Es war ein klarer, frischer Tag. Die Sonne brannte bereits heiß, und Rob packte seine Gambe aus und setzte sich auf einen schattigen Felsen zwischen der Hütte und dem Waldrand. Er breitete die Notenblätter mit der Mazurka von Chopin, die Jay Geiger für ihn abgeschrieben hatte, vor sich aus und begann, gewissenhaft zu üben. Etwa eine halbe Stunde arbeitete er am Thema und der Ausführung, bis es anfing, nach Musik zu klingen. Als er den Kopf hob und zum Wald hinübersah, entdeckte er zwei Indianer auf ihren Pferden, die ihn vom Rand der Lichtung aus beobachteten.
Er erschrak, denn ihr Aussehen festigte sein Vertrauen in James Fenimore Cooper aufs neue: Männer mit eingefallenen Wangen und nacktem Oberkörper, der hart und drahtig wirkte und vor Öl oder ähnlichem glänzte.
Der eine trug eine Wildlederhose und hatte eine riesige Hakennase. Auf seinem rasierten Schädel prangte ein grellbunter Kopfschmuck aus dicken, steifen Tierhaaren. Er trug eine Flinte. Sein Begleiter war ein kräftiger Mann, etwa so groß wie Rob J., aber massiger. Seine langen, schwarzen Haare wurden von einem ledernen Stirnband zusammengehalten, bekleidet war er mit einem Lendenschurz und hohen ledernen Gamaschen. Er hatte einen Bogen in der Hand, und am Hals seines Pferdes hing ein Köcher voller Pfeile, so dass er aussah wie die Indianer auf den Zeichnungen, die Rob J. in den Büchern des Bostoner Athenaeums gesehen hatte. Er wusste nicht, ob sich hinter den beiden im Wald noch andere versteckten. Wenn sie feindselig waren, war er verloren, denn eine Gambe ist nur eine armselige Waffe. Er beschloss, einfach weiterzuspielen. Er legte den Bogen wieder an die Saiten und begann, aber nicht mit Chopin, denn er wollte sie nicht aus den Augen lassen und auf die Notenblätter sehen. Ohne lange nachzudenken, spielte er ein Stück aus dem siebzehnten Jahrhundert, das er gut kannte: »Cara la vita mia« von Oratio Bassani. Er spielte es ganz durch und dann noch einmal zur Hälfte.
Schließlich hörte er auf, er konnte ja nicht für alle Zeiten dasitzen und auf der Gambe spielen.
Da hörte er hinter sich ein Geräusch. Er drehte sich schnell um und sah gerade noch ein rotes Eichhörnchen davonhuschen. Als er wieder nach vorne schaute, war er einerseits erleichtert, aber auch ein bisschen enttäuscht, denn die Indianer waren verschwunden. Eine Weile hörte er noch ihre Pferde im Unterholz, dann war das Rascheln der Blätter im Wind das einzige Geräusch.
Nick Holden versuchte, sich seine Beunruhigung nicht anmerken zu lassen, als er zurückkehrte und erfuhr, was passiert war. Er inspizierte seinen Besitz, erklärte aber, dass offensichtlich nichts fehle. »Die Indianer, die früher hier in der Gegend gelebt haben, waren die Sauks. Vor neun bis zehn Jahren wurden sie nach einem Kriegszug, der als Krieg des Schwarzen Falken in die Geschichte einging, über den Mississippi nach Iowa vertrieben. Und vor ein paar Jahren wurden alle überlebenden Sauks in ein Reservat in Kansas gebracht. Letzten Monat haben wir erfahren, dass ungefähr vierzig Krieger mit ihren Frauen und Kindern aus dem Reservat verduftet sind.
Angeblich in Richtung Illinois. Ich glaube nicht, dass sie so blöd sind, uns hier Schwierigkeiten zu machen, die paar Mann, die sie sind. Wahrscheinlich hoffen sie einfach, dass wir sie in Ruhe lassen.«
Rob nickte. »Wenn sie mir Schwierigkeiten hätten machen wollen, hätten sie das problemlos tun können.«
Nick versuchte, das Thema zu wechseln, denn er fürchtete, Holden’s Crossing könnte in einem schlechten Licht erscheinen. Er habe sich an diesem Vormittag vier Parzellen Land angesehen, sagte er, die er Rob zeigen wolle, und auf sein Drängen hin sattelte Rob seine Stute. Das Land war Regierungseigentum. Auf dem Weg erklärte Nick, es sei von Landvermessern der Bundesregierung in Parzellen zu je hundert Morgen aufgeteilt worden.
