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Den ersten ringförmigen Schnitt setzte er fünfzehn Zentimeter unterhalb des Ansatzes der Achillessehne, wobei er darauf achtete, dass ein wohlproportionierter Hautlappen zur Abdeckung des späteren Stumpfes entstand.

Immer wieder hielt er beim Schneiden inne, um die große und die kleine Wadenvene, die Venen des Schienbeins und die übrigen Blutgefäße abzubinden. Das Schienbein durchsägte er gleichmäßig - wie ein Mann, der Feuerholz sägt. Abschließend durchtrennte er das Wadenbein. Jetzt war der infizierte Teil des Beins abgelöst -

eine saubere, ordentliche Arbeit.

Mit sauberen Binden legte Shaman einen festen Verband an, damit der Stumpf später eine gute Form bekäme.

Zum Abschluss küsste er seinen noch immer bewusstlosen Bruder und trug ihn wieder hinauf in sein Zimmer.

Eine Zeitlang saß er am Bett und beobachtete Alex, aber nichts sprach für irgendeine Komplikation: keine Übelkeit, kein Erbrechen, keine Äußerung von Schmerzen. Alex schlief wie ein Arbeiter, der seine Ruhe verdient hat.

Nach einer Weile wickelte Shaman das abgetrennte Beinstück in ein Handtuch und trug es zusammen mit einem Spaten, den er im Keller gefunden hatte, in das Waldstück hinter dem Haus. Dort versuchte er, es zu vergraben, doch der Boden war hart gefroren, und der Spaten schlitterte über die eisige Oberfläche. Schließlich suchte Shaman dürres Holz zusammen und schichtete einen Scheiterhaufen auf, um das Beinstück nach Wikingerart zu bestatten. Er legte den blutigen Klumpen auf den Stoß, bedeckte ihn mit Holz und spritzte ein wenig Lampenöl darüber. Als er ein Streichholz anriss und an das Holz hielt, loderte das Feuer sofort auf. An einen Baum gelehnt, stand er da und sah den Flammen zu, mit trockenen Augen, aber einem schrecklichen Gefühl im Herzen, denn er fragte sich, was für eine Welt das denn ist, in der ein Mann seinem eigenen Bruder das Bein abschneiden und es verbrennen muss.

Der Sergeant in der Schreibstube des Gefangenenlagers kannte sich aus in der Unteroffiziershierarchie der Region, und er wusste, dass dieser fette, tonnenförmige Sergeant-Major nicht in Elmira stationiert war.

Normalerweise hätte er einen Soldaten, der fremd war, aufgefordert, die Einheit zu nennen, zu der er gehörte.

Doch das Auftreten dieses Mannes und vor allem sein Blick verrieten deutlich, dass er hier war, um etwas zu erfahren - nicht, um Auskunft zu geben. Der Sergeant wusste zwar, dass ein Sergeant-Major kein Gott war, aber er wusste auch, dass solche Dienstränge die Armee am Laufen hielten. Diese geringe Anzahl von Männern im höchsten Unteroffiziersrang konnten einem Soldaten eine günstige Stationierung verschaffen oder für eine Strafversetzung in ein einsames Fort sorgen; sie konnten einen Mann in dienstliche Schwierigkeiten bringen oder ihm heraushelfen; sie konnten Karrieren fördern oder zerstören. In der Welt der Sergeanten war ein Sergeant-Major furchteinflößender als jeder Offizier- und er beeilte sich deshalb, ihm gefällig zu sein.

»Ja, Sir«, sagte er schneidig nach einem Blick in die Unterlagen. »Sie haben ihn um etwas mehr als einen Tag verpasst. Dieser Kerl ist wirklich krank. Hat nur noch ein Bein, wissen Sie. Sein Bruder ist Arzt, Cole heißt er.

Hat ihn gestern vormittag in einem Wagen weggebracht.«

»In welche Richtung sind sie gefahren?« Der Sergeant sah ihn an und hob die Schultern. Der Dicke brummte und spuckte auf den frisch geputzten Boden. Dann verließ er die Schreibstube, bestieg seine wundervolle braune Kavalleriestute und ritt durch das Haupttor aus dem Gefangenenlager. Ein Tag Vorsprung bedeutete nichts, wenn der Bruder einen Invaliden mit sich schleppte. Es gab nur eine einzige Straße, sie konnten also nur in die eine oder in die andere Richtung gefahren sein. Er entschied sich für die nordwestliche. Sooft er an einem Laden, einem Farmhaus oder einem anderen Reisenden vorbeikam, hielt er an und fragte nach den Fremden. Auf diese Art ließ er die Dörfer Horseheads und Big Fiats hinter sich. Doch wen er auch fragte, niemand hatte das Fuhrwerk gesehen, nach dem er suchte.

