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schüttelte den Kopf, und der Arzt begriff, dass sein Patient so lange wie möglich bei Bewusstsein bleiben wollte.

Für Dr. Barr war es natürlich leichter, wenn ein Patient ahnungslos war und er Hoffnung vortäuschen konnte, indem er eine Medizin verabreichte und Vorschriften für die weitere Einnahme gab. Er tätschelte Rob J.s Schulter und ließ seine Hand kurz dort liegen. »Ich schaue morgen wieder vorbei«, sagte er mit erzwungener Gefasstheit. Doch in seinen Augen stand tiefes Bedauern.

»Können wir Ihnen nicht auf eine andere Weise helfen?« wandte sich Miriam Ferocia an Sarah. Sarah sagte, sie sei Baptistin, doch die drei Frauen knieten sich im Flur vor dem Krankenzimmer auf den Boden und beteten gemeinsam. An diesem Abend dankte Sarah den Nonnen und schickte sie fort.

Rob J. blieb bis gegen Mitternacht ruhig. Dann verlor er etwas Blut. Er hatte Sarah verboten, einen Priester kommen zu lassen, doch jetzt fragte sie ihn noch einmal, ob er nicht doch mit Reverend Blackmer sprechen wolle.

»Nein, ich schaffe es genausogut wie Ordway«, sagte er laut und deutlich.

»Wer ist Ordway?« fragte sie, doch Rob J. schien zu müde zu sein, um zu antworten.

Sie setzte sich an sein Bett. Er streckte die Hand aus, und sie nahm sie, dann fielen beide in einen leichten Schlaf. Kurz vor zwei Uhr nachts wachte sie auf und spürte sofort, wie kühl seine Hand war. Eine Zeitlang blieb sie bei ihm sitzen, dann zwang sie sich aufzustehen. Sie schraubte die Lampen hoch und wusch ihn zum letzten Mal, um die Spuren der letzten großen Blutung zu tilgen, die sein Leben fortgeschwemmt hatte. Sie rasierte ihn und tat all die Dinge, die er ihr bei anderen so oft gezeigt hatte, und dann zog sie ihm seinen besten Anzug an. Er war ihm jetzt zu groß, doch das spielte keine Rolle mehr. Als gewissenhafte Arztfrau wickelte sie die Tücher, die zu blutig waren, um noch ausgekocht zu werden, in ein Laken, um sie später zu verbrennen. Dann erhitzte sie Wasser für ein Bad und schrubbte sich mit Kernseife ab. Ihre Tränen vermischten sich mit der schaumigen Brühe. Bei Tagesanbruch saß sie in ihren Sonntagskleidern in einem Sessel neben der Küchentür. Als sie hörte, wie Alden das Scheunentor aufstieß, ging sie hinaus, um ihm zu sagen, dass ihr Mann gestorben sei, und ihn mit einer Nachricht zum Telegraphenbüro zu schicken, in der sie ihren Sohn Shaman bat, nach Hause zu kommen.

Sechster Teil. Der Landarzt

2. Mai 1864

Ratgeber

Als Shaman aufwachte, wurde er von zwei sehr gegensätzlichen Empfindungen bewegt: der Trauer über den Tod seines Vaters und dem Gefühl der Geborgenheit. Es war, als habe man ihm hier einen Platz freigehalten, den er jetzt so selbstverständlich wieder einnahm, als wäre er nie weggewesen. Das leichte Erbeben des Hauses, wenn ein plötzlich aufkommender Wind von der Prärie hereinfegte, war ihm ebenso vertraut wie der raue Stoff der Bettwäsche auf seiner Haut, die Frühstücksdüfte, die die Treppe heraufstiegen und ihn nach unten lockten, und das Glitzern der heißen, gelben Sonne in den Tautropfen auf dem Gras. Als er das Aborthäuschen verließ, überlegte er kurz, ob er zum Fluss hinunter gehen solle, doch es würde noch mehrere Wochen dauern, bis das Wasser warm genug zum Schwimmen war. Als er zum Haus zurückkehrte, kam Alden aus der Scheune und hielt ihn auf. »Wie lange wirst du bleiben, Shaman?«

»Ich weiß es noch nicht, Alden.«

»Ich frage, weil eine Menge Rainhecken zu pflanzen sind. Doug Penfield hat die Ränder schon gepflügt, aber nach dem, was alles passiert ist, sind wir mit den Frühlingslämmern und einem Dutzend anderer Arbeiten in Verzug. Ich könnte deine Hilfe beim Dornheckenpflanzen brauchen. Würde vielleicht vier Tage dauern.«

Shaman schüttelte den Kopf. »Nein Alden, ich kann nicht.« Als er die Verärgerung auf dem Gesicht des alten Mannes sah, fühlte er sich verpflichtet, eine Erklärung für seine Weigerung zu geben, doch er ließ es sein. Alden betrachtete ihn noch immer als den jüngeren Sohn vom Boss, dem man Aufträge erteilte, als den Tauben, der kein so guter Farmarbeiter war wie Alex. Shamans Ablehnung signalisierte eine Veränderung in ihrem Verhältnis, und er versuchte, das abzumildern. »Vielleicht kann ich in ein paar Tagen etwas auf der Farm tun.

