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»Warum hat er es denn selber nicht getan? Pa hätte ihm doch sicher geholfen, sich etwas Eigenes zu schaffen.«

»Etwas war in ihm. Wir haben die ganzen Jahre mehr von ihm gehalten als er selber von sich«, erwiderte Alex.

»Kein Wunder, dass er trank. Denk doch nur, womit der arme Kerl die ganze Zeit leben musste!« Shaman schüttelte den Kopf. »Wenn ich über ihn nachdenke, habe ich ihn als einen Mann vor Augen, der insgeheim über Pa lacht. Und der mich an einen Mann verraten hat, von dem er wusste, dass er ein Mörder war.«

»Das hat dich aber nicht davon abgehalten, ihn fürsorglich zu pflegen, auch nachdem du es wusstest«, bemerkte Alex.

»Na ja«, sagte Shaman bitter. »Im Grunde war es das zweitemal in meinem Leben, dass ich einen Menschen töten wollte.«

»Aber du hast es nicht getan. Statt dessen hast du versucht, ihn zu retten«, sagte Alex. Er sah Shaman an. »... Im Lager in Elmira, da habe ich mich um die Männer in meinem Zelt gekümmert. Wenn sie krank waren, habe ich mir überlegt, was Pa tun würde, und dann habe ich es getan. Es hat mich glücklich gemacht.« Shaman nickte.

»Glaubst du, dass ich auch Arzt werden könnte?« Die Frage verblüffte Shaman. Er zwang sich dazu, gründlich zu überlegen, bevor er antwortete. Dann nickte er. »Ich glaube schon, Alex.«

»Aber ich bin bei weitem kein so gelehriger Schüler wie du.«

»Du bist viel intelligenter, als du zugeben willst. In der Schule hattest du keine große Lust zu lernen. Aber wenn du jetzt hart arbeitest, glaube ich, dass du es schaffst. Du könntest bei mir in die Lehre gehen.«

»Ich möchte so lange bei dir arbeiten, bis ich mich in Chemie und Anatomie und in allem anderen, was ich deiner Meinung nach brauche, genügend vorbereitet habe. Dann möchte ich lieber an eine Medical School gehen, wie ihr - du und Pa - es getan habt. Ich möchte gern in den Osten. Vielleicht bei Pas Freund in Boston studieren, bei Dr. Holmes.«

»Du hast ja bereits ganz genaue Pläne! Du hast wohl schon sehr lange darüber nachgedacht?«

»Ja. Und ich hatte noch nie solche Angst«, erwiderte Alex. Und die beiden lächelten zum erstenmal seit Tagen.

Familiengeschenke

Auf dem Rückweg von Nauvoo machten die Brüder in Davenport halt und besuchten ihre Mutter, die in dem kleinen, ziegelgemauerten Pfarrhof neben der Kirche hilflos zwischen unausgepackten Schachteln und Kisten saß. Sydney war bereits seelsorgerisch unterwegs. Shaman sah, dass Sarahs Augen gerötet waren. »Stimmt etwas nicht, Ma?«

»Nein. Sydney ist ein äußerst gütiger Mann, und wir lieben uns sehr Ich will nirgendwo anders sein als hier, aber... es ist eben eine große Veränderung. Alles ist neu und erschreckend, und ich lass mich davon verrückt machen.«

Aber sie war froh, ihre Söhne zu sehen.

Sie fing wieder an zu weinen, als sie ihr von Alden erzählten, und es sah aus, als wolle sie nicht mehr aufhören.

»Ich weine nicht nur wegen Alden«, sagte sie, als sie versuchten, sie zu trösten, »ich weine auch aus schlechtem Gewissen. Ich habe Makwa-ikwa nie gemocht, und ich war nicht nett zu ihr. Aber...«

»Ich glaube, ich weiß, wie ich dich auf andere Gedanken bringen kann«, sagte Alex. Er begann, ihre Kisten auszupacken, und Shaman ebenfalls. Nach wenigen Minuten waren ihre Tränen getrocknet, und sie half ihnen.

»Ihr wisst ja gar nicht, wo die Sachen alle hingehören!« Beim Auspacken erzählte ihr Alex von seinem Entschluss, Medizin zu studieren, und Sarah hieß ihn respektvoll und erfreut gut. »Darüber wäre Rob J. sehr glücklich gewesen.«

Sie führte sie durch das kleine Haus. Die Einrichtung war in einem schlechten Zustand und zu spärlich. »Ich werde Sydney bitten, ein paar Möbelstücke in den Schuppen zu bringen, und wir holen uns dann einige von meinen Sachen aus Holden’s Crossing.« Sarah kochte Kaffee und schnitt einen Apfelkuchen an, den eine »ihrer«

Gemeindedamen gebracht hatte. Während sie ihn aßen, kritzelte Shaman Ziffern auf die Rückseite einer alten Rechnung. »Was machst du denn da?« fragte Sarah.

