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»Danke, Shaman!« sagte sie, und als er sie küsste, war ihre Wange nass.

Fünf Tage vor Nick Holdens geplanter Rede in Rock Island gab Shaman dem Vorsitzenden des Republikanischen Komitees einen Brief für ihn. Darin hieß es, dass Dr. Robert Jefferson Cole den Kommissar Holden in einer äußerst dringenden, wichtigen Angelegenheit um eine Unterredung bitte.

Am Tag des ersten Wahlkampfauftritts ging Shaman zu Nicks großem Holzhaus in Holden’s Crossing, wo ein Sekretär ihn empfing und nickte, als er seinen Namen hörte.

»Der Kommissar erwartet Sie«, sagte der Mann und führte Shaman ins Büro.

Holden hatte sich verändert, seit Shaman ihn das letzte Mal gesehen hatte. Er war jetzt stämmig, die grauen Haare wurden immer lichter, und rote Äderchen überzogen seine Wangen, aber er war noch immer ein gutaussehender Mann, der seine Selbstsicherheit wie einen gutgeschnittenen Anzug trug.

»Mein Gott, Sie sind der Kleine, der jüngere Sohn, nicht? Und jetzt sind Sie Arzt. Ich freu’ mich wirklich, Sie zu sehen. Wissen Sie was? Ich brauch’ mal wieder ‘ne vernünftige ländliche Mahlzeit. Sie begleiten mich zu Anna Wileys Restaurant, und ich spendier’ Ihnen ein richtiges Holden’s-Crossing-Essen.«

Shamans Erinnerung an das Tagebuch seines Vaters war noch so frisch, dass er Nick mit Rob J. Coles Augen sah, und so hätte er alles andere lieber getan, als mit ihm das Brot zu brechen. Aber er wusste, warum er hier war, und ließ deshalb die Fahrt in Nicks Kutsche zum Restaurant an der Hauptstraße über sich ergehen.

Natürlich mussten sie unterwegs an der Gemischtwarenhandlung anhalten, wo Nick - ganz der kluge Politiker, der er war - allen Männern auf der Veranda die Hand schüttelte und dafür sorgte, dass jeder »meinen guten Freund, den Doktor« kennenlernte.

Im Restaurant machte Anna Wiley viel Wirbel um die beiden, und Shaman kam in den Genuss ihres Schmorbratens, der gut war, und ihres Apfelkuchens, der ziemlich durchschnittlich war. Und schließlich kam er dazu, Nick Holden von Alex zu erzählen. Holden hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen, und nickte dann. »Seit drei Jahren ist er also schon gefangen?«

»Ja, Sir. Wenn er noch am Leben ist.« Nick zog eine Zigarre aus der Innentasche seiner Jacke und bot sie Shaman an. Als der sie ablehnte, biss er das Ende ab, zündete sie sich selbst an und blies nachdenklich den Rauch in Shamans Richtung. »Warum sind Sie zu mir gekommen?«

»Meine Mutter meinte, es würde Sie interessieren«, antwortete Shaman.

Holden sah ihn an und nickte. Dann lächelte er. »Ihr Vater und ich... Wissen Sie, als junge Männer waren wir dicke Freunde. Haben unseren Spaß gehabt, damals.«

»Ich weiß«, erwiderte Shaman knapp.

Offensichtlich brachte sein Ton Nick dazu, nicht weiter auf das Thema einzugehen. Er nickte noch einmal.

»Richten Sie Ihrer Mutter die besten Grüße von mir aus. Und sagen Sie ihr, dass ich mich persönlich um die Sache kümmern werde.«

Shaman dankte ihm. Doch als er wieder zu Hause war, schrieb er trotzdem an seinen Kongressabgeordneten und seinen Senator und bat die beiden um ihre Hilfe bei der Suche nach Alex.

Einige Tage nach ihrer Rückkehr aus Chicago sagten Shaman und Rachel ihren Müttern, dass sie beschlossen hatten zusammenzubleiben.

Sarah kniff die Lippen zusammen, als sie es hörte, doch sie nickte, ohne überrascht zu wirken. »Du wirst ihren Kindern ein guter Vater sein, so wie dein Pa Alex ein guter Vater war. Was ist, wenn du eigene Kinder hast -

wirst du sie taufen lassen?«

»Ich weiß es nicht, Ma. So weit sind wir noch nicht.«

»Ich würde mit ihr darüber reden, wenn ich du wäre.« Mehr hatte sie zu diesem Thema nicht zu sagen.

