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In diesem Augenblick übermannten ihn nach der schlaflosen Nacht und dem Kampf gegen den Schnee die Müdigkeit, und er wankte benommen aus dem schwach erleuchteten Tipi hinaus, wo eine Menge schneebestäubter Sauks wartete. Ein triefäugiger alter Mann berührte ihn ehrfürchtig. »Cawso wabeskiou!« sagte er, und andere nahmen den Ruf auf: »Cawso wabeskiou!«.

Die Priester-Ärztin kam aus dem Tipi. Die Kapuze glitt ihr vom Kopf, und er sah, dass sie nicht alt war. »Was rufen die Leute?«

»Sie nennen dich einen weißen Schamanen«, erwiderte sie.

Von der Medizinfrau erfuhr er, dass der verletzte Mann - aus Gründen, die ihm sofort einsichtig waren –

Waucau-che, Adlernase, hieß. Den großen Indianer nannten sie Pyawanegawa, Der singend einhergeht. Als Rob J. zu seiner Blockhütte zurückritt, traf er Pyawanegawa und zwei andere Sauks, die gleich nach Waucau-ches Ankunft im Lager zu dem Pferdekadaver zurückgeritten sein mussten, um das Fleisch zu holen, bevor die Wölfe es taten. Sie hatten das tote Tier zerteilt und brachten die Fleischstücke auf zwei Packpferden zurück. Sie ritten hintereinander an ihm vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, fast so, als wäre er ein Baum.

Nach Hause zurückgekehrt, schrieb Rob J. sein Erlebnis in sein Tagebuch und versuchte, die Frau nach dem Gedächtnis zu zeichnen. Doch sosehr er sich auch anstrengte, er brachte nicht mehr zusammen als ein typisches Indianergesicht ohne Geschlecht und vom Hunger gezeichnet. Er brauchte Schlaf, aber seine Strohmatratze reizte ihn nicht. Er wusste, dass Gus Schroeder getrocknete Maiskolben zu verkaufen hatte, und Alden hatte erwähnt, dass auch Paul Gruber einen Teil seines Saatgetreides verkaufe. Er bestieg Meg und führte Monica mit sich, und noch an diesem Nachmittag kehrte er mit zwei Sack Mais und je einem mit gelben Kohlrüben und Weizen in das Lager der Sauks zurück.

Die Medizinfrau dankte nicht. Sie sah die Säcke mit den Lebensmitteln nur an, bellte einige Befehle, und schon zogen eifrige Hände die Lebensmittel in die Tipis, um sie vor Kälte und Feuchtigkeit zu schützen. Der Wind wehte der Medizinfrau die Kapuze vom Kopf. Sie war wirklich eine Rothaut: Ihr Gesicht hatte eine kräftige, gegerbt rötlichbraune Tönung. Ihre Nase hatte einen vorspringenden Höcker und beinahe negroide Löcher. Sie hatte große, schimmerndbraune Augen und einen unverhüllten Blick. Als er sie nach ihrem Namen fragte, sagte sie, sie heiße Makwa-ikwa. »Was bedeutet das auf englisch?«

»Die Bärenfrau«, antwortete sie.

Durch die kalte Zeit

Die Stümpfe der amputierten Finger von Gus Schroeder verheilten ohne Infektion. Rob J. besuchte den Farmer vielleicht zu oft, aber die Frau in der Hütte auf dem Grund der Schroeders hatte ihn neugierig gemacht. Alma Schroeder war zunächst verschlossen, doch als sie merkte, dass Rob J. wirklich helfen wollte, erzählte sie bereitwillig und mütterlich-besorgt die Geschichte der jungen Frau. Sarah war zweiundzwanzig Jahre alt, sechs Jahre zuvor mit ihrem jungen Mann Alexander Bledsoe aus Virginia nach Illinois gekommen und inzwischen Witwe. Zwei Frühjahre lang hatte Alexander die widerspenstige, tief durchwurzelte Erde gepflügt und sich mit seinem Ochsengespann abgemüht, um seine Felder so groß wie möglich zu machen, bevor das Präriegras ihm im Sommer über den Kopf wuchs. Im Mai seines zweiten Jahres im Westen erkrankte er an der Illinois-Krätze und starb an dem mit ihr verbundenen Fieber.

»Im folgenden Frühjahr versuchte sie ganz alleine zu pflügen und zu säen«, erzählte Alma. »Sie brachte auch eine kleine Ernte ein und erweiterte ihr Feld ein Stückchen, aber auf die Dauer schaffte sie es einfach nicht. In diesem Sommer kamen Gus und ich aus Ohio. Wir trafen eine Vereinbarung: Sie überlässt GUS ihre Felder, und wir versorgen sie mit Maismehl, Gartengemüse und Feuerholz.«

»Wie alt ist das Kind?«

»Zwei Jahre«, antwortete Alma Schroeder ungerührt. »Sie hat nie was gesagt, aber wir glauben, dass Will Mosby der Vater war. Will und Frank Mosby, zwei Brüder, haben ein Stückchen weiter Flussabwärts gewohnt.