Privatgrund wurde zu mindestens sechs Dollar je Morgen verkauft, Regierungsland aber kostete nur einen Dollar, eine Hundert-Morgen-Parzelle also einhundert Dollar. Der zwanzigste Teil des Kaufpreises musste sofort hinterlegt werden, insgesamt fünfundzwanzig Prozent waren innerhalb der nächsten vierzig Tage fällig, der Rest aber erst in drei gleichen Raten jeweils am Ende des zweiten, dritten und vierten Jahres nach Vertragsabschluß.
Nick erklärte, es sei der beste Grund, den ein Siedler irgendwo finden könne, und als sie das Land erreichten, musste Rob ihm beistimmen.
Die Parzellen erstreckten sich eine knappe Meile entlang des Flusses, ein breiter Waldstreifen am Ufer bot mehrere saubere Quellen und genügend Holz zum Bauen, und dahinter lag als fruchtbares Versprechen nie gepflügter Prärieboden.
»Ich will Ihnen mal was sagen«, bemerkte Holden. »Betrachten Sie das Land nicht als vier Hundert-Morgen-Parzellen, sondern als zwei Zweihundert-Morgen-Stücke. Im Augenblick lässt die Regierung einen Siedler höchstens zwei Parzellen kaufen, und genau das würde ich an Ihrer Stelle tun.«
Rob J. schnitt eine Grimasse und schüttelte den Kopf. »Es ist gutes Land. Aber ich habe schlicht und einfach die nötigen fünfzig Dollar nicht.«
Nick Holden sah ihn nachdenklich an. »Meine Zukunft hängt von dieser Vielleicht-einmal-Stadt ab. Wenn ich Siedler anwerben kann, werden mir irgendwann der Gemischtwarenladen, die Mühle und das Wirtshaus gehören.
Und Siedler kommen in Scharen an einen Ort, wo es einen Arzt gibt. Wenn Sie sich in Holden’s Crossing niederlassen, ist das für mich wie Geld im Sparstrumpf. Die Banken verleihen Geld zu zweieinhalb Prozent pro Jahr. Ich gebe Ihnen die fünfzig Dollar als Kredit zu eineinhalb Prozent, rückzahlbar in acht Jahren.« Rob J. sah sich um und atmete tief durch. Es war wirklich gutes Land. Der Platz gefiel ihm so, dass er Mühe hatte, seine Stimme zu beherrschen, als er das Angebot annahm. Nick schüttelte ihm herzlich die Hand und wollte keinen Dank. »Das ist nur ein gutes Geschäft.« Dann ritten sie langsam über das Land. Die südliche Doppelparzelle war eine Talsohle und sehr flach. Der nördliche Abschnitt dagegen war sanft gewellt, mit einigen Erhebungen, die man schon fast als Hügel bezeichnen konnte.
»Ich würde das untere Stück nehmen. Der Boden ist dort besser und einfacher zu pflügen«, riet Nick Holden.
Aber Rob J. hatte sich bereits entschlossen, den Nordteil zu kaufen. »Ich belasse den Großteil als Weideland und züchte Schafe, denn davon verstehe ich was. Aber ich kenne jemanden, der unbedingt Ackerbauer werden will, vielleicht nimmt der das südliche Stück.« Als er Holden von Jason Geiger erzählte, lachte der Anwalt vor Vergnügen. »Eine Apotheke in Holden’s Crossing? Das wäre doch die Sahne auf dem Kuchen. Na, da werd’ ich mal in Geigers Namen die Anzahlung für das südliche Grundstück leisten. Wenn er es nicht will, wird es nicht schwer sein, so gutes Land weiterzuverkaufen.« Am nächsten Morgen ritten die beiden Männer nach Rock Island, und als sie das Grundbuchamt wieder verließen, war Rob J. Landbesitzer und Schuldner.
Nachmittags ritt er allein zu seinem Besitz. Er band die Stute an und erkundete zu Fuß Wald und Prärie. Wie im Traum ging er am Fluss entlang und warf Steine ins Wasser. Er konnte einfach nicht glauben, dass das alles ihm gehörte. In Schottland war es sehr schwierig, Land zu erwerben. Die Schafzucht seiner Familie in Kilmarnock war über die Jahrhunderte hinweg von einer Generation zur nächsten weitervererbt worden.
Gleich an diesem Abend schrieb er Jason Geiger einen Brief. Er berichtete ihm von den zweihundert Morgen, die in des Apothekers Namen neben seinem Land reserviert seien, und bat Jay, ihn so schnell wie möglich wissen zu lassen, ob er den Besitz antreten wolle. Darüber hinaus bat er ihn, ihm eine große Menge Schwefelpuder zu schicken, denn Nick hatte ihm widerstrebend gestanden, dass im Frühjahr immer eine Krankheit ausbreche, die die Leute Illinois-Krätze nannten, und großzügig verabreichter Schwefelpuder das einzige zu sein scheine, was dagegen helfe.