»Ich will Ihr Nest auspolstern, bis Sie nicht mehr auf den Gedanken kommen, davonzufliegen. Sie sind für den Ort so wichtig wie Wasser.« Rob J. wusste, dass das stimmte. Als er mit Alden nach Rock Island geritten war, um die Schafe zu kaufen, hatte er einen Flugzettel gesehen, den Nick verteilt hatte und auf dem er die vielen Vorzüge von Holden’s Crossing anpries. Die Anwesenheit des Dr. Cole war einer der wichtigsten gewesen. Er dachte über das Angebot nach, und da er nicht glaubte, dass ihn eine Beteiligung an der Mühle als Arzt kompromittieren werde, stimmte er schließlich zu. »Partner!« rief Nick.
Sie bekräftigten das Geschäft mit einem Handschlag. Die angebotene riesige Havanna lehnte Rob J. ab. Seit er Zigarren benutzt hatte, um Nikotin anal zu verabreichen, war sein Appetit auf Tabak sehr gesunken. Als Nick sich die seine anzündete, bemerkte Rob, er sehe aus wie der perfekte Bankier.
»Das kommt früher, als Sie denken, und Sie werden einer der ersten sein, die es erfahren.« Befriedigt blies Nick den Rauch in die Luft. »Ich gehe übers Wochenende nach Rock Island zum Geißenjagen. Wollen Sie nicht mitkommen?«
»Was? Jagen in Rock Island?«
»Aber doch keine Tiere! Weiber! Na, wie war’s, alter Bock?«
»Aus Bordellen mache ich mir nichts.«
»Ich rede von privaten Damen erster Güte.«
»Na gut. Ich komme mit.« Rob J. hatte versucht, das möglichst beiläufig zu sagen, doch etwas in seiner Stimme musste verraten haben, dass er diese Dinge nicht auf die leichte Schulter nahm, denn Nick Holden grinste.
Das Stephenson Home spiegelte den Charakter einer Stadt am Mississippi, in deren Hafen jährlich fast zweitausend Dampfschiffe anlegten und an der unzählige Holzflöße von einer Drittelmeile Länge vorbeizogen.
Wenn die Flößer und Holzfäller Geld in der Tasche hatten, ging es in dem Hotel laut und manchmal gewalttätig zu. Nick Holden hatte Vorkehrungen getroffen, die ebenso kostspielig wie diskret waren: eine Suite mit zwei Schlafzimmern und einem dazwischen liegenden Speise- und Wohnzimmer. Die Damen waren Cousinen, beide mit dem Namen Dawber, und sehr davon angetan, dass ihre Gastgeber Akademiker waren. Nicks Kandidatin hieß Lettie, die von Rob Virginia. Sie waren zierlich und keck wie Spatzen, aber beide legten eine Durchtriebenheit an den Tag, die Rob skeptisch machte. Lettie war Witwe. Virginia erzählte ihm, sie habe nie geheiratet, doch als er dann ihren Körper kennenlernte, sah er, dass sie Kinder geboren hatte. Als sich die vier am nächsten Morgen zum Frühstück trafen, steckten die Frauen die Köpfe zusammen und kicherten. Virginia musste Letti von dem Präservativ erzählt haben, das Rob Old Horny nannte, und Lettie hatte es dann sicher Nick erzählt, denn als sie nach Hause ritten, erwähnte Nick das Kondom und lachte. »Wozu benützen Sie denn diese blöden Dinger?«
»Na ja, wegen Krankheiten«, antwortete Rob sanft. »Und zur Verhütung.«
»Das verdirbt doch den Spaß.«
Aber hatte es wirklich so viel Spaß gemacht? Rob musste sich eingestehen, dass er an Körper und Seele gelöster war als zuvor, und als Nick sagte, er habe die Gesellschaft genossen, erwiderte Rob, er ebenfalls, und stimmte ihm zu, dass sie wieder einmal auf Geißenjagd gehen müssten.
Als Rob J. das nächstemal am Anwesen der Schroeders vorbeiritt, sah er Gus auf einer Wiese. Der Farmer schwang trotz der amputierten Finger eine Sense, und die beiden grüßten sich. Rob war in Versuchung, an der Hütte Sarah Bledsoes einfach vorbeizureiten, weil die Frau ihm zu verstehen gegeben hatte, dass sie ihn als Eindringling betrachte, und der Gedanke an sie ihn aus der Fassung brachte. Doch im letzten Augenblick lenkte er das Pferd auf die Lichtung und stieg ab.
