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»Nein, ganz bestimmt nicht.«

Ein paar Minuten später hatte er sich davon überzeugt, dass es dem Kleinen wirklich viel besser ging. Die Bäder und das Inhalieren hatten das Fieber gesenkt, sein Puls war stark und regelmäßig, und als Shaman das Stethoskop ansetzte und Rachel erklärte, worauf sie achten solle, konnte sie kein Rasseln feststellen. Shaman steckte die Stöpsel in Joshuas Ohren und ließ ihn seinen eigenen Herzschlag hören. Dann durfte Hattie das Stethoskop auf den Bauch ihres Bruders setzen, worauf sie verkündete, es gurgle darin.

»Das kommt, weil er hungrig ist«, erklärte Shaman und wies Rachel an, ihren Sohn ein, zwei Tage auf eine leichte, aber nahrhafte Diät zu setzen. Er erzählte den Kindern, dass ihre Mutter einige sehr gute Angelplätze am Fluss kenne, und lud sie ein, auf der Cole-Farm mit den Lämmern zu spielen. Dann verabschiedete er sich von ihnen und ihrer Großmutter. Rachel brachte ihn zur Tür.

»Du hast reizende Kinder.«

»Ja, das sind sie wirklich.«

»Es tut mir leid wegen deines Mannes, Rachel.«

»Danke, Shaman.«

»Und ich wünsche dir viel Glück für deine bevorstehende Hochzeit.« Rachel sah ihn erschrocken an. »Was für eine bevorstehende Hochzeit?« fragte sie.

In diesem Augenblick kam ihre Mutter die Treppe herunter. Lillian durchquerte die Halle schweigend, doch ihr hochrotes Gesicht sprach Bände.

»Da bist du falsch unterrichtet«, erklärte Rachel ihm so laut, dass ihre Mutter es hören konnte. »Ich habe keine Heiratspläne.« Sie war sehr blass geworden.

Als er an diesem Nachmittag auf dem Heimweg war, sah er vor sich eine einsame weibliche Gestalt, und beim Näherkommen erkannte er das blaue Hauskleid. Rachel trug feste Wanderschuhe und einen alten Hut als Schutz gegen die Sonne. Er rief ihr, und sie drehte sich um und begrüßte ihn ruhig.

»Darf ich ein Stück mitgehen?« fragte er.

»Das wäre nett.«

Also stieg er ab und führte Boss am Zügel.

»Ich weiß nicht, was in meine Mutter gefahren ist, dass sie dir erzählt hat, ich würde wieder heiraten. Joes Cousin macht mir zwar den Hof, aber wir werden nicht heiraten. Ich glaube, meine Mutter möchte mich mit ihm verkuppeln, weil sie findet, dass die Kinder wieder einen Vater brauchen.«

»Hier scheint eine Verschwörung der Mütter stattzufinden. Meine hat mir bis heute nicht gesagt, dass du wieder da bist. Sicherlich mit Absicht.«

»Ich finde es so kränkend von den beiden«, klagte Rachel, und er sah Tränen in ihren Augen glänzen. »Sie halten uns für dumm. Als ob ich nicht wüsste, dass ich einen Sohn und eine Tochter habe, die einen jüdischen Vater brauchen! Und ganz bestimmt ist das letzte, worauf du aus bist, eine jüdische Frau in Trauer mit zwei Kindern.«

Er lächelte sie an. »Es sind sehr nette Kinder. Und sie haben eine sehr nette Mutter. Aber es stimmt: Ich bin kein Fünfzehnjähriger mehr, der vor Liebe blind ist.«

»Ich habe nach meiner Heirat oft an dich gedacht. Es hat mir so leid getan, dass ich dir Kummer bereitet habe.«

»Ich habe ihn schnell überwunden«, log er.

»Wir waren Kinder, die in schwierigen Zeiten zusammenhielten. Mir graute schrecklich vor dem Heiraten, und du warst ein so guter Freund.« Sie lächelte. »Du warst mein tapferer Ritter. Als du noch ein Junge warst, versprachst du mir, für mich zu töten, um mich zu schützen. Jetzt sind wir erwachsen, und du hast meinem Sohn das Leben gerettet.« Sie legte die Hand auf seinen Arm. »Ich hoffe, dass wir für immer treue Freunde bleiben, Shaman, solange wir leben.«

Er räusperte sich. »Oh, da bin ich mir sicher, dass wir das bleiben«, sagte er verlegen. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her, dann fragte er sie, ob er sie ein Stück mitnehmen solle.

»Nein, ich gehe lieber zu Fuß.«

»Dann reite ich jetzt weiter. Ich habe noch eine Menge zu tun bis zum Abendessen. Auf Wiedersehen, Rachel!«

»Auf Wiedersehen, Shaman!«

Er stieg in den Sattel und ritt davon. Rachel ging mit entschlossenen Schritten ihres Weges.

