Eine kleine Rebellion erlebte Rob J. auch unter seinen Patienten. Nick Holden warnte ihn bei einer Tasse Cider:
»Ein paar Siedler fangen an, Sie Injun Cole zu nennen - Indianer-Cole . Sie sagen, Sie seien ein Indianerfreund.
Und dass Sie selber ein bisschen Sauk-Blut in den Adern hätten.«
Rob J. lächelte, denn die Vorstellung gefiel ihm. »Ich will Ihnen mal was sagen. Wenn sich jemand bei Ihnen über den Doktor beschwert, geben Sie ihm doch einen dieser Handzettel, die Sie so gerne austeilen. Einen, auf dem steht, wie glücklich der Ort ist, einen Arzt mit Doktor Coles Ausbildung und Erfahrung zu haben. Wenn einer von denen wieder mal krank ist oder sich verletzt, wird er kaum über meine angebliche Herkunft klagen.
Oder über die Farbe der Hände meiner Assistentin.«
Als er das nächstemal zu Sarahs Hütte ritt, um sich von ihrer Genesung zu überzeugen, sah er, dass der Pfad zu ihrer Behausung eingefasst, geebnet und gefegt war. Neu angelegte Beete mit Waldpflanzen schmückten die Vorderfront des kleinen Gebäudes. Im Inneren waren die Wände frisch getüncht, und es roch angenehm nach Seife und nach Lavendel, Minze, Salbei und Kerbel, die gebündelt von den Dachsparren hingen.
»Alma Schroeder hat mir die Kräuter geschenkt«, sagte Sarah. »Heuer ist es schon zu spät, um einen Garten anzulegen, aber nächstes Jahr will ich meinen eigenen haben.« Sie zeigte ihm das Gartenstückchen, das zum Teil schon von Unkraut und Strauchwerk befreit war. Die Veränderung der Frau war noch erstaunlicher als die ihres Anwesens. Sie habe begonnen, täglich selber zu kochen, erzählte sie, um nicht mehr von den gelegentlichen heißen Mahlzeiten abhängig zu sein, die die großzügige Alma ihr brachte. Dank der regelmäßigen und besseren Ernährung war die bleiche Hagerkeit einer anmutigen Weiblichkeit gewichen. Sarah bückte sich, um ein paar grüne Zwiebeln zu ernten, die auf dem Gartenstückchen sprossen, und er betrachtete ihren rosigen Nacken. Bald würde man ihn nicht mehr sehen, denn ihr Haar wuchs nach wie ein gelber Pelz.
Einem kleinen blonden Tier gleich trippelte ihr Junge hinter ihr her. Auch er war sauber, und Rob J. bemerkte Sarahs Unmut, als sie versuchte, Erdflecken vom Knie des Sohnes wegzuwischen. »Ein Junge macht sich eben immer schmutzig«, sagte er leichthin. Das Kind sah ihn mit wildem, angsterfülltem Blick an. Er hatte immer etwas Süßes in der Tasche, um sich leichter mit seinen kleinen Patienten anzufreunden, und so nahm er ein Bonbon heraus und wickelte es aus. Fast eine halbe Stunde lang musste er dem kleinen Alex ruhig zureden, bis er nahe genug an ihn heran durfte, um ihm die Süßigkeit geben zu können. Als die kleine Hand schließlich nach dem Bonbon schnappte, hörte Rob J. Sarah erleichtert aufatmen. Er hob den Kopf und sah, dass sie sein Gesicht betrachtete. Sie hatte wunderbare Augen voller Leben.
»Ich habe eine Wildpastete gemacht. Wenn Sie mit uns essen wollen...«
Er wollte schon höflich ablehnen, doch zwei Gesichter starrten ihn an: der Junge verzückt an dem Bonbon lutschend, die Mutter ernst und erwartungsvoll. Die Gesichter schienen ihm Fragen zu stellen, die er nicht verstehen konnte. »Ich liebe Wildpastete«, sagte er.