Wenn nicht, musst du mit Doug allein zurechtkommen.« Alden sah ihn verstimmt an und stapfte davon.

Shaman und seine Mutter tauschten ein behutsames Lächeln aus, als er sich an den Frühstückstisch setzte. Sie hatten sich angewöhnt, über unverfängliche Themen zu sprechen. Er machte ihr Komplimente über die Würstchen und die Eier, die sie genau richtig gebraten hatte, ein Frühstück, das er seit seinem Weggang nicht mehr bekommen hatte. Sie erzählte, dass sie gestern auf dem Weg in die Stadt drei Blaureiher gesehen habe. »Es gibt in diesem Jahr mehr davon als sonst. Vielleicht sind sie durch den Krieg aus anderen Gegenden vertrieben worden.«

Er hatte am Abend zuvor lange im Tagebuch seines Vaters gelesen und hätte ihr gerne viele Fragen gestellt, doch er wusste, dass sie dies traurig machen würde.

Nach dem Frühstück nahm er sich die Patientenberichte seines Vaters vor. Niemand hatte genauere Protokolle geführt als Robert Judson Cole. Selbst wenn er todmüde war, hatte er vor dem Zubettgehen die Aufzeichnungen vervollständigt, und so war Shaman jetzt in der Lage, eine Liste all jener Leute aufzustellen, die sein Vater in den Tagen nach seiner Heimkehr behandelt hatte.

Er fragte seine Mutter, ob er Boss und den Wagen nehmen könne. »Ich möchte nach den Leuten sehen, die Pa besucht hat. Typhus ist eine sehr ansteckende Krankheit.« Sie nickte. »Eine gute Idee. Wie sieht’s mit dem Mittagessen aus?«

»Ich werde mir ein paar von deinen Brötchen mitnehmen.«

»Das hat er auch oft getan«, sagte sie leise.

»Ich weiß.«

»Ich werde dir etwas Richtiges zu essen einpacken.«

»Wenn es dir nicht zuviel Mühe macht.«

Er trat zu ihr und küsste sie auf die Stirn. Sarah blieb reglos sitzen, nahm aber die Hand ihres Sohnes und drückte sie. Wieder einmal fiel Shaman auf, wie schön seine Mutter war.

Seine erste Station war die Farm von William Bemis, der sich bei der Geburt eines Kalbes den Rücken verletzt hatte. Der Mann humpelte gebückt herum, sagte jedoch, sein Befinden habe sich gebessert.

»Allerdings hab’ ich kaum noch was von der stinkenden Tinktur, die mir Ihr Vater dagelassen hat.«

»Hatten Sie Fieber, Mr. Bemis?«

»Teufel, nein. Warum sollte ich Fieber kriegen, wenn ich mir das Kreuz verrenkt habe?« Er sah Shaman misstrauisch an. »Woll’n Sie mir was für den Besuch berechnen? Ich hab’ nicht nach einem Doktor geschickt.«

»Nein, Sir, ich berechne nichts dafür. Ich freue mich, dass es Ihnen besser geht.« Shaman füllte etwas von der

»stinkenden Tinktur« in die fast leere Flasche und verabschiedete sich.

Er beschloss, auch dort vorbeizusehen, wo sein Vater nur gewesen war, um alte Freunde zu begrüßen. Kurz nach Mittag kam er zu den Schroeders. »Genau richtig zum Essen«, freute sich Alma und schürzte missbilligend die Lippen, als er ihr eröffnete, dass er seine eigene Verpflegung dabeihabe.

»Na, dann kommen Sie rein, und verspeisen Sie die, während wir essen«, sagte sie, und er folgte der Einladung, froh, Gesellschaft zu haben. Sarah hatte ihm aufgeschnittenen Lammbraten, eine gebackene Süßkartoffel und drei Brötchen mit Honig eingepackt. Alma brachte eine Platte mit gebratenen Wachteln und Pfirsichtaschen aus der Küche. »Sie werden doch nicht die Taschen verschmähen, die ich mit meiner letzten Marmelade gefüllt habe!« sagte sie, und er aß zwei und ein Stück Wachtelbrust.

»Ihr Vater hat sich nie was mitgebracht, wenn er um die Essenszeit herkam«, erklärte Alma. Dann sah sie ihm geradewegs in die Augen. »Werden Sie jetzt in Holden’s Crossing bleiben? Als unser Doktor?« Er blinzelte verdutzt. Es war eine naheliegende Frage, eine Frage, die er sich eigentlich schon selbst hätte stellen müssen, was er jedoch vermieden hatte. »Wissen Sie, Alma... ich habe noch nicht darüber nachgedacht«, antwortete er lahm.