Viele winkten zum Abschied, und Rachel und Shaman taten es ebenfalls, als sie mit ihren drei Pferden Tama verließen und am Fluss entlang in Richtung Heimat ritten.
Der Frühaufsteher
Nach ihrer Rückkehr musste Shaman vier Tage lang den Preis zahlen, der von Ärzten verlangt wird, die Urlaub machen. Jeden Vormittag drängten sich in seinem Wartezimmer die Patienten, und jeden Nachmittag und Abend verbrachte er mit Hausbesuchen, so dass er immer erst spätnachts und müde zu Rachel und dem Anwesen der Geigers zurückkam.
Aber am fünften Tag, einem Samstag, verebbte der Strom der Patienten langsam, und am Sonntagmorgen wachte er neben Rachel mit der beglückenden Erkenntnis auf, dass er Zeit für sich selbst hatte. Wie gewöhnlich war er vor allen anderen aus den Federn, nahm seine Kleider und trug sie nach unten, um sich im Wohnzimmer leise anzuziehen, bevor er das Haus verließ.
Sein Weg führte ihn zu jener Stelle im Wald, wo Oscar Ericssons Arbeiter bereits den Bauplatz für das neue Haus und den Schuppen vorbereitet hatten. Es war nicht genau die Stelle, an der Rachel einst als Kind gestanden und von einem Haus geträumt hatte. Leider spielen bei den Träumen kleiner Mädchen Probleme der Entwässerung keine Rolle, und Ericsson hatte, nachdem er sich die Stelle angesehen hatte, nur den Kopf geschüttelt. Sie hatten sich schließlich auf einen günstigeren, etwa hundert Meter entfernten Bauplatz geeinigt, der, wie Rachel versicherte, immer noch nahe genug an ihrem Traum war. Shaman hatte den Bauplatz von Jay kaufen wollen, doch der bestand darauf, ihnen den Grund zur Hochzeit zu schenken. Da zwischen Shaman und seinem Schwiegervater inzwischen ein herzliches Verhältnis gegenseitiger Rücksichtnahme bestand, stand einer Lösung des Problems nichts im Wege.
Bei der Baustelle des Krankenhauses angekommen, sah Shaman, dass der Keller schon fast vollständig ausgehoben war. Die Erdhaufen in der Umgebung formten eine Landschaft aus riesigen Ameisenhügeln.
Die Grube sah kleiner aus, als er es für das Krankenhaus erwartet hatte, doch Ericsson hatte ihm erklärt, dass solche Gruben immer kleiner wirken. Das Fundament sollte aus Granitsteinen aus einem Steinbruch hinter Nauvoo gemauert werden. Das Material musste auf einem Flachboot den Mississippi heraufgeschafft und mit Ochsenkarren von Rock Island zur Baustelle transportiert werden, ein gefahrvolles Unternehmen, das Shaman beunruhigte, dem der Baumeister jedoch gelassen entgegensah.
Shaman ging zum Cole-Haus hinunter, das Alex nun bald verlassen würde. Dann bog er in den Kurzen Weg ein und versuchte sich vorzustellen, wie Patienten, die mit dem Boot ankamen, auf ihm zum Krankenhaus gingen.
Große Veränderungen standen bevor. Er dachte an das Schwitzhaus, das nun plötzlich an der falschen Stelle stand, und beschloss, eine sorgfältige Skizze der Anordnung der einzelnen flachen Steine anzufertigen, um das Schwitzhaus anschließend hinter dem neuen Stall wieder aufbauen zu können, damit auch Joshua und Hattie erleben konnten, wie gut es tat, in der herrlichen Hitze zu sitzen, bis man nicht mehr anders konnte, als sich in das erlösende Wasser des Flusses zu stürzen.
Als er sich Makwas Grab zuwandte, sah er, dass die Holztafel rissig und verwittert war und man die Runen nicht mehr erkennen konnte. Die Zeichen hatte sein Vater in einem der Tagebücher festgehalten, und er nahm sich vor, eine dauerhaftere Gedenktafel aufzustellen und das Grab einzuzäunen, damit dessen Frieden nicht gestört würde.
Unkraut wucherte auf dem Grab. Während er Bartgras und Prärieampfer, die sich zwischen die Taglilienbüschel gezwängt hatten, herausriss, ertappte er sich dabei, wie er Makwa berichtete, dass einige ihres Stammes glücklich und sicher in Tama lebten. Die kalte Wut, die er früher hier gespürt hatte, ob sie nun tief aus ihm selbst gekommen war oder nicht, diese Wut war verschwunden. Alles, was er jetzt fühlte, war tiefe Ruhe. Und doch...
Da war noch etwas.