Er wollte gerade anklopfen, hielt aber die Hand zurück, denn von drinnen drangen deutlich vernehmbar das Jammern eines Kindes und die heisernen Schmerzensschreie einer Erwachsenen an sein Ohr. Das verhieß nichts Gutes. Er drückte die Klinke und fand die Tür unverschlossen. Der Gestank in der Hütte traf ihn wie ein Keulenschlag, und im trüben Licht konnte er Sarah Bledsoe auf dem Boden sehen. Neben ihr hockte der kleine Junge, das tränennasse Gesicht starr vor Entsetzen über den Anblick dieses riesigen Fremden, den Mund zu einem tonlosen Schrei geöffnet. Rob J. wollte das Kind auf den Arm nehmen und trösten, doch als die Frau wieder schrie, wusste er, dass er sich um sie kümmern musste.
Er kniete nieder und berührte ihre Wange. Kalter Schweiß. »Was haben Sie, Madam?«
»Es ist der Krebs. Au!«
»Wo tut es Ihnen weh, Mrs. Bledsoe?« Ihre Hände huschten wie zwei Spinnen zu ihrem Unterleib. »Ein scharfer oder ein dumpfer Schmerz?«
»Stechend! Bohrend, Sir! Es ist schrecklich!«
Er nickte. »So schrecklich, dass Ihre Blasenfunktion gestört ist und Sie den Urin nicht mehr halten können.«
Sie schloss die Augen. Der Beweis ihrer beständigen Inkontinenz stach ihm mit jedem Atemzug in Nase und Lunge. Er hatte Fragen, auf die er Antworten brauchte, und er wusste, was zu tun war. »Ich muss Sie untersuchen.«
Sie hätte sich zweifellos geweigert, doch als sie die Lippen öffnete, kam nur ein Schmerzensschrei über sie.
Sarah Bledsoe war steif vor Anspannung, doch gerade noch so beweglich, dass er sie in eine halb auf dem Bauch liegende, halb seitliche Position bringen und ihr das rechte Knie an den Körper drücken konnte.
In seiner Tasche hatte er einen kleinen Behälter mit frischem, weißem Schweineschmalz, das er als Gleitmittel benutzte. »Bitte bleiben Sie ganz ruhig. Ich bin Arzt«, sagte er, doch sie weinte mehr vor Scham denn vor Schmerz, als der Mittelfinger seiner Linken in ihre Vagina eindrang und seine rechte Hand ihren Unterbauch abtastete. Er versuchte, aus seiner Fingerspitze ein Auge zu machen, mit dem Finger zu sehen. Zuerst konnte er nichts feststellen, doch als er sich tastend dem Schambein näherte, fand er, was er erwartet hatte. Und dann wurde er noch einmal fündig.
Sanft zog er den Finger wieder heraus, gab ihr einen Lappen, damit sie sich abwischen konnte, und ging nach draußen, um sich am Bach die Hände zu waschen.
Um mit ihr zu reden, führte er sie nach draußen und setzte sie auf einen Baumstumpf. Gegen das grelle Sonnenlicht blinzelnd, saß sie da und wiegte das Kind in ihren Armen.
»Sie haben keinen Krebs.« Es wäre ihm lieber gewesen, wenn er hier hätte aufhören können. »Sie leiden an Blasensteinen.«
»Dann muss ich nicht sterben?«
Er war zur Wahrheit verpflichtet. »Mit Krebs hätten Sie kaum eine Chance, aber bei Blasensteinen durchaus.« Er erklärte ihr, wie es zur Entstehung dieser mineralischen Steine in der Blase kommen konnte und dass möglicherweise einseitige Ernährung oder lang anhaltender Durchfall dafür verantwortlich war.
»Ja. Nach seiner Geburt hatte ich sehr lange Durchfall. Gibt es eine Medizin gegen diese Steine?«
»Nein. Eine Medizin, die Blasensteine auflöst, gibt es nicht. Kleine Steine werden manchmal mit dem Urin ausgeschieden. Sie haben oft scharfe Kanten, die das Gewebe verletzen, deshalb werden Sie vermutlich Blut im Urin festgestellt haben. Aber bei Ihnen sind es zwei große Steine. Zu groß, um ausgeschieden zu werden.«
»Dann schneiden Sie mich also? Um Gottes willen?« fragte sie schwach.
»Nein.« Er zögerte und überlegte, wieviel sie wissen musste. Ein Teil des Hippokratischen Eids, den er abgelegt hatte, lautete: »Ich werde keinen Menschen schneiden, der an einem Stein leidet.« Einige Schlächter ignorierten den Eid und schnitten trotzdem, wobei sie den Damm zwischen Anus und Vulva oder Hodensack durchtrennten, um die Blase öffnen und die Steine herausholen zu können. Nur wenige Opfer genasen nach einer solchen Operation vollständig, viele starben an Bauchfellentzündung, und andere blieben für ihr Leben verstümmelt, weil ein Darm- oder Blasenmuskel durchtrennt worden war. »Ich werde ein chirurgisches Instrument durch die Harnröhre in die Blase einführen. Dieses Instrument nennt man Lithotripter. Es hat am Ende eine kleine Stahlzange, mit der Steine herausgeholt oder zertrümmert werden.«