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nannten, saß politisch noch fest im Sattel.

»Sammil Singleton ist alt. Er wird bald sterben oder zurücktreten. Wenn es soweit ist, mache ich jedem im Distrikt klar, dass eine Stimme für mich eine Stimme für den Wohlstand ist.« Nick grinste ihn an. »Ihnen habe ich doch auch auf die Sprünge geholfen, was Doktor?« Rob J. musste zugeben, dass das stimmte. Er hielt jetzt Anteile sowohl an der Mühle wie an der Bank. Bei der Finanzierung des Gemischtwarenladens und des Saloons hatte Nick Rob J. aber nicht mehr eingeladen. Rob verstand. Er war inzwischen in Holden’s Crossing fest verwurzelt, und Nick verschwendete keine Wohltaten, wenn sie nicht nötig waren.

Jay Geigers Apotheke und der ständige Zuzug von Siedlern in die Region lockten bald einen zweiten Arzt nach Holden’s Crossing. Dr. Thomas Beckermann war ein blasser Mann mittleren Alters mit schlechtem Atem und geröteten Augen. Er kam aus Albany in New York und ließ sich in einem kleinen Holzhaus in The Village unweit der Apotheke nieder. Er besaß kein Diplom einer medizinischen Fakultät und sprach nur recht allgemein über seine Ausbildung, die er seinen Angaben zufolge bei einem gewissen Dr. Cantwell in Concord genossen hatte. Anfangs war Rob J. froh über seine Ankunft. Es gab genug Patienten für zwei Ärzte, sofern diese nicht habgierig waren, und Rob hätte diesem zweiten Mediziner gern einen Teil der langwierigen Hausbesuche überlassen, die ihn oft weit in die offene Prärie hinaus führten. Aber Beckermann war ein schlechter Arzt und ein starker Trinker, und beides merkten die Leute sehr schnell. Also musste Rob J. weiterhin zu weit reiten und zu viele Patienten betreuen. Über den Kopf wuchs ihm diese Aufgabe nur im Frühling, wenn die jährlichen Epidemien ausbrachen, das Sumpffieber an den Ufern der Flüsse, die Illinois-Krätze in den Farmen der Prärie und andere ansteckende Krankheiten, die sich über das ganze Land ausbreiteten. Sarah wollte immer an der Seite ihres Mannes den Kranken helfen, und im Frühjahr nach der Geburt ihres zweiten Sohnes drängte sie Rob J., sie doch als seine Assistentin mitzunehmen. Doch sie hatte sich einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht. In diesem Jahr waren Milchfieber und Masern besonders bedrohlich, und als sie begann, ihm mit ihren Bitten zuzusetzen, hatte er bereits viele Schwerkranke, darunter einige Sterbende, und so konnte er ihr kaum Aufmerksamkeit schenken. Also musste Sarah wieder zusehen, wie Makwa-ikwa den ganzen Frühling über mit ihm ausritt, und ihre Seelenqualen kehrten zurück. Mit dem Beginn des Hochsommers klangen die Epidemien ab, und Rob J.

konnte den üblichen, gemächlicheren Lebensrhythmus wiederaufnehmen. Eines Abends, nachdem er mit Jay Geiger ein Mozart-Duo für Violine und Viola gespielt hatte, brachte Jay das heikle Thema von Sarahs Unglück zur Sprache. Die beiden waren inzwischen gute, enge Freunde geworden, und doch war Rob überrascht, dass Jay es wagte, in eine Welt einzudringen, die er als seine Intimsphäre betrachtete.

»Woher weißt du so gut über Sarahs Gefühle Bescheid?«

»Sie redet mit Lillian. Und Lillian redet mit mir«, erwiderte Jay und hielt dann einen Augenblick verlegen inne.

»Ich hoffe, du verstehst mich. Ich sage das... aus echter Zuneigung zu euch beiden.«

»Ich verstehe. Aber hast du neben deiner freundlichen Anteilnahme auch... einen Rat für mich?«

»Deiner Frau zuliebe musst du dich von dieser Indianerin trennen.«

»Zwischen uns ist nichts außer Freundschaft«, erwiderte Rob, ohne seine Verärgerung unterdrücken zu können.

»Das ist egal. Ihre bloße Anwesenheit macht Sarah schon unglücklich.«

»Sie kann doch nirgendwohin. Keiner von ihnen kann irgendwohin. Die Weißen betrachten sie als Wilde und lassen sie nicht so leben, wie sie es früher getan haben. Mond und Der singend einhergeht sind die besten Farmarbeiter, die man sich wünschen kann, aber keiner hier in der Gegend ist bereit, einen Sauk einzustellen, Makwa, Mond und Der singend einhergeht bringen mit dem wenigen, was sie bei mir verdienen, den ganzen Clan durch. Makwa arbeitet schwer, und ich kann mich auf sie verlassen. Ich kann sie doch nicht wegschicken und dem Hungertod oder noch Schlimmerem ausliefern.« Jay seufzte und nickte und sprach nie mehr davon.

