Sie folgten einer schmalen, staubigen Straße zwischen weit ausgedehnten Feldern mit gepflügter, schwarzer Erde, doch es gab auch noch Flecken unberührter Prärie zwischen dem kultivierten Land. Auf einem solchen Stück unversehrter Grasnarbe, durch das ein Bach plätscherte, hielt Rachel das Pferd an und winkte, um Shamans Aufmerksamkeit auf die Stelle zu lenken. »Können wir hier bleiben?«
»Lass uns erst das Farmhaus suchen!«
Sie mussten noch fast eine Meile reiten. In der Umgebung des Anwesens wurde aus dem Grasland wieder Ackerboden, der später sicher Mais tragen würde. Im Hof bellte ein gelber Hund die Pferde an. Der Farmer reparierte gerade seine Pflugschar und runzelte argwöhnisch die Stirn, als Shaman ihn um Erlaubnis bat, am Bach übernachten zu dürfen. Doch als Shaman ihm eine Bezahlung anbot, winkte er ab. »Woll’n Sie ein Feuer anzünden?«
»Eigentlich schon. Es ist ja alles grün.«
»O ja, es wird sich nicht ausbreiten. Aus dem Bach können Sie trinken. Folgen Sie ihm ein Stück, dann finden Sie abgestorbene Bäume für Feuerholz.«
Sie dankten ihm und ritten zurück, bis sie ihre Stelle gefunden hatten. Gemeinsam nahmen sie den Pferden die Sättel ab und lösten die Riemen, mit denen das Gepäck befestigt war. Shaman ging viermal zu den abgestorbenen Bäumen, um Holz zu holen, und Rachel richtete in der Zwischenzeit das Lager her. Sie breitete ein altes Büffelfell aus, das ihr Vater vor Jahren von Steinhund gekauft hatte. Braunes Leder glänzte an den Stellen, wo das Fell bereits abgeschabt war, aber es taugte gerade recht, um ihre Körper vor der nackten Erde zu schützen. Über das Büffelfell breitete sie zwei Decken aus Cole-Wolle, denn der Sommer war noch einen Monat entfernt.
Shaman schichtete das Holz zwischen einige Steinen und zündete ein Feuer an. Er schüttete Kaffee in einen Topf, goss Bachwasser darüber und stellte das Gefäß aufs Feuer. Sie setzten sich auf ihre Sättel und aßen die Reste ihres Hochzeitsschmauses: in Scheiben geschnittenes, rosa Milchlamm, Bratkartoffeln und kandierte Karotten. Zum Nachtisch gab es Stücke vom Hochzeitskuchen mit Whiskeyglasur, und danach saßen sie am Feuer und tranken ihren Kaffee schwarz. Die Nacht brach herein. Am Himmel begannen die Sterne zu funkeln, und ein Sichelmond stieg langsam über dem flachen Land hoch. Bald darauf stellte Rachel ihre Tasse weg, nahm Seife, Waschlappen und Handtuch und verschwand in der undurchdringlicher werdenden Dunkelheit.
Es würde nicht das erstemal sein, dass sie sich liebten, und Shaman wunderte sich, dass er so verlegen war. Er zog sich aus und ging zu einer anderen Stelle am Bach, um sich hastig zu waschen, dann wartete er zwischen Decke und Büffelfell auf sie. Ihre Haut war noch kalt vom Wasser, als sie sich zu ihm legte, doch sie erwärmte sich schnell. Er wusste, dass sie die Stelle für ihr Nachtlager so gewählt hatte, dass es außerhalb des Lichtkreises des Feuers lag, doch es machte ihm nichts aus. Er konnte sie fühlen, und es gab nur noch ihre Hände, ihre Münder und ihre Leiber. Zum erstenmal liebten sie sich als Mann und Frau, und danach lagen sie auf dem Rücken und hielten einander bei den Händen. »Ich liebe dich, Rachel Cole«, sagte er unter einem Himmel, der sich über dem flachen Land wie eine Schüssel wölbte. Die niederen Sterne waren riesig und weiß.
Sie liebten sich noch einmal. Dann stand Rachel auf und lief zum Feuer. Sie zog einen glühenden Zweig heraus und wirbelte ihn herum, bis er zu lodern anfing. Nun kniete sie sich so nahe vor Shaman hin, dass er die Gänsehaut im Tal zwischen ihren braunen Brüsten, das edelsteingleiche Funkeln des Feuers in ihren Augen und ihren Mund sehen konnte. »Ich liebe dich auch, Shaman«, sagte sie.
Am nächsten Tag wurde, je tiefer sie nach Iowa hineinritten, das offene Land zwischen den Farmen immer größer. Etwa eine halbe Meile lang verlief die Straße durch eine Schweinefarm, wo der Gestank so stark war, dass er fast greifbar schien, doch danach kamen wieder Grasland und frische Luft.