Er richtete sich auf und kämpfte eine Weile mit sich. Doch dann wandte er sich exakt nach Nordwesten und begann, jeden Schritt zählend, sich vom Grab zu entfernen.
Nach zehn Schritten stand er inmitten der Ruinen des hedonoso-te. Vom Langhaus war nach so vielen Jahren nichts mehr übrig außer einem niederen, unebenen Haufen dünner Stämme und Streifen vermodernder Baumrinde, aus dem Spartgras und wilder Indigo sprossen. Es ist unsinnig, sagte er sich, das Grab herzurichten und das Schwitzhaus zu versetzen, diesen unansehnlichen Haufen dagegen so zu lassen, wie er ist. Aus dem Stall holte er sich eine große Kanne Lampenöl, die er über dem Haufen ausleerte. Holz und Rinde waren feucht vom Tau, aber sein Schwefelhölzchen fing gleich beim ersten Versuch Feuer, und das Öl entzündete sich und loderte auf. Augenblicke später stand der ganze Haufen in tanzenden blauen und gelben Flammen, und eine dunkle Rauchsäule stieg gerade in die Höhe, bis der Wind sie erfasste und über den Fluss trieb. Shaman sah den ersten watawinona, vermutlich den wachenden, auf einer Kugel beißenden, schwarzen Rauchs, die aus den obersten Stämmen herausplatzte, davonreiten.
Er glaubte, der zweite böse Kobold sei aufgewacht und geflohen, als das Innere des Stapels Feuer fing. Der dritte folgte in einer helleren Rauchschwade, in der die Funken tanzten, und der letzte watawinona segelte in einem in die Luft aufsteigenden Boot aus weißer Asche davon.
Shaman stand nahe am Feuer und spürte die Hitze auf seiner Haut -wie bei einer rituellen Feier der Sauks, dachte er. Er stellte sich vor, wie dieser Ort ausgesehen hatte, als der junge Rob J. Cole hier ankam: unberührte Prärie bis zum Waldsaum am Fluss. Und er dachte an die anderen, die hier gelebt hatten, an Makwa und Mond und Der singend einhergeht. Und an Alden. Während das Feuer langsam niederbrannte, fing er in Gedanken an zu singen: Tti-la-ye ke-wi-ta-mo-ne i-no-ki-i-i, ke-te-ma-ga-yo-se! Geister, ich spreche jetzt zu euch, gewährt mir eure Gnade!
Bald war nur noch eine dünne, harzige Schicht übrig, aus der dünne Rauchfäden aufstiegen. Er wusste, dass Gras darüberwachsen und jede sichtbare Erinnerung an das hedonoso-te auslöschen würde. Als das Feuer so weit erloschen war, dass er es sich selbst überlassen konnte, machte er sich mit der Ölkanne auf den Rückweg. Auf dem Langen Weg kam ihm eine kleine Gestalt entgegen. Sie versuchte mürrisch, einen kleinen Jungen hinter sich zu lassen, der gefallen war und sich das Knie aufgeschlagen hatte. Doch der kleine Junge humpelte störrisch hinter ihr drein. Er weinte, und seine Nase lief.
Shaman putzte Joshua mit seinem Taschentuch die Nase und küsste sein Knie neben der blutigen Stelle. Er versprach, es zu Hause wieder heil zu machen. Dann setzte er sich Hattie auf die Schultern, nahm Joshua in die Arme und marschierte los. Diese beiden waren die einzigen Kobolde auf der Welt, die ihm wichtig waren, diese beiden guten Kobolde, die seine Seele verzaubert hatten. Hattie zog ihn an den Ohren, damit er schneller ging, und er fing an zu traben wie Trude. Als sie so fest an seinen Ohren zerrte, dass sie schmerzten, drückte er Joshua gegen Hatties Beine, damit sie nicht herunterfallen konnte, und begann zu galoppieren wie Boss. Und nun rannte und rannte er, rannte auf das Beste in seinem Leben zu.
Anmerkungen und Danksagung
Sauks und Mesquakies leben noch heute in Tama, Iowa, auf Land, das ihnen gehört. Die ursprünglichen hundert Morgen Grundbesitz wurden allerdings beträchtlich erweiten. Heute leben etwa fünfhundertfünfundsiebzig Indianer - die wahren Eingeborenen Amerikas - auf etwa viertausendvierhundert Morgen an den Ufern des Iowa. Ich habe zusammen mit meiner Frau Lorraine Tama im Sommer 1987 besucht. Don Wanatee, der damalige Geschäftsführer des Stammesrates, und Leonard Young Bear, ein bekannter indianischer Künstler, beantworteten mit viel Geduld meine Fragen. Später waren Muriell Racehill, die gegenwärtige Geschäftsführerin, und Charlie Old Bear ähnlich aufgeschlossene Gesprächspartner.