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»Aber das wird schrecklich langweilig.«

»Bitte!«

Also beugte Rachel sich vor, gab dem Kutscher Anweisung, und das Pferd setzte sich in Bewegung.

Zuerst war sie verlegen, als sie ihm die Musikalienhandlung zeigte, in der sie Saiten und einen neuen Bogen für ihre Geige gekauft und die Wirbel hatte reparieren lassen. Doch dann entspannte sie sich allmählich und hatte Spaß, als sie die Läden wiedersah, in denen sie ihre Schuhe und Hüte gekauft hatte, und das Geschäft des Schneiders, bei dem sie zu einem Geburtstag ihres Vaters mehrere Frackhemden in Auftrag gegeben hatte. Dann kamen sie zu einem imposanten Gebäude, das, wie sie ihm erklärte, die Sinai Congregation beherbergte. »Hier habe ich donnerstags im Streichquartett gespielt, und an den Freitagabenden wurde Gottesdienst gehalten. Aber Joe und ich sind nicht hier getraut worden, sondern in der Kehilath Anshe Maarib Synagoge, deren prominentestes Mitglied Joes Tante Harriett war. Vor vier Jahren traten Joe und mehrere andere aus der Synagoge aus und gründeten die Sinai Congregation als Gemeinschaft des Reformierten Judaismus. Sie schafften eine Menge Rituale und Traditionen ab und verursachten damit einen großen Skandal. Tante Harriett war außer sich, aber ihr Groll hatte keinen dauerhaften Bruch zur Folge, und wir standen uns auch danach noch nahe. Als sie ein Jahr später starb, nannten wir Hattie nach ihr.«

Sie dirigierte den Kutscher zu einem Viertel mit kleinen hübschen Häusern, und in einer Straße namens Tyler Street deutete sie auf ein schindelgedecktes braunes Haus. »Da haben wir gewohnt.« Shaman erinnerte sich, wie sie früher ausgesehen hatte, und beugte sich vor, um sich das Mädchen von damals in diesem Haus vorzustellen.

Fünf Blocks weiter kamen sie zu einer Ansammlung von Geschäften. »Oh, wir müssen anhalten!« rief Rachel.

Sie stiegen aus und betraten einen Lebensmittelladen, in dem es nach Gewürzen duftete. Ein rotwangiger alter Mann mit einem weißen Bart und einer Statur wie Shaman kam auf sie zu und wischte sich strahlend die Hände an seiner Schürze ab.

»Mrs. Regensberg! Wie schön, Sie wiederzusehen!«

»Vielen Dank, Mr. Freudenthal. Ich freue mich auch, Sie wiederzusehen. Ich möchte meiner Mutter einige Dinge mitbringen.« Sie kaufte mehrere Sorten von geräuchertem Fisch, schwarze Oliven und ein großes Stück Mandelpastete. Der Lebensmittelhändler musterte Shaman mit einem prüfenden Blick. »Ehr is nit ah yiddischeh«, bemerkte er zu ihr.

»Nein«, bestätigte sie und setzte hinzu, als habe sie das Gefühl, eine Erklärung abgeben zu müssen: »Ehr is ein guteh Freint.« Ohne die Sprache zu verstehen, begriff Shaman, was gesagt worden war. Für einen Augenblick fühlte er sich gekränkt, doch gleich darauf erkannte er, dass die Frage des alten Mannes zu ihrem Leben gehörte wie Hattie und Joshua. Als er und Rachel noch Kinder gewesen waren, hatten solche Unterschiede keine Rolle gespielt, doch jetzt waren sie beide erwachsen und mussten ihnen ins Gesicht sehen. Und so lächelte er den Lebensmittelhändler, der ihm die Tüten in die Hand drückte, freundlich an. »Auf Wiedersehen, Mr.

Freudenthal!« sagte er und folgte Rachel aus dem Laden.

Sie brachten die Einkäufe ins Hotel. Es war inzwischen Zeit fürs Abendessen, und Shaman schlug vor, es im Hotel einzunehmen, doch Rachel erklärte, sie wisse ein besseres Lokal, und brachte ihn in ein kleines Restaurant, das Parkman Cafe hieß und das sie bequem zu Fuß erreichen konnten. Es war schlicht und nicht zu teuer, aber Essen und Bedienung waren gut. Als er sie nach der Mahlzeit fragte, was sie als nächstes unternehmen wolle, schlug sie einen Spaziergang am Michigansee vor.

Eine frische Brise kam vom Wasser herein, doch die Luft war sommerlich warm. Helle Sterne und die fast runde Scheibe des Mondes standen am Himmel, doch das Licht reichte nicht aus, um ihren Mund zu sehen, und so sprachen sie nicht. Bei einer anderen Frau hätte ihn das mit Unbehagen erfüllt, doch er wusste, dass Rachel sein Schweigen als selbstverständlich nahm, wenn es dunkel war.

