In einem Wirtshaus in Zanesville sah er seinen ersten Indianer. Eine herbe Enttäuschung. Ganz im Gegensatz zu James Fenimore Coopers großartigen Wilden bettelte hier ein schwabbeliger, grämlicher Säufer mit Rotz im Gesicht um Getränke und ließ sich beschimpfen. »Vermutlich Delaware«, sagte der Wirt, als Rob ihn nach dem Stamm des Indianers fragte. »Oder vielleicht Miami. Oder Shawnee.« Er zuckte verächtlich mit den Achseln.
»Is’ doch egal. Die armen Schweine schau’n für mich alle gleich aus.«
Einige Tage später lernte Rob in Columbus einen kräftigen, schwarzbärtigen jungen Juden namens Jason Maxwell Geiger kennen, einen Apotheker mit einem reichhaltigen Lager an Arzneien. »Haben Sie Laudanum?
Haben Sie Nikotintinktur? Kaliumjodid?« Was er auch verlangte, Geiger antwortete immer mit einem Lächeln und einem Nicken, und Rob inspizierte glücklich die Töpfe und Gläser. Die Preise waren nicht so hoch, wie er befürchtet hatte, denn Geigers Vater und seine Brüder besaßen in Charleston eine Arzneimittelfabrik, und der Apotheker erklärte Rob J., dass er alles, was er nicht selbst herstellen könne, zu einem günstigen Preis bei seiner Familie bestelle. Rob J. deckte sich deshalb mit einem umfangreichen Vorrat ein. Als der Apotheker ihm anschließend half, die Einkäufe zu seinem Pferd zu tragen, fiel ihm das große, dick eingewickelte Musikinstrument auf, und er fragte seinen Besucher sofort: »Das ist doch bestimmt ein Cello, nicht?«
»Eine Gambe«, erwiderte Rob und bemerkte, dass der Mann das eingewickelte Instrument - wenn nicht neugierig, so doch mit unübersehbar wehmütigem Verlangen - anschaute. »Wollen Sie sie sehen?«
»Sie müssen sie in mein Haus bringen und meiner Frau zeigen«, erwiderte Geiger eifrig. Er führte ihn zu dem Wohnhaus hinter der Apotheke. Lillian Geiger hielt sich ein Geschirrtuch vor das Oberteil ihres Kleides, doch die Milchflecken vom Überschuss ihrer Brüste waren Rob J. nicht entgangen. In einer Wiege schlief die zwei Monate alte Tochter Rachel. Das Haus roch nach Mrs. Geigers Muttermilch und frisch gebackener Challa. Im dunklen Wohnzimmer standen ein Rosshaarsofa, dazugehörige Sessel und ein Tafelklavier. Die Frau verschwand im Schlafzimmer und zog sich um, während Rob J. seine Gambe auspackte. Dann betrachteten die Geigers das Instrument und strichen mit den Fingern über die sieben Saiten und zehn Bünde, als würden sie einen wiederentdeckten Familienschatz streicheln. Sie führten ihm ihr Klavier vor, dessen Walnussholz sorgfältig poliert war. »Gebaut von Alpheus Babcock aus Philadelphia«, sagte sie. Jason Geiger zog hinter dem Klavier ein zweites Instrument hervor. »Die wurde von einem Bierbrauer namens Isaac Schwartz aus Richmond in Virginia gebaut. Es ist nur eine Fiedel, den Namen Geige hat sie nicht verdient. Aber ich hoffe, eines Tages mal eine Geige zu besitzen.« Als sie einen Augenblick später ihre Instrumente stimmten, entlockte Geiger seiner Fidel dennoch süße Klänge.
Sie schauten sich misstrauisch an, aus Furcht, musikalisch nicht zusammenzupassen.
»Was spielen wir?« fragte Geiger und überließ seinem Gast die Wahl. »Bach? Kennen Sie dieses Präludium aus dem >Wohltemperierten Klavier<? Aus Buch zwei, die Nummer habe ich leider vergessen.« Er spielte ihnen den Anfang vor, Lillian Geiger stimmte sofort mit ein und nach einem Nicken auch ihr Gatte. »Das zwölfte«, hauchte Lillian. Rob J. war es gleichgültig, welche Bezeichnung das Stück trug, denn dieses Spiel war nicht zur Unterhaltung von Holzfällern gedacht. Schon nach den ersten Akkorden merkte er, dass die beiden gute Musiker waren, daran gewöhnt, einander zu begleiten, und er war sicher, einen Narren aus sich zu machen. Während sich bei ihnen die Melodie entfaltete, stolperte er hinter ihnen her. Seine Finger glitten nicht über den Instrumentenhals, sondern vollführten spastische Sprünge wie Lachse, die sich einen Wasserfall hocharbeiten.
