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Gus Schroeder beugte sich zu ihm hinüber und sagte flüsternd, als vertraue er ihm ein Geheimnis an: »Warum denken Sie dann nicht jetzt darüber nach?«

Gegen drei Uhr traf Shaman bei den Snows ein. Edwin Snow baute am Nordrand der Stadt Weizen an - an der am weitesten von der Cole-Farm entfernten Ecke. Er war einer derjenigen, die nach Doc Cole geschickt hatten, als sich herumgesprochen hatte, dass er wieder da sei, denn Ed hatte eine schlimm entzündete Zehe. Nun sah Shaman den Mann ohne das geringste Hinken auf sich zukommen. »Oh, dem Fuß geht’s gut«, sagte er fröhlich.

»Ihr Vater hat Tilda den Fuß festhalten lassen, während er die Zehe mit dem Messer aufschnitt. Ich hab’ sie in Salzlösung gebadet, wie er es mir empfohlen hat, um den Dreck rauszuziehen. Aber es passt gut, dass Sie vorbeikommen: Tilda fühlt sich nicht wohl.«

Mrs. Snow fütterte gerade die Hühner, doch schien sie sich kaum auf den Beinen halten zu können. Das Gesicht der großen, schweren Frau war hochrot, und sie gab zu, dass ihr »ein bisschen warm« sei. Shaman erkannte sofort, dass sie hohes Fieber hatte, und spürte ihre Erleichterung, als er ihr Bettruhe verordnete, obwohl sie den ganzen Weg zum Haus protestierte. Sie sagte, sie habe seit ein, zwei Tagen einen dumpfen Schmerz im Rücken und keinen Appetit. Shaman war alarmiert, zwang sich jedoch zu einem gelassenen Ton und befahl ihr, sich hinzulegen - Mr. Snow könne die Hühner und die anderen Tiere versorgen. Er ließ eine Flasche mit Tropfen da und versprach, am nächsten Tag wieder vorbeizukommen. Snow versuchte, ihm ein Honorar aufzudrängen, doch Shaman blieb fest: »Keine Bezahlung! Ich bin nicht Ihr Hausarzt. Ich komme ja nur so vorbei.« Es war ihm nicht möglich, Geld für die Behandlung einer Krankheit anzunehmen, die sich die Frau vielleicht von seinem Vater geholt hatte. Die letzte Station an diesem Tag sollte der Konvent der Franziskanerinnen sein. Mater Miriam Ferocia freute sich sichtlich, ihn zu sehen. Als sie ihm Platz anbot, entschied er sich für den Holzstuhl mit der geraden Rückenlehne, auf dem er schon gesessen war, als er seinen Vater hierher begleitete.

»So«, sagte sie. »Sie sehen sich also in der alten Heimat um.«

»Heute tue ich mehr als das. Ich versuche festzustellen, ob mein Vater irgend jemanden in Holden’s Crossing mit Typhus angesteckt hat. Haben Sie oder eine Ihrer Schwestern irgendwelche Symptome?« Mutter Miriam schüttelte den Kopf. »Nein - und ich rechne auch nicht damit. Wir sind daran gewöhnt, Menschen mit allen möglichen Krankheiten zu pflegen - wie Ihr Vater. Wahrscheinlich geht es Ihnen genauso.«

»Ja, ich denke schon.«

»Ich glaube, Gott hält seine schützende Hand über Menschen wie uns.«

Shaman lächelte. »Ich hoffe, Sie haben recht.«

»Hatten Sie es in Ihrem Krankenhaus oft mit Typhus zu tun?«

»Nicht gerade selten. Patienten mit ansteckenden Krankheiten sind dort getrennt von den übrigen in einem anderen Gebäude untergebracht.«

»Sehr vernünftig. Erzählen Sie mir von Ihrem Krankenhaus!« Er kam der Aufforderung nach und begann mit dem Pflegepersonal, weil er meinte, dass sie das besonders interessiere. Dann ging er zum internistischen, zum chirurgischen Stab und zu den Pathologen über. Sie stellte intelligente, gezielte Fragen. Er berichtete ihr von seiner Arbeit mit dem Chirurgen Dr. Berwyn und dem Pathologen Barnett McGowan.

»Demnach haben Sie eine gute Ausbildung genossen und viel Erfahrung gesammelt. Und was jetzt? Werden Sie in Cincinnati bleiben?« Er erzählte ihr, dass Alma ihn dasselbe gefragt habe und wie unangenehm es ihm gewesen sei.

Mater Miriam sah ihn neugierig an. »Und warum fällt Ihnen die Antwort so schwer?«

»Als ich noch hier lebte, fühlte ich mich immer unvollkommen: ein tauber Junge, der unter Hörenden aufwuchs.