Rachel hatte weniger Glück. Sie und ihre Mutter stritten sich mehrere Male. Lillian war höflich zu Shaman, wenn er in ihr Haus kam, aber sie brachte ihm keine Herzlichkeit entgegen. Sooft es ihm möglich war, fuhr er mit Rachel und den Kindern aus, aber die Natur arbeitete gegen ihn, denn das Wetter wurde schlecht. So wie der Sommer früh und heiß und fast ohne vorhergehenden Frühling über das Land hereingebrochen war, kam auch der Winter in diesem Jahr vor der Zeit. Der Oktober war eiskalt. Shaman fand im Stall die Schlittschuhe seines Vaters; er kaufte den Kindern in Haskins Laden »Doppelkufen« und ging mit ihnen zum Eislaufen auf den gefrorenen Büffel-Sumpf, doch es war zu kalt für ein längeres Vergnügen. Es schneite am Tag der Wahl, bei der Lincoln mit großer Mehrheit wiedergewählt wurde, und am 18. des Monats fegte ein Schneesturm über Holden’s Crossing hinweg. Die weiße Decke, unter der er das Land begrub, sollte bis zum Frühjahr liegen bleiben.

»Hast du bemerkt, wie Alden zittert?« fragte seine Mutter eines Morgens Shaman.

Er hatte den Knecht schon eine ganze Weile beobachtet. »Er hat die Parkinsonsche Krankheit, Ma.«

»Was ist denn das?«

»Ich weiß nicht, was das Zittern verursacht, aber die Krankheit beeinträchtigt seine Muskelkontrolle.«

»Wird er daran sterben?«

»Manchmal verläuft die Krankheit tödlich, aber nicht sehr oft. Höchstwahrscheinlich wird sie langsam immer schlimmer werden. Vielleicht macht sie ihn zum Krüppel.«

Sarah nickte. »Die alte Haut wird langsam zu alt und zu krank, um die Farm zu leiten. Wir müssen uns überlegen, ob wir nicht Doug Penfield die Verantwortung übertragen und einen anderen als Aushilfe einstellen sollen. Können wir uns das leisten?«

Sie bezahlten Alden zweiundzwanzig Dollar im Monat und Doug Penfield zehn. Shaman rechnete es schnell durch und nickte dann. »Und was wird dann aus Alden?« fragte Sarah. »Na ja, er bleibt natürlich in seiner Hütte, und wir kümmern uns um ihn. Aber es wird schwierig werden, ihn zu überreden, die schwere Arbeit anderen zu überlassen.«

»Am besten, wir decken ihn mit Arbeit ein, die keine große Anstrengung verlangt«, sagte sie scharfsinnig, und Shaman nickte. »Ich glaube, da habe ich gleich etwas für ihn«, sagte er. An diesem Abend ging Shaman mit

»Rob J.s Skalpell« zu Alden. »Muss nachgeschliffen werden, was?« fragte Alden und nahm es ihm aus der Hand.

Shaman lächelte. »Nein, Alden, ich sorge selber dafür, dass es scharf bleibt. Es ist ein chirurgisches Messer, das seit Jahrhunderten im Besitz unserer Familie ist. Mein Vater hat mir erzählt, dass es im Haus seiner Mutter in einer kleinen Glasvitrine an der Wand hing. Ich habe mich gefragt, ob du mir ein solches Kästchen machen könntest.«

»Ich wüsst’ nicht, wieso nicht.« Alden drehte das Skalpell in der Hand hin und her. »Guter Stahl, das Ding.«

»Ja. Es lässt sich wunderbar schärfen.«

»Ich könnte dir auch ein solches Messer machen, falls du ein neues brauchst.«

Shaman horchte auf. »Würdest du das versuchen? Könntest du mir eins mit einer längeren und schmaleren Klinge machen als das da?«

»Dürfte kein Problem sein.« Shaman versuchte das Zittern seiner Hände zu übersehen, als Alden ihm das Messer zurückgab.

Es war sehr schwer, Rachel so nahe zu sein und doch so weit von ihr entfernt. Nirgends gab es einen Ort, wo sie sich lieben konnten. Sie stapften durch tiefen Schnee in den Wald, wo sie sich umarmten wie zwei Bären und eisige Küsse und dick gepolsterte Zärtlichkeiten austauschten. Shaman wurde launisch und mürrisch, und er bemerkte, dass Rachel dunkle Ringe unter ihren Augen hatte. Immer wenn er sie verließ, unternahm er ausgedehnte Spaziergänge. Eines Tages marschierte er den Kurzen Weg entlang und bemerkte, dass der Teil der Holzplatte auf Makwa-ikwas Grab, der aus dem Schnee herausragte, gesprungen war. Die runenähnlichen Zeichen, die sein Vater von Alden hatte ins Holz ritzen lassen, waren fast vollständig verwittert.

Er spürte Makwas Zorn aus der Erde und dem Schnee aufsteigen. Wieviel davon war Einbildung, wieviel sein schlechtes Gewissen? Ich habe getan, was ich kann. Was soll ich denn noch tun? Es gibt Wichtigeres in meinem Leben als die Tatsache, dass du keine Ruhe findest, sagte er gereizt im stillen zu ihr, drehte sich um und stapfte durch den Schnee zum Haus zurück.