Doch nach der Hälfte des Präludiums vergaß er seine Angst, und die Spielerfahrung langer Jahre überwand die von der mangelnden Übung herrührende Schwerfälligkeit. Bald konnte er auch beobachten, dass Geiger mit geschlossenen Augen spielte, während im Blick seiner Frau ein Ausdruck verzückter Freude lag, der sich ihm mitteilte, der aber auch sehr intim war.
Die Befriedigung schmerzte beinahe. Er hatte gar nicht bemerkt, wie sehr ihm die Musik abgegangen war.
Nachdem sie das Stück beendet hatten, saßen sie da und lächelten sich an. Geiger lief nach draußen, um das
»Geschlossen«-Schild an die Tür seines Ladens zu hängen, Lillian sah nach ihrem Kind und schob dann einen Braten in den Ofen, und Rob sattelte die arme, geduldige Monica ab, um sie zu füttern. Als sie später wieder beisammensaßen, zeigte es sich, dass die Geigers nichts von Marin Marais kannten, während Rob J. keins der Stücke des Polen Chopin auswendig konnte. Alle drei kannten sie jedoch die Sonaten Beethovens. Und so wurde an diesem Nachmittag aus dem Geigerschen Wohnzimmer ein schimmernder Zauberort. Als dann das Schreien des hungrigen Babys ihr Spiel beendete, waren sie trunken von der berauschenden Schönheit ihres Musizierens.
Als es für Rob J. Zeit wurde aufzubrechen, wollte der Apotheker nichts davon hören. Zum Abendessen gab es rosa gebratenes Lamm, das schwach nach Rosmarin und Knoblauch schmeckte, dazu mitgebratene kleine Karotten und junge Kartoffeln, hinterher ein Blaubeerkompott. »Sie schlafen in unserem Gästezimmer«, sagte Geiger. Da Rob J. sich zu den Geigers hingezogen fühlte, erkundigte er sich nach Möglichkeiten, in der Gegend zu praktizieren. »Es gibt ‘ne Menge Leute hier- schließlich ist Columbus Hauptstadt -und auch eine Reihe Ärzte, die sie betreuen. Es ist ein guter Ort für eine Apotheke, aber wir wollen Columbus verlassen, sobald das Baby alt genug ist, die Reise mitzumachen. Ich will nicht nur Apotheker sein, sondern auch Farmer, um meinen Kindern Land zu hinterlassen. In Ohio ist Farmland viel zu teuer. Ich habe mir schon Gegenden ausgesucht, wo es fruchtbares Land gibt, das ich mir leisten kann.« Er hatte Landkarten, die er nun auf dem Tisch ausbreitete.
»Illinois«, sagte er und zeigte Rob J. den Landstrich, der sich bei seinen Nachforschungen als günstigster herausgestellt hatte, ein Gebiet zwischen dem Rock River und dem Mississippi. »Genügend Wasser.
Wunderschöne Wälder entlang der Flüsse. Und der Rest ist Prärie, schwarze Erde, die noch nie einen Pflug gespürt hat.«
Rob J. studierte die Karten. »Vielleicht sollte ich auch dorthin gehen«, sagte er schließlich. »Mal sehen, ob es mir gefällt.«
Geiger strahlte. Zusammen saßen sie lange über den Karten und zeichneten freundschaftlich disputierend die beste Route ein. Nachdem Rob J. zu Bett gegangen war, blieb Jay Geiger noch auf und schrieb bei Kerzenlicht die Noten einer Mazurka von Chopin ab. Sie spielten sie am Morgen nach dem Frühstück. Die beiden Männer beugten sich noch einmal über die Karten. Rob J. versprach, falls Illinois sich wirklich als so gut erwies, wie Geiger glaubte, sich dort niederzulassen und seinem neugewonnenen Freund sofort zu schreiben, dass er die Familie in den Westen bringen könne.
Zwei Parzellen
Illinois war von Anfang an interessant. Rob erreichte den Staat im Spätsommer, als das zähwüchsige Grün der Prärie von den langen Sonnentagen bereits trocken und ausgebleicht war. In Danville sah er zu, wie Männer Wasser aus Salzquellen in großen, schwarzen Kesseln einkochten, und als er sie wieder verließ, hatte er ein Paket mit reinem Salz bei sich. Die Prärie dehnte sich weit, hier und dort erhoben sich flache Hügel. Der Staat war gesegnet mit Süßwasser. Rob kam zwar nur an wenigen Seen vorbei, sah aber immer wieder Sümpfe. Aus ihnen speisten sich Bäche, die sich schließlich zu Flüssen vereinigten. Er erfuhr, dass die Bewohner von Illinois, wenn sie vom Land zwischen den Flüssen sprachen, meistens die Südspitze des Staates zwischen dem Mississippi und dem Ohio meinten. Hier hatten die beiden großen Flüsse einen tiefen, nährstoffreichen Boden angeschwemmt. Die Leute nannten die Region Ägypten, weil sie sie für so fruchtbar hielten wie das sagenumwobene Land am Nildelta. Auf Jay Geigers Karten entdeckte Rob J. eine Reihe von »Kleinägpyten«