Sie gingen den Uferweg entlang, bis Rachel unter einer Straßenlaterne stehenblieb und nach vorne auf eine gelbe Lichtquelle deutete. »Ich höre eine verrückte, lustige Musik!«

Als sie den erleuchteten Platz erreichten, bot sich ihnen ein merkwürdiger Anblick: eine geräumige runde Plattform, so groß wie der Melkplatz in einem Stall, auf der bemalte Holztiere befestigt waren; neben einer großen Kurbel stand ein Mann mit wettergegerbtem Gesicht.

»Ist das eine Drehorgel?« fragte Rachel.

»Non, das ist un carrousel. Man sucht sich ein Tier aus und reitet darauf. Tres dröle, tresplaisant«, erklärte der Mann. »Eine Fahrt kostet zwanzig Cent, mein Harr.«

Shaman setzte sich auf einen Braunbären, Rachel wählte ein leuchtendrotes Pferd. Der Franzose drehte ächzend die Kurbel, und sofort setzte sich das Karussell in Bewegung.

In der Mitte hing an einem Pfosten ein Messingring, unter dem ein Schild angebracht war, worauf stand, dass jeder mit einer Freifahrt belohnt werde, der den Ring zu fassen bekomme, während er auf einem Tier sitze.

Zweifellos war er für die meisten Fahrgäste außer Reichweite, doch Shaman streckte sich, so weit er konnte. Als der Franzose sah, dass er versuchte, den Ring zu fassen, drehte er die Kurbel schneller, worauf auch das Karussell rascher lief, doch beim zweiten Versuch erwischte Shaman den Ring. Er gewann mehrere Freifahrten für Rachel.

Nach kurzer Zeit wurde der Karussellbesitzer müde, und Shaman stieg von seinem Braunbären und übernahm die Kurbel. Er drehte schneller und schneller, und das rote Pferd wechselte von Trab in Galopp. Rachel warf den Kopf zurück und kreischte vor Vergnügen wie ein Kind, wenn sie an ihm vorbeikam. Ihre weißen Zähne blitzten, doch ihr Reiz hatte nichts Kindliches. Nicht nur Shaman war bezaubert, auch der Franzose musterte sie verstohlen-fasziniert. »Sie sind die letzten clients für 1864«, sagte er. »Für diese Saison ist fini. Bald kommt die Kälte.«

Rachel blieb zwölf Fahrten lang auf dem roten Pferd sitzen. Der Franzose wurde allmählich ungeduldig. Shaman gab ihm zum Fahrpreis ein großzügiges Trinkgeld, und der Mann schenkte Rachel einen weißen Glaskrug, auf dem ein gemalter Rosenstrauch prangte. Windzerzaust und lachend kehrten sie ins Hotel zurück. »Ich fand es herrlich«, sagte sie vor der Tür zu Zimmer Nummer 306. »Ich auch.« Bevor er noch etwas hinzufügen konnte, hatte sie ihn leicht auf die Wange geküsst und die Tür hinter sich geschlossen. Eine Stunde lang lag er angekleidet auf seinem Bett. Dann stand er auf und ging in den dritten Stock hinunter. Es dauerte ein Weilchen, bis sie auf sein Klopfen reagierte. Schon hatte ihn der Mut verlassen, und er wollte gerade wieder gehen, als die Tür endlich aufging und Rachel im Nachthemd vor ihm stand. Lange sahen sie einander an. »Kommst du rein, oder soll ich rauskommen?« fragte sie schließlich. Er sah, dass sie nervös war.

Er trat ins Zimmer und schloss die Tür. »Rachel...« begann er.

Doch sie legte ihm die Hand auf den Mund. »Als ich ein junges Mädchen war, ging ich oft den Langen Weg und machte an einer Stelle halt, wo der Wald sich bis zum Fluss hinunterzieht, direkt an der Grenze zwischen unserem und eurem Land. Ich sagte mir, du würdest schnell erwachsen werden und dort ein Haus bauen und mich davor bewahren, einen alten Mann mit schlechten Zähnen heiraten zu müssen. Ich stellte mir unsere Kinder vor, einen Sohn wie dich und drei Töchter, mit denen du liebevoll und geduldig umgehen und ihnen erlauben würdest, die Schule zu besuchen und so lange zu Hause zu wohnen, bis sie bereit wären, zu gehen.«

»Ich habe dich immer geliebt.«

»Ich weiß«, antwortete sie, und als er sie küsste, fingerte sie an seinen Hemdknöpfen herum.