Der Sergeant-Major war ein erfahrener Schnüffler. Er wusste, wenn eine Spur so unergiebig ist, dann handelt es sich höchstwahrscheinlich um die falsche Fährte. Also wendete er sein Pferd und ritt in die andere Richtung. Er ritt am Gefangenenlager vorbei und durch die Stadt Elmira. Zwei Meilen außerhalb der Stadt traf er einen Farmer, der sich an den Pritschenwagen erinnerte. Einige Meilen hinter der Ortsgrenze von Wellsburg kam er zu einer Gemischtwarenhandlung.

Der Besitzer lächelte, als er sah, dass der massige Soldat sich fröstelnd vor seinen Ofen stellte. »Kalt, nicht?«

Der Sergeant-Major verlangte Kaffee, und der Ladenbesitzer nickte und brachte ihm welchen.

Er nickte noch einmal, als der Mann seine Frage stellte.

»Aber natürlich. Die wohnen bei Mrs. Pauline Clay. Ich werd’ Ihnen sagen, wie Sie da hinkommen. Netter Mensch, dieser Dr. Cole. Kauft öfters bei mir ein. Freunde von Ihnen?«

Der Sergeant-Major nickte. »Gut, dass ich sie gefunden habe«, sagte er.

Die Nacht nach der Operation verbrachte Shaman in einem Sessel neben dem Bett seines Bruders. Alex schlief, doch sehr unruhig, offensichtlich hatte er Schmerzen.

Gegen Morgen döste Shaman kurz ein. Als er die Augen im grauen Licht des Morgens wieder aufschlug, sah Alex ihn an.

»Bigger, was ist?«

Alex leckte sich die trockenen Lippen, und Shaman holte Wasser und stützte ihm den Kopf, damit er trinken konnte, gestattete ihm allerdings nur wenige kleine Schlucke. »Ich hab’ mich was gefragt«, sagte Alex schließlich.

»Was?«

»Wie kann ich dir je wieder... einen Tritt in den Arsch geben... ohne auf die Schnauze zu fallen?«

Wie wohl das Shaman tat, dieses schiefe Grinsen wieder zu sehen.

»Du hast mir noch mehr von dem Bein weggeschnippelt, nicht?« Alex’ vorwurfsvoller Blick verletzte den erschöpften Shaman.

»Ja, aber ich glaube, ich habe etwas anderes retten können.«

»Was denn?«

»Dein Leben.«

Alex überlegte und nickte dann. Einen Augenblick später war er wieder eingeschlafen.

Am ersten Tag nach der Operation wechselte Shaman zweimal den Verband. Er roch an dem Stumpf und untersuchte ihn, immer in Angst, den Gestank oder andere Kennzeichen von Fäulnis wahrzunehmen, denn er hatte schon so manchen wenige Stunden nach der Amputation an einer Infektion sterben sehen. Aber er roch nichts, und das rosige Gewebe des Stumpfes schien gesund zu sein. Alex war praktisch fieberfrei, aber sehr kraftlos, und Shaman hatte wenig Vertrauen in die Reserven seines Bruders. Also machte er sich in Mrs. Clays Küche an die Arbeit. Vormittags gab er Alex eine kleine Portion Haferschleim zu essen und mittags ein weichgekochtes Ei. Am frühen Nachmittag begann es, in dicken Flocken zu schneien. Bald bedeckte Schnee den Boden, und Shaman überprüfte besorgt seine Vorräte. Er beschloss, noch einmal mit dem Wagen zur Gemischtwarenhandlung zu fahren, für den Fall, dass sie eingeschneit würden. Als Alex das nächstemal aufwachte, erklärte er ihm, was er vorhabe, und sein Bruder nickte zum Zeichen des Einverständnisses. Es war schön, durch die stille, verschneite Welt zu fahren. Eigentlich hatte Shaman sich ein Suppenhuhn besorgen wollen; zu seiner Enttäuschung hatte Barnard kein Huhn, er bot ihm dafür aber ein Stück ordentliches Rindfleisch an, das eine nahrhafte Suppe ergeben würde, und Shaman entschied sich für dieses.

»Hat Ihr Freund Sie gefunden?« fragte der Ladenbesitzer, während er das Fett wegschnitt. »Welcher Freund?«

»Dieser Soldat. Ich hab’ ihm den Weg zu Mrs. Clays Haus beschrieben.«

»Oh? Wann war denn das?«

»Gestern, ein paar Stunden vor Ladenschluss. Mordskerl, ziemlich dick. Schwarzer Bart. Einige Streifen«, sagte er und deutete auf seinen Arm. »Ist er nicht gekommen?« Er sah Shaman mit zusammengekniffenen Augen an.