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Ihr Gesicht strahlte. Einen Augenblick sah er, wie sie wohl als junges Mädchen ausgesehen haben musste, und das Herz blieb ihm beinahe stehen.

»Danke, mein lieber Shaman! Ich werde es Sydney sagen«, rief sie freudig.

Der Stumpf seines Bruders verheilte wunderbar. Alex war in der beständigen Obhut seiner Mutter und der Kirchendamen. Obwohl er zunahm und seine knochige Gestalt allmählich wieder kräftig wurde, lächelte er selten, und sein Blick blieb überschattet. In Rock Island schuf sich eben ein Mann namens Wallace einen Ruf als Hersteller falscher Gliedmaßen, und nach langem Drängen ließ Alex sich dazu überreden, mit Shaman zu ihm zu fahren. An einer Wand von Wallaces Werkstatt hing eine faszinierende Sammlung von holzgeschnitzten Händen, Füßen, Armen und Beinen. Der Prothesenmacher war von einer Rundlichkeit, die einen dazu verleitete, auf einen fröhlichen, heiteren Charakter zu schließen, doch dieser Mann nahm seine Arbeit sehr ernst. Mehr als eine Stunde lang vermaß er Alex, der dazu stehen, sitzen, sich strecken, gehen, erst ein Knie und dann beide beugen, sich hinknien und sich hinlegen musste. Zum Schluss kündigte er ihnen an, sie könnten das falsche Bein in sechs Wochen abholen. Alex war nur einer aus einer ganzen Armee von Krüppeln. Shaman sah sie, sooft er in die Stadt fuhr, ehemalige Soldaten mit fehlenden Gliedmaßen und viele von ihnen mit verstümmelter Seele.

Stephen Hume, der alte Freund seines Vaters, kehrte hochdekoriert zurück, doch drei Tage nach seiner Ernennung zum Brigadegeneral anlässlich der Schlacht bei Vicksburg hatte ihn eine Kugel knapp unterhalb des rechten Ellbogens getroffen. Er hatte den Arm zwar nicht verloren, aber durch die Verletzung waren die Nerven zerstört, so dass er nur noch ein nutzloses Anhängsel wie einen dauerhaft gebrochenen Arm in einer schwarzen Schlinge trug. Zwei Monate vor Humes Heimkehr war der Honorable Daniel P. Allen gestorben, und der Gouverneur ernannte den Kriegshelden zu dessen Nachfolger als Richter am Bezirksgericht. Richter Hume hatte seine Arbeit bereits aufgenommen, woran Shaman sah, dass einige der ehemaligen Soldaten ohne Anpassungsschwierigkeiten ins Zivilleben zurückkehrten, während andere Probleme hatten, die sie plagten und lähmten. Er versuchte, alle Entscheidungen, die die Farm betrafen, mit Alex zu besprechen. Noch immer gab es kaum Männer für die Farmarbeit, doch Doug Penfield hatte einen gewissen Billy Edwards aufgetrieben, der in Iowa bereits mit Schafen zu tun gehabt hatte. Shaman sprach mit ihm und sah, dass er kräftig und arbeitswillig war; zudem hatte George Cliburn ihn empfohlen. Shaman fragte Alex, ob auch er mit Edwards reden wolle.

»Nein, keine Lust.«

»Aber wäre es denn nicht besser, wenn du es tätest? Schließlich wird der Mann für dich arbeiten, wenn du dich wieder um die Farm kümmerst.«

»Ich glaube nicht, dass ich mich je wieder um die Farm kümmern werde.«

»Was?«

»Vielleicht arbeite ich mit dir. Ich kann doch dein Gehör sein wie dieser Mann im Krankenhaus in Cincinnati, von dem du mir erzählt hast.«

Shaman lächelte. »Aber ich brauche doch kein Vollzeitgehör. Es ist fast immer jemand da, der mir seine Ohren leiht, wenn ich sie brauche. Nein, ernsthaft: Hast du schon eine Vorstellung, was du machen willst?«

»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.«

»Na, du hast ja Zeit, es dir zu überlegen«, sagte Shaman und war froh, nicht weiter auf das Thema eingehen zu müssen.

Billy Edwards war ein guter Arbeiter, aber wenn er zu arbeiten aufhörte, war er ein Quassler. Er redete über Bodenqualität und Schafzucht, von den Getreidepreisen und von den Vorteilen, die ein Eisenbahnanschluss mit sich bringen würde. Doch eines Tages redete er über die Rückkehr der Indianer nach Iowa, und sofort horchte Shaman auf.

