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Gouverneur Reynolds war wütend. Die Beschämung, die er über das Schicksal seiner Soldaten empfand, wurde von der Bevölkerung sämtlicher Grenzstaaten geteilt. Die Raubzüge der Winnebagos wurden übertrieben dargestellt und Schwarzer Falke zur Last gelegt. Neue Freiwillige strömten herbei, angezogen von dem Gerücht, dass ein von der Regierung von Illinois im Jahre 1814 ausgesetztes Kopfgeld noch immer gezahlt werde: fünfzig Dollar für jeden getöteten männlichen Indianer, jede gefangene Squaw und jedes gefangene rothäutige Kind.

Reynolds hatte keine Schwierigkeiten, noch einmal dreitausend Männer den Fahneneid leisten zu lassen. Schon jetzt kampierten in den Forts entlang des Mississippi zweitausend unruhige Soldaten, die von General Henry Atkinson und dessen Stellvertreter, Colonel Zachary Taylor, befehligt wurden. Aus Baton Rouge in Louisiana wurden zwei Infanteriekompanien nach Illinois verlegt, und aus Standorten im Osten kamen weitere tausend reguläre Soldaten unter dem Befehl von General Winfield Scott dazu. Unter diesen Truppen brach während des Dampfschifftransports über die Großen Seen die Cholera aus, doch die Streitmacht, die hier in Bewegung gesetzt wurde, war ohnedies gigantisch, ein gewaltiges Heer, gierig nach Rache an der fremden Rasse und nach Wiederherstellung seiner Ehre. Für das Mädchen Zwei Himmel war die Welt klein geworden, während sie früher, während der gemächlichen Reisen zwischen dem Winterlager der Sauks in Missouri und ihrem Sommerdorf am Rock River, unermesslich gewirkt hatte. Jetzt konnte sich ihr Stamm hinwenden, wohin er mochte, überall gab es weiße Späher und Schüsse und Geschrei. Sie nahmen ein paar Skalps und verloren ein paar Tapfere, und sie hatten Glück, nicht auf das Hauptkontingent der weißen Truppen zu stoßen. Schwarzer Falke schlug Haken und legte falsche Fährten, um den Soldaten zu entkommen, doch die meisten seiner Gefolgsleute waren Frauen und Kinder, und es war schwer, die Spuren von so vielen zu verbergen.

Sie wurden schnell weniger. Alte Leute starben, auch einige Kinder. Zwei Himmels kleiner Bruder wurde hohlwangig und großäugig. Die Milch seiner Mutter versiegte zwar nicht, aber der Fluss wurde immer spärlicher, und so bekam das Kind nie genug. Meistens trug Zwei Himmel ihren Bruder.

Bald sprach Schwarzer Falke nicht mehr davon, die Weißen davonzujagen. Er sprach davon, in den hohen Norden zu fliehen, aus dem die Sauks vor Hunderten von Jahren gekommen waren. Doch die Monde vergingen, und immer weniger seiner Gefolgsleute hatten noch genug Vertrauen in ihn, um bei ihm zu bleiben. Immer mehr Wigwams verließen den Sauk-Pulk, um ihr Glück auf eigene Faust zu versuchen. Kleine Gruppen hatten zwar nur wenig Chancen zu überleben, aber die meisten waren zu der Überzeugung gekommen, dass die Manitus Schwarzer Falke nicht wohlgesonnen waren.

Grüner Büffel blieb ihm treu, obwohl von Schwarzer Falkes Truppe vier Monde nach dem Auszug aus Keokuks Lager nur noch wenige hundert Leute übrig waren, die mit Wurzeln und Baumrinde als Nahrung ums Überleben kämpften. Sie kehrten zum Masesibowi zurück, denn der große Fluss hatte ihnen noch immer Trost gespendet.

Das Dampfschiff Warrior überraschte einen Großteil der Sauks beim Fischfang in den Untiefen an der Mündung des Wisconsin. Als das Schiff auf sie zustampfte und Schwarzer Falke die Sechspfünder-Kanone im Bug sah, wusste er, dass sie nicht länger kämpfen konnten. Seine Männer schwenkten eine weiße Fahne, aber das Schiff kam immer näher, und ein Winnebago-Söldner rief ihnen von Deck aus in ihrer Sprache zu: »Rennt weg und versteckt euch! Die Weißen werden schießen.«

Als sie schreiend und spritzend auf das Ufer zustürzten, feuerte die Kanone aus kürzester Entfernung eine Kartätsche ab. Heftiges Musketenfeuer folgte. Dreiundzwanzig Sauks wurden getötet. Die anderen schafften es, in den Wald zu entkommen, wobei einige Verletzte trugen oder hinter sich herzogen.