Als wir herkamen, war Frank Mosby viel mit ihr zusammen. Wir waren froh. Hier in der Wildnis braucht eine Frau einen Mann.« Alma seufzte verächtlich. »Diese Brüder! Einer schlimmer als der andere. Frank Mosby versteckt sich vor dem Gesetz. Will wurde bei einem Streit in einem Saloon getötet, kurz bevor das Baby kam.

Ein paar Monate später wurde Sarah krank.«

»Viel Glück hat sie wohl nicht.«

»Überhaupt kein Glück. Sie ist sehr krank. Sie stirbt am Krebs, sagt sie. Manchmal hat sie solche Bauchschmerzen, dass sie - Sie wissen ja- das Wasser nicht halten kann.«

»Was ist mit ihrem Stuhlgang?«

Alma Schroeder wurde rot. Über ein unehelich geborenes Kind konnte man reden, das gehörte zu den Wechselfällen des Lebens, doch war sie es, außer mit Gus, nicht gewöhnt, mit einem Mann Körperfunktionen zu besprechen, nicht einmal mit einem Arzt.

»In Ordnung. Es ist nur das Wasser... Sie will, dass ich den Jungen nehme, wenn sie stirbt. Aber wir haben doch schon fünf Mäuler zu stopfen...« Sie sah ihn scharf an. »Können Sie ihr was gegen die Schmerzen geben?«

Ein Krebskranker hatte die Wahl zwischen Whiskey und Opium.

Beides konnte sie nicht nehmen, wenn sie das Kind versorgen wollte.

Doch als Rob J. die Schroeders verließ, hielt er bei ihrer Hütte, die verschlossen und unbewohnt aussah, an.

»Mrs. Bledsoe!« rief er und klopfte an die Tür.

Nichts rührte sich.

»Mrs. Bledsoe! Ich bin Rob J. Cole. Ich bin Arzt!« Er klopfte noch einmal.

»Gehen Sie weg!«

»Ich sagte, ich bin Arzt. Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«

»Gehen Sie weg! Gehen Sie weg! Gehen Sie doch weg!«

Gegen Ende des Winters war es auch in seiner Hütte etwas gemütlicher geworden. Wohin er auch kam, besorgte er sich häusliche Dinge: einen eisernen Topf, zwei Blechnäpfe, eine farbige Flasche, eine irdene Schüssel, Holzlöffel. Einiges kaufte er, anderes nahm er als Bezahlung, wie etwa die beiden alten, aber praktischen Patchwork-Decken. Die eine hängte er als Schutz gegen die Zugluft an die Nordwand, und die andere zierte das Bett, das Alden Kimball für ihn gezimmert hatte. Alden hatte ihm außerdem einen dreibeinigen Hocker und eine niedere Bank für den Platz vor dem Kamin geschreinert und kurz vor dem ersten Schnee ein knapp meterhohes Stück von einem Platanenstamm in die Hütte gerollt und aufgestellt. Er nagelte ein paar Bretter drauf, über die Rob eine alte Wolldecke breitete. An diesem Tisch thronte er wie ein König auf seinem besten Möbelstück, einem Stuhl mit einer Sitzfläche aus geflochtener Hickoryrinde. Hier aß er seine Mahlzeiten, oder er las vor dem Zubettgehen beim flackernden Licht einer Talglampe in seinen Büchern und Journalen. Der Kamin aus Flusssteinen und Lehm hielt die kleine Hütte warm. Darüber hingen seine Flinten an hölzernen Haken, und von den Dachsparren baumelten Kräutersträuße, Zwiebel- und Knoblauchzöpfe, Fäden mit getrockneten Apfelscheiben, eine Hartwurst und ein schwarzgeräucherter Schinken. In einer Ecke stapelten sich Werkzeuge, die er alle mit mehr oder weniger Geschick selbst angefertigt hatte.

Die Gambe spielte er nur selten. Meistens war er zu müde, um für sich alleine zu musizieren. Am 2. März kamen ein Brief von Jay Geiger und ein Paket mit Schwefelpuder in der Kutschenstation von Rock Island an. Geiger schrieb, was Rob J. über das Land in Holden’s Crossing berichtet habe, sei mehr, als er und seine Frau sich erhofft hätten. Das Geld für die Anzahlung auf das Land habe er Nick Holden bereits überwiesen, und er werde alle weiteren Zahlungen an das staatliche Grundamt übernehmen. Leider könnten sie aber in der nächsten Zeit nicht nach Illinois kommen, da Lillian wieder schwanger sei: »Ein unerwartetes Ereignis, das uns mit Freude erfüllt, aber auch die Abreise von hier verzögert.« Sie wollten warten, bis das zweite Kind geboren und groß genug wäre, um die beschwerliche Reise über die Prärie zu überstehen.