Einmal richtete Rachel sich im Sattel auf und hob die Hand.
»Was ist?« fragte er.
»Geheul. Könnte das ein Wolf sein?«
Er glaubte, dass es sich um einen Hund handle. »Die Farmer hier haben die Wölfe sicher genauso ausgerottet wie bei uns zu Hause. Die Wölfe sind den Bisons und den Indianern gefolgt.«
»Vielleicht sehen wir noch so ein Geheimnis der Prärie, bevor wir wieder nach Hause kommen«, sagte sie.
»Einen Büffel etwa oder eine Wildkatze oder den letzten Wolf von Iowa.«
Sie kamen durch einige kleine Städte. Mittags hielten sie bei einem Gemischtwarenladen an, wo sie Kräcker, harten Käse und Pfirsiche aus der Dose aßen.
»Gestern haben wir gehört, dass Soldaten Jefferson Davis verhaftet haben. Sie halten ihn in Fort Monroe, Virginia, in Ketten«, sagte der Ladenbesitzer und spuckte auf den Sägemehlboden. »Ich hoffe, sie hängen den Hurensohn - verzeih’n Sie, Ma’am!«
Rachel nickte. Es war schwer, sich wie eine Lady zu benehmen, wenn man gerade die letzten Tropfen des Pfirsichsafts aus der Dose leckte.
»Wurde der Außenminister ebenfalls verhaftet? Judah Benjamin?«
»Den Juden? Nein, den haben sie noch nicht, soviel ich weiß.«
»Gut«, sagte Rache! laut und deutlich.
Sie nahmen die leere Dose mit, weil sie ihnen unterwegs nützlich sein konnte, und gingen zu ihren Pferden. Der Ladenbesitzer stand an der Brüstung seiner Veranda und sah ihnen nach, als sie auf der staubigen Straße davonritten.
An diesem Nachmittag durchquerten sie an einer Furt den Cedar, ohne nass zu werden, wurden dann freilich von einem plötzlichen Frühlingsschauer durchnässt. Es war schon fast dunkel, als sie zu einer Farm kamen und dort Zuflucht in einer Scheune suchten. Shaman spürte eine eigentümliche Freude, als er an die Beschreibung der Hochzeitsnacht seiner Eltern im Tagebuch des Vaters dachte. Er stürzte noch einmal hinaus in den Regen, um den Farmer um die Erlaubnis zum Übernachten zu bitten, die ihm bereitwillig gegeben wurde. Der Farmer hieß Williams, war aber nicht verwandt mit dem Schmied in Holden’s Crossing. Als Shaman zurückkehrte, folgte ihm Mrs. Williams dicht auf den Fersen mit einem Topf voll herzhafter Milchsuppe, in der Karotten, Kartoffeln und Gerste schwammen, sowie einem frischen Brot. Sie verließ die beiden so schnell wieder, dass sie überzeugt waren, die Farmersfrau müsse gemerkt haben, dass sie frisch verheiratet waren.
Der nächste Morgen war klar, und es war wärmer als tags zuvor. Am frühen Nachmittag erreichten sie den Iowa.
Billy Edwards hatte Shaman gesagt, sie brauchten dem Fluss nur nach Nordwesten zu folgen, dann würden sie die Indianer finden. Dieser Abschnitt des Flusslaufs war verlassen, und nach einer Weile kamen sie an eine kleine Bucht mit klarem, flachem Wasser und sandigem Grund. Sie hielten die Pferde an, und Shaman war blitzschnell aus den Kleidern und im Wasser.
»Komm rein!« drängte er Rachel.
Sie traute sich zuerst nicht. Doch die Sonne brannte heiß, und der Fluss sah aus, als hätte noch kein menschliches Auge ihn gesehen. So ging Rachel nach kurzem Zögern hinter einen Busch, um sich bis auf ihr baumwollenes Unterhemd auszuziehen. Sie kreischte, als sie das kalte Wasser auf der Haut spürte, und dann spielten die beiden wie Kinder. Das nasse Unterhemd klebte ihr am Körper, und er griff nach ihr, doch sie bekam es mit der Angst.
»Es kommt bestimmt jemand vorbei!« rief sie und rannte aus dem Wasser.
Sie zog ihr Kleid wieder an und hängte das Unterhemd zum Trocknen über einen Ast. Shaman hatte eine Angelschnur und einige Haken in seinem Gepäck, und sobald er angezogen war, suchte er sich Würmer und einen Zweig, den er als Rute benutzen konnte. Er ging ein Stück Flussaufwärts zu einer tiefen, strömungsfreien Stelle und hatte in kurzer Zeit zwei halbpfündige Barsche gefangen.