rob J. bei Gefechten im Hintergrund und wartete ab, bis er hinausbeordert wurde, doch in dem Durcheinander fand er sich auf dem Rücken seines völlig verängstigten Pferdes plötzlich mitten in dem Gemetzel. Der Hengst scheute, bäumte sich auf und brach dann unter ihm zusammen. Rob J. konnte gerade noch abspringen, bevor das Tier zu Boden krachte und hufeschlagend und sich windend dort liegenblieb. Das kleine, schwarze Loch in Pretty Boys lehmfarbenem Hals blutete nicht, doch aus den geblähten Nüstern des im Todeskampf zuckenden Pferdes quoll ein roter Doppelstrom.

Das mee-shome enthielt auch eine Spritze mit einer Kupfernadel und Morphium, aber es herrschte noch immer ein großer Mangel an Opiaten, weshalb sie nicht an ein Tier verschwendet werden durften.

Zehn Meter entfernt lag ein junger gefallener Konföderiertenleutnant, und Rob J. ging zu ihm und zog den schweren, dunklen Navy-Revolver aus seinem Halfter. Dann kehrte er zu seinem armen Pferd zurück, drückte die Mündung der Waffe unter Pretty Boys Ohr und zog den Abzug durch.

Er hatte sich erst ein paar Meter entfernt, als er einen brennenden Schmerz in seinem linken Oberarm spürte —als habe ihn eine überdimensionale Biene gestochen. Er machte noch drei Schritte, dann schien die umbrafarbene, süßlich nach Dung riechende Erde sich hochzuwölben, um ihn aufzunehmen.

Sein Verstand arbeitete klar. Er wusste, dass er kurz das Bewusstsein verloren hatte und gleich wieder zu Kräften kommen würde, und währenddessen lag er da und betrachtete mit dem kritischen Auge eines Malers die ockerfarbene Sonne am rötlichen Himmel und hörte die Geräusche um sich herum leiser werden, als breite jemand eine Decke über den Rest der Welt. Er wusste nicht, wie lange er so dagelegen hatte, als er schließlich den Kopf zur Seite drehte, um einen Packen Kompressen aus seinem Medizinbündel zu nehmen und sie auf seine Wunde zu drücken. Das mee-shome war blutig, und Rob J. musste unwillkürlich darüber lachen, dass ein Atheist versucht hatte, aus einem alten, mit Wildschweinborsten verzierten Lederbeutel und ein paar bunten Riemen aus gegerbtem Leder einen Gott zu schaffen. Schließlich kam Wilcox’ Mannschaft, um ihn zu holen.

Der Sergeant- eine Kreatur, die ihn an Pretty Boy erinnerte - plapperte schielend und fürsorglich dieselben Nichtigkeiten, die er selbst in dem Bemühen, Trost zu spenden, tausendmal zu Patienten gesagt hatte. Die Südstaatler hatten erkannt, dass sie zahlenmäßig weit unterlegen waren, und sich bereits zurückgezogen. Das Gelände war mit toten Soldaten und Pferden, kaputten Wagen und verstreuten Ausrüstungsgegenständen übersät, und Wilcox überlegte laut, dass der Farmer wohl eine Menge Arbeit haben würde, um das Feld wieder in Ordnung zu bringen.