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»Joshua und ich«, korrigierte sie die Großmutter.

»Omi, du warst ja gar nicht in der Küche!«

»Die Nüsse sind köstlich«, sagte Sarah zu dem kleinen Mädchen. »Ich und Hattie haben sie gesammelt«, erklärte Joshua stolz.

»Hattie und ich«, korrigierte ihn Lillian.

»Nein, Omi, du warst nicht dabei. Wir waren auf dem Langen Weg, und ich und Hattie haben die Nüsse gesammelt, während Mama und Shaman auf der Decke saßen und sich an den Händen hielten.«

Ein kurzes Schweigen senkte sich über den Raum.

»Shaman hat Schwierigkeiten mit seiner Sprache«, sagte Rachel dann. »Er braucht wieder etwas Übung, und ich helfe ihm, wie ich es früher getan habe. Wir trafen uns auf dem Waldweg, und die Kinder machten sich derweil mit Begeisterung ans Nüssesuchen. Aber in Zukunft wird er hierher kommen, damit wir für die Übungen das Klavier benutzen können.«

Sarah nickte. »Es wird gut für Robert sein, an seiner Sprache zu arbeiten.«

Auch Lillian nickte, allerdings etwas steif. »Ja. Was für ein Glück, dass du wieder zu Hause bist, Rachel«, sagte sie und goss Shaman Tee nach.

Am nächsten Tag nahm er nach seinen Hausbesuchen den Langen Weg, und er sah Rachel kommen, obwohl er nicht mit ihr verabredet war.

»Wo sind meine Freunde?«

»Sie haben beim herbstlichen Hausputz geholfen und ihren Mittagsschlaf versäumt, und deshalb habe ich sie jetzt noch ins Bett geschickt.«

Er kehrte um und ging neben ihr her. Der Wald war voller Vögel, und auf einem Baum in der Nähe entdeckte er einen Kardinal, der herausfordernd, für ihn aber unhörbar trillerte.

»Ich habe mich mit meiner Mutter gestritten. Sie wollte, dass wir für die Feiertage nach Peoria fahren, aber ich bin nicht bereit, dort vor heiratswilligen Junggesellen und Witwern Spießruten zu laufen. Also werden wir die Feiertage zu Hause verbringen.«

»Gut«, sagte er, und sie lächelte. Es habe noch eine Auseinandersetzung gegeben, erzählte sie, weil Joe Regensbergs Cousin eine andere Frau heirate und das Angebot gemacht habe, die Regensberg Tin Company zu kaufen, nachdem er sie nicht durch Heirat in seinen Besitz habe bringen können. Das, vertraute sie Shaman an, sei auch der Grund für ihre Reise nach Chicago: Sie werde die Firma verkaufen. »Deine Mutter wird sich schon wieder beruhigen. Sie liebt dich.«

»Ich weiß, dass sie das tut. Wollen wir eine Übungsstunde abhalten?«

»Warum nicht?« Er streckte ihr die Hand hin.

Diesmal spürte er ein leichtes Zittern, als sie seine Finger in den ihren hielt. Vielleicht hatte der Hausputz sie so angestrengt oder der Streit. Doch er wagte zu hoffen, dass mehr dahintersteckte, und plötzlich lag eine Innigkeit in ihrer Berührung, die ihn veranlasste, seine Hand ganz in die ihre zu schieben.

Sie arbeiteten an der Atemkontrolle, die nötig war, um die kleinen Explosionen des Buchstaben P zu bewerkstelligen, und er wiederholte gerade mit ernstem Gesicht einen unsinnigen Satz über den Postboten Peter, der pausenlos Postpakete packte, als sie den Kopf schüttelte. »Nein. Fühl mal, wie ich es mache!« Sie legte seine Finger an ihren Kehlkopf.

Doch alles, was er fühlte, war Rachels warme weiche Haut. Er hatte es nicht geplant. Hätte er darüber nachgedacht, er hätte es nicht getan. Er ließ seine Hand aufwärts wandern, legte sie an ihre Wange und beugte sich vor, um Rachel zu küssen. Der Kuss war unendlich süß, der oft geträumte und ersehnte Kuss zwischen einem fünfzehnjährigen Jungen und dem Mädchen, in das er hoffnungslos verliebt war. Doch bald wurden sie zu einem Mann und einer Frau, die sich küssten, und ihr beiderseitiger Hunger erschreckte ihn dermaßen, stand so im Widerspruch zu der Absicht, eine lebenslange Freundschaft aufrechtzuerhalten, die sie ihm angeboten hatte, dass er Angst bekam, das alles für real zu nehmen.