Er sagte sich, dass sie eine starke und vernünftige Frau sei, die den Mut hatte, die Dinge zu sehen, wie sie sind, und er beschloss, sich ein Beispiel an ihr zu nehmen. Tatsache war, dass er eine Gefährtin brauchte.

Einer der Hausbesuche galt Roberta Williams, die unter »Frauenbeschwerden« litt und angefangen hatte, zuviel zu trinken. Er riss seinen Blick von der Schneiderpuppe mit den Elfenbein-Hinterbacken los, fragte Roberta nach ihrer Tochter und erfuhr, dass Lucille drei Jahre zuvor einen Postangestellten geheiratet habe und in Davenport lebe. »Kriegt jedes Jahr ein Kind. Kommt nur zu mir, wenn sie Geld braucht. So eine ist das«, beschwerte sich die erboste Mutter. Im Augenblick tiefster Unzufriedenheit wurde er auf der Hauptstraße von Tobias Barr angehalten, der mit zwei Damen in seinem Wagen saß. Die eine war seine zierliche, blonde Frau Frances und die andere deren Nichte, die aus St. Louis zu Besuch gekommen war. Evelyn Flagg war achtzehn Jahre alt, größer als Frances, aber ebenso blond, und hatte das schönste weibliche Profil, das Shaman je gesehen hatte.

»Wir zeigen Evie ein bisschen die Gegend«, erklärte Dr. Barr. »Ich dachte, sie würde sich vielleicht für Holden’s Crossing interessieren. Haben Sie >Romeo und Julia< gelesen, Shaman?«

»Ja, das habe ich. Warum?«

»Sie sagten doch mal, wenn Sie ein Stück kennen, sehen Sie es sich auch gerne auf der Bühne an. In Rock Island gastiert diese Woche ein Tourneetheater, und wir wollen die Vorstellung besuchen. Kommen Sie mit?«

»Das tue ich sehr gerne«, antwortete Shaman und lächelte Evelyn zu, die ihn bezaubernd anstrahlte.

»Kommen Sie um fünf zu uns«, sagte Frances Barr, »zu einem leichten Abendessen vor der Aufführung.«

Er kaufte sich ein weißes Hemd und eine schwarze, schmale Krawatte und las das Stück noch einmal. Die Barrs hatten auch Julius Barton und seine Frau eingeladen. Evelyn trug ein blaues Kleid, das gut zu ihrem blonden Haar passte. Es dauerte einen Moment, bis Shaman sich daran erinnerte, wo er dieses Blau kürzlich gesehen hatte: bei Rachels Hauskleid.

Frances’ leichtes Abendessen bestand aus sechs Gängen. Shaman fand es schwierig, eine Unterhaltung mit Evelyn zu führen. Wenn er ihr eine Frage stellte, antwortete sie mit einem flüchtigen, nervösen Lächeln, das jeweils von einem Nicken oder Kopfschütteln begleitet wurde. Sie sprach nur zweimal aus eigenem Antrieb: einmal, um ihrer Tante zu versichern, dass der Braten ausgezeichnet schmecke, und das zweitemal beim Dessert, um Shaman anzuvertrauen, sie esse Birnen und Pfirsiche gleich gern und sei froh, dass sie zu verschiedenen Zeiten reiften, weil sie sich so nie zwischen ihnen entscheiden müsse. Das Theater war bis auf den letzten Platz besetzt und der Abend so heiß, wie ein Abend gegen Ende des Sommers nur sein konnte. Sie betraten den Saal, kurz bevor der Vorhang aufging, denn die sechs Gänge hatten einige Zeit beansprucht. Tobias Barr hatte beim Kartenkauf an Shaman gedacht: Sie saßen in der Mitte der dritten Reihe. Kaum hatten sie Platz genommen, als die Vorstellung auch schon begann. Shaman verfolgte die Vorgänge auf der Bühne durch sein Theaterglas, das ihm half, von den Lippen der Schauspieler abzulesen, und die Darbietung gefiel ihm sehr gut.

Während der ersten Pause begleitete er Dr. Barr und Dr. Barton nach draußen, und während sie vor der Toilette hinter dem Theater in der Schlange standen, sprachen sie über die Aufführung. Sie fanden sie alle drei interessant. Dr. Barton meinte, die Darstellerin der Julia sei möglicherweise schwanger, und Dr. Barr sagte, der Romeo trage ein Bruchband unter seiner Strumpfhose.

Shaman hatte sich auf die Lippen der Schauspieler konzentriert, doch während des zweiten Akts musterte er Julia kritisch, fand aber keinerlei Bestätigung für Dr. Bartons Vermutung. Zweifellos jedoch trug Romeo ein Bruchband.

Am Ende des zweiten Akts wurden die Türen geöffnet, um frische Luft hereinzulassen, und die Lampen wurden angezündet. Shaman und Evelyn blieben auf ihren Plätzen sitzen und versuchten, sich zu unterhalten. Sie erzählte, sie gehe in St. Louis häufig ins Theater. »Ich finde es anregend, Schauspiele zu besuchen, Sie nicht?«