»Was soll das heißen: Sie sind zurückgekehrt?«

»Eine gemischte Truppe aus Sauks und Mesquakies. Sie haben das Reservat in Kansas verlassen und sind nach Iowa zurückgekommen.« Wie Makwa-ikwas Leute, dachte Shaman. »Gibt es Schwierigkeiten? Mit den Leuten in der Gegend?«

Edwards kratzte sich am Kopf. »Nein. Es kann ihnen eigentlich keiner mehr Schwierigkeiten machen. Diese Indianer sind schlau. Sie haben sich ihr eigenes Land gekauft, ganz legal. Mit guten amerikanischen Dollars.« Er grinste. »Natürlich ist das Land, das sie gekauft haben, wahrscheinlich das schlechteste im ganzen Staat, ‘ne Menge gelber Erde. Aber sie haben Felder angesät und sich Hütten gebaut - eine richtige kleine Stadt. Sie nennen sie Tama, nach einem ihrer Häuptlinge, soweit ich weiß.«

»Wo liegt diese Indianerstadt?«

»Ungefähr hundert Meilen westlich von Davenport. Und ein bisschen nördlich davon.« Shaman wusste sofort, dass er die Stadt sehen musste.

Ein paar Tage später kam Nick Holden in einem großartigen neuen Wagen mit Kutscher auf die Cole-Farm gefahren. In weiser Voraussicht vermied es Shaman, den Kommissar für Indianerangelegenheiten nach den Sauks und Mesquakies in Iowa zu fragen. Er und seine Mutter dankten Holden für seine Hilfe, und er war höflich und freundlich, doch es war offensichtlich, dass er wegen Alex gekommen war.

Den ganzen Vormittag saß er bei ihm am Bett. Als Shaman gegen Mittag seine Praxis schloss, sah er überrascht, dass Nick und dessen Kutscher Alex in den Wagen halfen.

Sie blieben den ganzen Nachmittag und einige Abendstunden weg. Bei der Rückkehr halfen Nick und der Kutscher Alex ins Haus, wünschten allen höflich eine gute Nacht und fuhren weg.

Alex erzählte nicht viel von den Ereignissen des Tages. »Wir sind ein bisschen herumgefahren. Und haben geredet.« Er lächelte. »Das heißt, vorwiegend hat er geredet, und ich habe zugehört. Wir hatten ein gutes Abendessen bei Anna Wiley.« Er zuckte mit den Achseln. Alex wirkte nachdenklich und ging früh zu Bett, denn der Tag hatte ihn angestrengt.

Am nächsten Morgen waren Nick und die Kutsche wieder da. Diesmal nahm Nick Alex mit nach Rock Island, und am Abend berichtete Alex von zwei erlesenen Mahlzeiten im dortigen Hotel.

Am dritten Tag fuhren sie nach Davenport. Alex kam früher nach Hause als an den beiden anderen Tagen, und Shaman hörte, wie er Nick eine angenehme Rückreise nach Washington wünschte.

»Ich melde mich mal wieder, wenn ich darf«, sagte Nick.

»Aber natürlich, Sir.«

Als Shaman an diesem Abend zu Bett ging, rief Alex ihn in sein Zimmer. »Nick will mich adoptieren«, sagte er.

»Was?«

Alex nickte. »Am ersten Tag hat er mir erzählt, dass Präsident Lincoln ihn um den Rücktritt gebeten hat, damit er einen anderen ernennen kann. Nick meint, es sei Zeit, dass er hierher zurückkommt und sich zur Ruhe setzt.

Heiraten will er nicht, aber er hätte gern einen Sohn. Sagt, er habe die ganze Zeit gewusst, dass er mein Vater ist.

Die drei Tage lang sind wir nur durch die Gegend gefahren und haben uns seine Besitztümer angesehen.

Außerdem hat er in West-Pennsylvania noch eine gutgehende Bleistiftfabrik und wer weiß, was sonst noch alles.

Er will, dass ich sein Erbe werde und meinen Namen in Holden ändere.«

Shaman fühlte sich traurig und zornig. »Na, du hast ja gesagt, dass du kein Farmer mehr sein willst.«

»Ich habe Nick versichert, dass es für mich keinen Zweifel daran gibt, wer mein Vater war. Mein Vater war der Mann, der meine jugendliche Unvernunft und meine Schandtaten geduldig ertragen, mir Disziplin beigebracht und Liebe geschenkt hat. Ich habe zu ihm gesagt, mein Name ist Cole.«

Shaman berührte seinen Bruder an der Schulter. Er brachte kein Wort heraus, sondern nickte nur. Dann küsste er seinen Bruder auf die Wange und ging zu Bett.

Am vereinbarten Tag holten sie die Prothese ab. Wallace hatte den Fuß so geschnitzt, dass man Strumpf und Schuh darüberziehen konnte.

Alex’ Stumpf wurde in die Muffe eingepasst und das Ganze mit Lederriemen unter- und oberhalb des Knies befestigt.

Alex hasste das Ding vom ersten Augenblick an. Das Tragen bereitete ihm große Schmerzen.