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Unterwegs verschlang Alex die Landschaft mit den Augen. Shaman ebenfalls, doch er hatte ein eigenartiges Gefühl dabei: So wie für Mrs. Clay ihr Haus nicht mehr dasselbe sein würde, so war auch sein Leben nicht mehr das alte. Seit seiner Abreise von hier hatte er einen Mann getötet. Die Welt war aus den Fugen.

Es dämmerte bereits, als sie das Haus erreichten. Sie legten Alex in sein eigenes Bett, wo er mit geschlossenen Augen dalag, nichts als Freude in seinem Gesicht.

Sarah kochte zur Feier der Rückkehr ihres verlorenen Sohnes etwas Besonderes. Es gab Brathühnchen mit Kartoffel- und Karottenbrei. Sie hatten noch kaum zu Ende gegessen, als Lillian mit einer Terrine Eintopf über den Langen Weg dahergeeilt kam. »Deine Hungertage sind vorbei!« rief sie, nachdem sie Alex geküsst und ihn willkommen geheißen hatte. Rachel sagte sie, müsse bei ihren Kindern bleiben, werde ihn aber gleich am nächsten Morgen besuchen.

Die beiden Frauen saßen so nahe bei Alex, wie die Stühle es gestatteten, und Shaman ließ sie mit ihm alleine. Er ging zu Aldens Hütte. Der alte Knecht schlief, als er eintrat, und die Hütte stank nach Whiskey. Shaman schlich sich wieder hinaus und schlug den Langen Weg ein. Der Schnee war plattgetreten und überfroren, an einigen Stellen war es sehr glatt. Durch das Fenster des Geiger-Hauses sah er Rachel vor dem Kamin sitzen und lesen.

Sie ließ das Buch sofort sinken, als er an die Scheibe klopfte.

Sie küssten sich, als läge einer von ihnen im Sterben. Rachel nahm ihn bei der Hand und führte ihn hinauf in ihr Zimmer. Unten schliefen die Kinder, ihr Bruder Lionel reparierte im Stall Pferdegeschirre, und ihre Mutter konnte jeden Augenblick zurückkommen, doch sie liebten sich trotzdem - in ihren Kleidern auf Rachels Bett, zärtlich, aber entschlossen und mit einer verzweifelten Dankbarkeit.

Als er später den Langen Weg zurückging, war die Welt für ihn wieder im Lot.

Alex’ Familienname

Shaman gab es einen Stich, als er sah, wie mühsam Alden sich über die Farm schleppte. Sein Hals und seine Schultern waren steifer, als sie es bei Shamans Abreise gewesen waren, und sein Gesicht wirkte wie eine starre, geduldige Maske, auch dann, wenn ihn schwere Anfälle quälten. Er tat alles langsam und bewusst, wie ein Mann, der sich zitternd unter Wasser bewegt.

Aber sein Verstand war klar. Er fand Shaman im Stall und gab ihm die kleine Vitrine, die er für Rob J.s Skalpell geschreinert hatte, und das neue Bistouri, um das Shaman ihn gebeten hatte. Dann bat er Shaman, sich zu setzen, und er berichtete ihm in knappen Worten, wie die Farm den Winter überstanden hatte, die Anzahl der Tiere, die Menge des verbrauchten Futters und die Aussichten für den Lämmerwurf im Frühling. »Ich lasse Doug trockenes Holz ins Zuckerhaus bringen, damit wir Sirup kochen können, sobald die Baumsäfte fließen.«

»Gut«, sagte Shaman. Er zögerte einen Augenblick und machte Alden dann das unangenehme Geständnis, dass er Doug aufgetragen habe, sich für die im Frühjahr anfallenden Arbeiten nach einem guten Handlanger umzusehen.

Alden nickte langsam. Er räusperte sich lange und spuckte dann umständlich aus. »Bin nicht mehr so frisch, wie ich’s mal war«, sagte er, als wolle er Shaman das schonend beibringen. »Soll diesen Frühling doch ein anderer pflügen! Ist auch nicht nötig, dass der Vormann einer Farm die schwere Arbeit tut, wenn wir junge Kerle bekommen können, die ihre Muskeln spielen lassen wollen«, sagte Shaman, und Alden nickte noch einmal, bevor er den Stall wieder verließ. Shaman sah, dass er einige Zeit brauchte, um in Bewegung zu kommen, wie ein Mann, der beschlossen hat zu pinkeln, aber nicht kann. Doch hatte er dann den ersten Schritt gemacht, bewegten sich seine Füße gleichmäßig und wie aus eigenem Antrieb, und der Rest von Alden ließ sich von ihnen einfach davontragen.