Sarahs Verehrer
Es war medizinisch durchaus vertretbar, dass Rob J. in der nächsten Woche mehrmals auf der Rückfahrt von Hausbesuchen bei Sarah Bledsoe vorbeischaute, denn es war immer nur ein sehr kleiner Umweg, und als ihr Arzt musste er sich überzeugen, dass ihre Genesung gut verlief. Und in der Tat verlief sie prächtig. Über ihre Gesundheit gab es kaum etwas zu bemerken, er konnte höchstens feststellen, dass aus der Leichenblässe ihrer Haut eine rosa-pfirsichfarbene Tönung geworden war, die ihr sehr gut stand, und dass ihre Augen vor Vitalität und einer faszinierenden Intelligenz funkelten. An einem Nachmittag bot sie ihm Tee und Maisbrot an, in der folgenden Woche hielt er dreimal bei ihrer Hütte, und zweimal nahm er ihre Einladung an, zum Essen zu bleiben. Sie kochte noch besser als Mond, und er konnte nicht genug von ihren Gerichten bekommen, die, wie sie sagte, typisch für Virginia waren. Er wusste, dass ihre Vorräte dürftig waren, also brachte er immer wieder Kleinigkeiten mit, einen Sack Kartoffeln oder einen kleinen Schinken. Eines Morgens erhielt er von einem Farmer, der gerade knapp bei Kasse war, vier frisch geschossene Moorhühner als Anzahlung, und mit diesen Vögeln am Sattel ritt er zur Bledsoe-Hütte. Als er dort ankam, sah er Sarah und Alex auf der Erde sitzen. Neben ihnen grub ein schwitzender, hemdloser Mann mit kräftigen Muskeln und gebräunter Haut gerade den Garten um. Sarah stellte ihn als Samuel Merriam vor, einen Farmer aus Hooppole. Merriam war mit einem Karren voller Schweinsdung aus Hooppole gekommen, und die Hälfte davon hatte er bereits unter die Gartenerde gegraben. »Es gibt nichts Besseres für das Wachstum«, erklärte er Rob J. fröhlich. Verglichen mit diesem fürstlichen Geschenk einer Wagenladung Scheiße, die noch dazu gleich verarbeitet wurde, waren Robs kleine Vögel nur ein dürftiges Mitbringsel, doch er händigte sie ihr trotzdem aus, und sie schien aufrichtig dankbar zu sein. Er lehnte höflich ab, als sie ihn einlud, doch mit ihr und Samuel Merriam zu Mittag zu essen, und besuchte statt dessen Alma Schroeder, die begeistert von seinen Erfolgen bei der Heilung Sarahs plapperte. »Und wie Sie sehen, hat sie auch schon einen Verehrer.« Merriams Frau war im vergangenen Herbst an Fieber gestorben, und er brauchte möglichst bald eine neue Frau, die sich um seine fünf Kinder kümmerte und ihm bei den Schweinen half. »Eine gute Partie für Sarah«, sagte sie. »Aber hier an der Grenze sind Frauen ja so rar, da hat sie alle Chancen.«
Auf dem Heimweg zog es Rob J. noch einmal zur Bledsoe-Hütte. Er ritt, bis er vor Sarah stand, blieb aber im Sattel sitzen und sah sie nur an. Sie lächelte ihn an, doch es war ein verwirrtes Lächeln, und er sah, dass Merriam seine Arbeit unterbrach und ihn forschend anstarrte. Rob öffnete den Mund, ohne eigentlich zu wissen, was er sagen wollte. »Sie müssen möglichst viel Arbeit selbst verrichten«, kam schließlich über seine Lippen. »Die körperliche Anstrengung ist für Ihre vollständige Genesung notwendig.« Dann tippte er an seinen Hut und ritt übelgelaunt nach Hause.
Als er drei Tage später wieder vor der Hütte anhielt, war von dem Verehrer nichts zu sehen. Sarah mühte sich mit einem großen, alten Rhabarberstock ab, den sie aufteilen und neu einpflanzen wollte, und er löste das Problem, indem er den Stock mit der Axt zerhackte. Gemeinsam gruben sie Löcher in den Lehm, pflanzten die Setzlinge ein und bedeckten sie mit warmer Erde, eine Arbeit, die ihm Freude machte und eine Portion Welsragout und einen Krug kühles Quellwasser einbrachte.
Danach saßen sie am Flussufer und angelten, während Alex im Schatten eines Baumes schlief. Rob J. erzählte ihr von Schottland, und sie sagte ihm, dass sie gerne eine Kirche in der Nachbarschaft hätte, damit ihr Sohn im Glauben erzogen werden könne. »Ich denke jetzt sehr oft an Gott«, erzählte sie. »Als ich noch geglaubt habe, dass ich sterben muss und Alex dann alleine ist, habe ich gebetet. Und Er hat Sie geschickt.« Nicht ohne eine gewisse Verlegenheit gestand er ihr, dass er nicht an die Existenz Gottes glaube. »Ich glaube, Götter sind eine Erfindung des Menschen, und das war immer so«, sagte er. Er sah das Entsetzen in ihrem Blick und fürchtete schon, sie zu einem Leben der Frömmigkeit auf einer Schweinefarm ermuntert zu haben. Aber sie ging nicht weiter auf die Religion ein, sondern erzählte von ihrem früheren Leben in Virginia, wo ihre Eltern eine Farm besaßen. Ihre großen Augen waren so dunkelblau, dass sie beinahe violett wirkten. Es sprach zwar keine Sentimentalität aus ihrem Blick, doch er erkannte in ihm die Sehnsucht nach dieser einfacheren, wärmeren Zeit.