Ich liebte und bewunderte meinen Vater und wollte sein wie er. Mein größter Wunsch war, Arzt zu werden, und so arbeitete und kämpfte ich für dieses Ziel, obwohl alle - auch mein Vater - meinten, ich könne es nicht schaffen. Der Traum, Arzt zu werden, hat sich erfüllt, ja, mehr noch, viel mehr. Nun bin ich nicht mehr unvollkommen, und ich bin wieder an dem Ort, den ich liebe. Für mich wird Holden’s Crossing immer nur einem Arzt gehören - meinem Vater.«

Mater Miriam nickte. »Aber er ist nicht mehr da, Shaman.« Er schwieg. Sein Herz klopfte so heftig, als erfahre er diese traurige Nachricht zum erstenmal.

»Ich hätte eine Bitte.« Sie deutete auf den Ledersessel. »Setzen Sie sich dorthin, wo er immer saß.«

Widerstrebend stand er auf und gehorchte. Sie wartete einen Augenblick. »Der Sessel ist sicher nicht so unbequem wie der Holzstuhl.«

»Er ist sehr bequem«, bestätigte er mit fester Stimme. »Und Sie passen gut hinein.« Sie lächelte leicht und gab ihm dann einen Rat, der fast wörtlich wie der von Gus Schroeder lautete: »Denken Sie darüber nach!«

Auf dem Heimweg hielt er bei Howard an und kaufte einen Krug Whiskey. »Tut mir leid wegen Ihrem Vater«, murmelte Julian Howard unbehaglich. Shaman nickte. Mehr hatten sie sich nicht zu sagen. Mollie Howard meinte, dass Mal und Alex es wohl geschafft hätten, in die Konföderierten-Army aufgenommen zu werden, denn sie hätten nichts von Mal gehört, seit die Jungen weggelaufen seien. »Wenn sie irgendwo auf dieser Seite der Front wären, hätte doch einer von beiden wohl mal ‘n Wort hören lassen.« Und Shaman sagte, er teile diese Ansicht.

Nach dem Abendessen brachte er den Whiskey zu Alden in die Hütte. Als Friedensangebot. Er goss sich sogar selbst etwas in eines der Marmeladengläser, weil er wusste, dass Alden nicht gern allein trank, wenn jemand bei ihm war. Er wartete, bis Alden ein paar ordentliche Schlucke genommen hatte, bevor er die Sprache auf die Farm brachte. »Warum haben du und Doug Penfield in diesem Jahr so große Schwierigkeiten, mit der Arbeit zu Rande zu kommen?« Die Antwort sprudelte nur so heraus: »Das hat sich schon seit langem angekündigt. Wir verkaufen kaum mal ein Tier, höchstens zu Ostern ein oder zwei Frühlingslämmer an einen Nachbarn. Und so wird die Herde jedes Jahr größer, und es sind immer mehr Tiere zu waschen und zu scheren und immer mehr Weiden einzuzäunen. Ich wollte ja mit deinem Pa drüber reden, bevor er zur Army ging, aber er wollte einfach nicht einsehen, dass es so nicht weitergehen kann.«

»Dann reden jetzt wir darüber. Was bekommen wir für ein Pfund Wolle?« fragte Shaman und zog sein Notizbuch und einen Bleistift aus der Tasche.

Fast eine Stunde lang sprachen sie über Wollqualitäten und Preise, stellten Vermutungen an, wie sich der Markt nach dem Krieg entwickeln werde, und errechneten, wieviel Platz jedes Schaf als Lebensraum braucht, sowie die nötige Arbeitszeit und die Kosten pro Tag. Als sie fertig waren, hatte Shaman sein ganzes Notizbuch vollgeschrieben. Alden war besänftigt. »Wenn du mir versprechen könntest, dass Alex bald nach Hause kommt, sähe die Sache anders aus. Der Junge ist ein Schwerarbeiter. Aber wie die Dinge liegen, kann er irgendwo da unten gefallen sein. Du weißt, dass das so ist, Shaman.«

»Ja, so ist es. Aber bis ich das Gegenteil höre, ist er für mich am Leben.«

»Ja, klar. Aber du solltest nicht mit ihm rechnen, wenn du deine Pläne machst.«

Shaman seufzte und stand auf. »Ich sage dir was, Alden: Ich muss morgen Nachmittag wieder Hausbesuche machen, aber vormittags werde ich Osagedorn anpflanzen.«

Am nächsten Morgen ging er schon ganz früh hinaus. Es war ein guter Tag, um im Freien zu arbeiten, trocken und windig, mit einem hohen Himmel, über den pralle Schönwetterwolken segelten. Er hatte sich schon lange nicht mehr körperlich betätigt und spürte bereits Muskelverspannungen, bevor das erste Loch fertig ausgehoben war. Er hatte erst drei Pflanzen gesetzt, als seine Mutter auf Boss angeritten kam, dicht gefolgt von einem schwedischen Rote-Bete-Farmer namens Par Swanson, den Shaman flüchtig kannte.