Es tat Shaman gut, wieder in seiner Praxis zu sein. Sosehr die Nonnen sich auch bemüht hatten, für seine Patienten zu sorgen, einen Arzt konnten sie nicht ersetzen. Einige Wochen lang arbeitete er sehr schwer, er holte aufgeschobene Operationen nach und erledigte pro Tag mehr Hausbesuche als früher.

Als er eines Tages beim Konvent vorbeischaute, begrüßte Mater Miriam Ferocia ihn freundlich und hörte mit stiller Freude seinem Bericht von Alex’ Rückkehr zu. Auch sie hatte Neuigkeiten zu berichten: »Die Erzdiözese hat uns mitgeteilt, dass unser vorläufiger Haushaltsplan bewilligt ist, und man fordert uns auf, mit dem Bau des Krankenhauses zu beginnen.«

Der Bischof hatte sich die Pläne persönlich angesehen und sie für gut befunden, den Nonnen aber davon abgeraten, das Hospital auf Klostergrund zu bauen. »Er meint, der Konvent sei zu schwierig zu erreichen, zu weit vom Fluss und den Hauptstraßen entfernt. Jetzt müssen wir uns einen Bauplatz suchen.«

Sie griff hinter ihren Stuhl und reichte Shaman zwei schwere, cremefarbene Ziegel. »Was halten Sie davon?«

Sie waren hart und klirrten beinahe, als er sie aneinanderstieß. »Ich verstehe zwar nicht viel von Ziegeln, aber die sehen wunderbar aus.«

»Die ergeben Mauern wie für eine Burg«, sagte die Oberin. »Das Krankenhaus wird im Sommer kühl und im Winter warm sein. Es sind sehr dicht gebrannte Ziegel, die nehmen kein Wasser mehr auf. Und sie sind hier in der Gegend erhältlich, bei einem Mann namens Rosswell, der neben der Lehmgrube auf seinem Grund eine Ziegelbrennerei errichtet hat. Er hat so viel vorrätig, dass wir mit dem Bau beginnen können, und er ist ganz erpicht darauf, noch mehr für uns zu brennen. Er sagt, wenn wir eine dunklere Farbe wünschen, kann er die Ziegel räuchern.«

Shaman hob die Ziegel, die sich solide und konkret anfühlten, als halte er bereits die Wände des Krankenhauses in der Hand. »Ich finde, diese Farbe passt ausgezeichnet.«

»Das finde ich auch«, erwiderte Mater Miriam Ferocia, und die beiden lachten sich fröhlich an, wie zwei Kinder, die sich eine Süßigkeit teilen.

Spät an diesem Abend saß Shaman in der Küche und trank mit seiner Mutter Kaffee. »Ich habe Alex von seiner... Verwandtschaft mit Nick Holden erzählt«, sagte sie.

»Und wie hat Alex es aufgenommen?«

Sarah hob die Schultern. »Er hat es... einfach akzeptiert.« Sie lächelte schwach. »Er könne genausogut Nick Holden zum Vater haben wie einen toten Verbrecher, hat er gesagt.« Sie schwieg einen Augenblick, doch dann wandte sie ihr Gesicht wieder Shaman zu, und er sah, dass sie nervös war.

»Reverend Blackmer verläßt Holden’s Crossing«, sagte sie. »Der Pfarrer der Baptistenkirche in Davenport ist nach Chicago berufen worden, und die Kongregation hat Sydney die freie Stelle angeboten.«

»Das tut mir leid. Ich weiß, wie sehr du ihn schätzt. Und jetzt muss die Kirche hier sich wieder nach einem neuen Priester umsehen.«

»Shaman«, sagte sie. »Sydney hat mich gebeten, mit ihm zu gehen - ihn zu heiraten.«

Er nahm ihre Hand, sie war kalt. »... Und was willst du tun, Mutter?«

»Wir sind... einander sehr nahe gekommen, seit seine Frau gestorben ist. Und als dann ich Witwe wurde, war er für mich ein Turm der Kraft.« Sie drückte fest Shamans Hand. »Ich habe deinen Vater wirklich und aufrichtig geliebt. Ich werde ihn immer lieben.«

»Ich weiß.«

»In ein paar Wochen ist es ein Jahr seit seinem Tod. Hättest du etwas dagegen, wenn ich noch einmal heirate?«

Er stand auf und ging zu ihr.

»Ich bin eine Frau, die nur als Ehefrau leben kann.«

»Ich will einzig, dass du glücklich bist«, sagte er und legte seine Arme um sie.

Sie musste sich beinahe mit Gewalt aus seiner Umarmung lösen, damit er ihre Lippen sehen konnte. »Ich habe Sydney gesagt, wir können nicht heiraten, solange Alex mich noch braucht.«

»Ma, es ist besser für ihn, wenn du ihn nicht mehr hinten und vorne bedienst.«

»Wirklich?«

»Wirklich.«