In dieser Nacht beratschlagten sie. Schwarzer Falke und der Prophet beschlossen, ins Land der Chippewas zu ziehen und dort zu versuchen, einen Lebensraum zu finden. Drei Wigwams wollten mit ihnen gehen, doch die anderen, darunter Grüner Büffel, glaubten nicht, dass die Chippewas den Sauks Felder abtreten würden, wenn es andere Stämme schon nicht taten; ihren einzigen Ausweg sahen sie in der Rückkehr zu Keokuk. Am nächsten Morgen verabschiedeten sie sich von den wenigen, die zu den Chippewas ziehen wollten, und machten sich auf den Weg nach Süden, in die alte Heimat. Das Dampfschiff Warrior blieb den Indianern auf den Fersen, indem es einfach den Scharen von Aaskrähen und Geiern Flussabwärts folgte. Denn inzwischen ließen die Sauks ihre Toten einfach liegen, wo sie gestorben waren. Einige waren alte Leute und Kinder, andere Verwundete aus den vorangegangenen Kämpfen. Wenn das Schiff anlegte, untersuchten die Männer die Leichen und schnitten ihnen die Skalps und Ohren ab. Es war gleichgültig, ob das Stück Kopfhaut mit dunklen Haaren von einem Kind oder das rote Ohr von einer Frau stammte: Die Trophäen wurden stolz in die vielen kleinen Städte zurückgetragen, als Beweis, dass ihre Besitzer tapfere Indianerkämpfer waren.

Die wenigen überlebenden Sauks verließen den Masesibowi und zogen landeinwärts, nur um dort auf die Winnebago-Söldner der Armee zu treffen. Hinter den Winnebagos pflanzten weiße Soldaten die Bajonette auf, die ihnen unter den Indianern den Namen Lange Messer eingebracht hatten. Als sie angriffen, stieg ein heiserer, tierischer Schrei aus ihren Kehlen auf, tiefer als das indianische Schlachtgeheul, aber nicht weniger wild. Es waren unzählige, und sie waren versessen aufs Töten, um etwas wiederzugewinnen, was sie verloren zu haben glaubten. Die Sauks hatten keine andere Wahl, als schießend zurückzuweichen. Am Ufer des Masesibowi angelangt, versuchten sie zu kämpfen, wurden aber sehr schnell in den Fluss getrieben. Zwei Himmel stand neben ihrer Mutter im knietiefen Wasser, als eine Bleikugel deren Unterkiefer zerfetzte. Die Frau fiel mit dem Gesicht nach unten ins Wasser. Zwei Himmel musste ihre Mutter auf den Rücken drehen und gleichzeitig den kleinen Bruder Der Land besitzt über Wasser halten. Es gelang ihr mit größter Anstrengung, doch dann musste sie feststellen, dass ihre Mutter tot war. Ihren Vater und ihre Schwester sah sie nirgends. Die Welt bestand nur aus Gewehrfeuer und Schreien, und als die Sauks durch das Wasser zu einer kleinen Weideninsel wateten, ging sie mit ihnen.

Sie versuchten, auf der Insel eine Verteidigungsstellung zu errichten, indem sie hinter Felsen und umgestürzten Bäumen in Deckung gingen. Doch dann tauchte wie ein gigantisches Gespenst das Dampfschiff aus dem Dunst auf und nahm sie vom Fluss aus unter Feuer. Ein paar Frauen rannten ins Wasser und versuchten, zum anderen Ufer zu schwimmen. Zwei Himmel wusste nicht, dass dort von der Armee angeheuerte Sioux warteten, um jeden zu töten, der den Weg durch die Fluten schaffte, und sie stieg schließlich auch ins Wasser, wobei sie das Baby mit den Zähnen am Genick packte, um die Hände zum Schwimmen frei zu haben. Sie biss in das weiche, faltige Fleisch des Kindes, spürte das Blut ihres Bruders auf der Zunge, und ihre Schulter- und Nackenmuskeln verkrampften sich vor Anspannung und begannen zu schmerzen. Sie wurde schnell müde und wusste, wenn sie noch länger so weitermachte, würden sie und der Kleine ertrinken. Die Strömung trieb sie Flussabwärts, weg von den Schüssen, und paddelnd wie ein Fuchs oder ein Eichhörnchen mit einem Jungen schwamm sie wieder auf das Ufer zu, von dem sie gekommen war. Dort lag sie dann neben dem schreienden Baby auf der Erde und versuchte, seinen zerbissenen Nacken nicht anzusehen.