»Ich habe eine Idee.« Er sah die beiden an, weil er nicht genau wusste, wie er anfangen sollte, doch dann fragte er sie direkt: »Was würdet ihr davon halten, wenn ich dem neuen Krankenhaus eine Viertelparzelle unseres Landes schenke?«

Alex wollte sich eben eine Gabel voll Kuchen in den Mund schieben, doch jetzt hielt er inne, um etwas zu sagen.

Shaman drückte die Hand, die die Gabel hielt, nach unten, damit er den Mund seines Bruders sehen konnte.

»Ein Achtel der Farm?« fragte Alex noch einmal. »Nach meiner Rechnung könnte das Hospital, wenn wir das Land stiften, dreißig statt fünfundzwanzig Betten haben.«

»Aber Shaman... fünfundzwanzig Morgen?«

»Wir haben doch die Herde bereits verkleinert. Und es wäre immer noch Land zur Bewirtschaftung übrig, auch wenn wir die Herde wieder vergrößern sollten.«

Seine Mutter runzelte die Stirn. »Du musst darauf achten, dass das Krankenhaus nicht zu nahe an unserem Haus gebaut wird.« Shaman holte tief Atem. »Das Haus steht auf der Viertelparzelle, die ich dem Krankenhaus stiften will. Damit hätte das Krankenhaus eine eigene Anlegestelle am Fluss und Wegerecht zur Überlandstraße.« Die beiden anderen sahen ihn nur an.

»Du wirst ja jetzt hier wohnen«, sagte er zu seiner Mutter. »Ich möchte für Rachel und die Kinder ein neues Haus bauen. Und du«, sagte er zu Alex, »wirst während des Studiums und der Ausbildung einige Jahre von zu Hause weg sein. Ich würde aus dem Haus eine Ambulanz machen, eine Stätte, wo Patienten, die nicht so krank sind, dass sie im Krankenhaus liegen müssen, behandelt werden können. Es ließen sich dort auch zusätzliche Untersuchungsräume einrichten und Wartezimmer. Vielleicht auch die Krankenhausverwaltung und eine Apotheke. Wir könnten das Ganze die Robert Judson Cole Memorial Clinic nennen.«

»Ach, das würde mir schon gefallen«, sagte seine Mutter, und als er ihr in die Augen sah, wusste er, dass er sie auf seiner Seite hatte. Auch Alex nickte. »Bist du sicher?«

»Ja«, sagte Alex.

Es war schon spät, als sie das Pfarrhaus verließen und mit der Fähre den Mississippi überquerten. Und nachdem sie Pferd und Wagen im Mietstall in Rock Island abgeholt hatten, war es bereits Nacht. Aber sie kannten den Weg sehr gut und fuhren im Dunkeln nach Hause. In Holden’s Crossing angekommen, merkte Shaman, dass es schon viel zu spät war, um noch zum Konvent zu reiten. Er wusste, er würde diese Nacht nicht schlafen können und gleich in aller Frühe hinübereilen. Er konnte es nicht erwarten, Mater Miriam Ferocia die gute Nachricht zu bringen.

Fünf Tage später spazierten vier Landvermesser mit ihren Theodoliten und stählernen Maßbändern über die Viertelparzelle. Es gab keinen Architekten in der Region zwischen den Flüssen, aber der Bauunternehmer mit dem besten Ruf war ein Mann namens Oscar Ericsson aus Rock Island. Shaman und die Oberin trafen sich mit ihm und unterhielten sich lange mit ihm. Der Unternehmer hatte bereits ein Rathaus und einige Kirchen gebaut, doch vorwiegend Privathäuser und Geschäfte. Das war seine erste Gelegenheit, ein Krankenhaus zu errichten, und er hörte den beiden sehr aufmerksam zu. Als sie dann seine Grobskizzen betrachteten, wussten sie, dass sie ihren Baumeister gefunden hatten.

Ericsson begann damit, einen Plan für das Gelände zu erstellen und den Verlauf von Wegen und Straßen vorzuschlagen. Ein Fußweg zwischen der Ambulanz und der Anlegestelle hätte direkt an Aldens Hütte vorbeigeführt. »Am besten wird es sein, Sie und Billy reißen sie ab und zersägen die Stämme und Bretter zu Feuerholz«, sagte Shaman zu Doug Penfield, und die beiden Arbeiter machten sich sofort ans Werk. Als Ericssons erster Arbeitstrupp ankam, um den Baugrund vorzubereiten, war es, als hätte die Hütte nie existiert.