»Rachel«, sagte er, als sie sich voneinander losrissen. »Nein! O Gott!«

Doch als sich ihre Gesichter wieder näherten, bedeckte sie seines mit kleinen, leichten Küssen - lauter heiße Regentropfen. Er küsste sie auf die Lider, die Mundwinkel und die Nase und spürte, wie ihr Körper sich an ihn drängte.

Auch Rachel war über sich selbst erschrocken. Sie legte eine zitternde Hand auf seine Wange, und er drehte den Kopf, bis er seine Lippen in ihre Handfläche drücken konnte.

Er sah sie die Worte sprechen, die ihm aus alter Zeit vertraut waren, weil sie Dorothy Burnham am Ende jedes Schultags sagte. »Ich denke, das reicht für heute«, sagte Rachel atemlos und wandte sich ab. Shaman stand da und sah ihr nach, wie sie mit schnellen Schritten davonging und um eine Biegung verschwand.

An diesem Abend machte er sich daran, die letzten Tagebucheintragungen seines Vaters zu lesen. Mit großer Traurigkeit sah er dem Ende Rob J. Coles entgegen, und er ließ sich von dem schrecklichen Krieg am Ufer des Rappahannock gefangennehmen, den der Vater in seiner großen, klaren Handschrift beschrieben hatte.

Als Shaman bei Rob J.s Entdeckung von Lanning Ordway anlangte, saß er eine ganze Weile da, ohne weiterzulesen. Es fiel ihm schwer zu glauben, dass sein Vater nach so vielen Jahren vergeblichen Suchens schließlich Kontakt zu einem der Männer bekommen hatte, die für Makwa-ikwas Tod verantwortlich waren. Er blieb die ganze Nacht auf. Ordways Brief an Goodnow las er wieder und wieder. Kurz vor Anbruch der Dämmerung kam er zu den letzten Eintragungen des Tagebuchs kurz vor dem Tod seines Vaters. Eine einsame Stunde lang lag er angezogen auf seinem Bett. Als er seine Mutter in der Küche rumoren hörte, ging er zur Scheune hinüber und bat Alden, ins Haus zu kommen. Dann zeigte er beiden den Brief und erzählte ihnen, wo er ihn gefunden hatte.

»Aus seinem Tagebuch? Du hast sein Tagebuch gelesen?« fragte Sarah.

»Ja. Möchtest du es auch lesen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Das brauche ich nicht. Ich war seine Frau. Ich kannte ihn.«

Die beiden bemerkten, dass Alden einen bösen Kater hatte, und Sarah goss für alle drei Kaffee ein.

»Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll.« Shaman ließ seine Mutter und Alden den Brief lesen.

»Was glaubst du denn, dass du noch tun kannst?« fragte Alden irritiert.

Er alterte rapide, bemerkte Shaman. Entweder trank er mehr als früher, oder sein Körper konnte den Whiskey nicht mehr so gut vertragen. Zitternd löffelte er sich Zucker in seine Tasse. »Dein Pa hat alles versucht, um die Sache mit der Sauk-Frau vor Gericht zu bringen. Meinst du, die werden jetzt mehr interessiert daran sein, nur weil du in dem Brief eines Toten einen Namen entdeckt hast?«

»Robert, wann wird das ein Ende finden?« fragte seine Mutter verbittert. »Dein Vater hat nie aufgehört, die Täter zu suchen, und du willst jetzt weitermachen? Die Gebeine dieser Frau liegen nun schon so viele Jahre unter der Erde - findest du nicht, dass die Tote Anspruch auf ihren Frieden hat? Kannst du den Brief nicht einfach zerreißen, den alten Schmerz vergessen, sie zur Ruhe kommen lassen - und mich auch?«

Alden schüttelte den Kopf. »Ich will nicht respektlos erscheinen, Mrs. Cole. Aber dieser Junge wird nie vernünftig sein, wenn es um die Indianer geht - genausowenig wie es der Doc war.« Er pustete auf seinen Kaffee, hob die Tasse mit beiden Händen an den Mund und trank einen Schluck, der ihm sicher den Mund verbrannte. »Nein, er wird sich darin verbeißen wie ein Hund in seine Beute. Wie sein Vater.« Er sah Shaman an. »Wenn du Wert auf einen Rat von mir legen solltest, was ich allerdings bezweifle, dann sage ich dir, dass du so bald wie möglich nach Chicago fahren solltest, um diesen Goodnow aufzusuchen und herauszufinden, ob er dir was sagen kann. Andernfalls wirst du dich immer nur quälen - und uns auch.«

Mater Miriam war nicht dieser Meinung. Als Shaman an diesem Nachmittag zum Konvent kam und ihr den Brief zeigte, nickte sie. »Ihr Vater hat mir von David Goodnow erzählt«, sagte sie ruhig.