Das Eintreffen eines Briefes war eine Seltenheit. Fast schon ein Ereignis. Eines Tages kam einer für Rob J. Der Postmeister in Rock Island hatte den Brief, nachdem er fünf Tage bei ihm gelegen hatte, dem Versicherungsmakler Harold Ames mitgegeben, der geschäftlich nach Holden’s Crossing fahren musste.

Rob riss den Umschlag neugierig auf. Es war ein langer Brief von Dr. Harry Loomis, seinem Freund in Boston.

Er las ihn einmal und dann ein zweitesmal langsamer. Und dann noch einmal. Er war am 20. November 1846

geschrieben worden und hatte den ganzen Winter gebraucht, um seinen Bestimmungsort zu erreichen. Harry war offensichtlich auf dem besten Wege zu einer erstklassigen Karriere. Er berichtete, dass er kürzlich zum Assistenzprofessor für Anatomie in Harvard ernannt worden sei, und deutete seine bevorstehende Heirat mit einer Dame namens Julia Salmon an. Aber der Brief war insgesamt mehr ein medizinischer denn ein persönlicher Bericht. Eine neue Entdeckung lasse nun schmerzfreie Chirurgie Wirklichkeit werden, schrieb Harry mit unverkennbarer Begeisterung. Es sei ein Gas namens Äther, das seit Jahren bei der Herstellung von Wachsen und Parfüms als Lösungsmittel benutzt werde. Harry erinnerte Rob J. an die Experimente, die in Bostoner Krankenhäusern zur Erprobung von Stickstoffoxydul, dem sogenannten Lachgas, als Betäubungsmittel durchgeführt worden waren. Anspielungsreich fügte er hinzu, dass Rob sich vielleicht an gewisse Freizeitbeschäftigungen mit diesem Stoff erinnere, die außerhalb der Krankenhäuser stattgefunden hatten. Rob erinnerte sich noch gut, wenn auch mit etwas gemischten Gefühlen, daran, wie er sich mit Meg Holland ein Fläschchen des Lachgases genehmigt hatte, dessen Spender Harry gewesen war. Vielleicht ließen die Zeit und die Entfernung das Erlebnis schöner und lustiger erscheinen, als es tatsächlich gewesen war.

Für den 5. Oktober dieses Jahres, schrieb Loomis, war im Operationssaal des Massachusetts General Hospital ein weiteres Experiment geplant, diesmal jedoch mit Äther. Vorangegangene Versuche, den Schmerz mit Stickstoffoxydul zu betäuben, waren komplette Fehlschläge gewesen, bei denen die Studenten und Ärzte auf den Galerien regelmäßig gejohlt und »Humbug! Humbug!« gerufen hatten. Die Experimente waren zu einer allgemeinen Belustigung geworden, und die geplante Operation im Massachusetts General versprach den früheren in nichts nachzustehen. Der Chirurg war Dr. John Collins Warren. Sie werden sich sicher noch daran erinnern, dass Dr. Warren ein abgebrühter, grober Operateur ist, der eher für seine Geschicklichkeit mit dem Skalpell denn für seine Geduld mit Dummköpfen berühmt ist. Also strömten wir an diesem Tag in den Operationssaal, als wäre er ein Kabarett.

Stellen Sie sich das vor, Rob! Der Mann, der den Äther liefern soll, ein Zahnarzt namens Morton, verspätet sich.

Warren ist in höchstem Maße verärgert, nutzt aber die Verzögerung, um in allen Einzelheiten darzulegen, wie er einen großen Tumor aus der krebsbefallenen Zunge eines jungen Mannes namens Abbott entfernen wird, der bereits halb tot vor Angst auf dem roten Operationsstuhl sitzt. Nach fünfzehn Minuten gehen Warren die Worte aus, und er zieht missmutig seine Uhr aus der Tasche. Auf der Galerie hat man bereits zu kichern begonnen, als endlich der auf Abwege geratene Zahnarzt eintrifft. Morton verabreicht das Gas und erklärt kurze Zeit später, der Patient sei nun bereit. Dr. Warren nickt, immer noch wütend, rollt die Ärmel hoch und sucht sich ein Skalpell aus. Assistenten öffnen Abbott den Mund und ziehen die Zunge heraus. Andere drücken den Patienten auf den Operationsstuhl, damit er nicht um sich schlägt. Warren beugt sich über ihn und setzt mit einer blitzschnellen Bewegung den ersten tiefen Schnitt, der Blut aus Abbotts Mundwinkel quellen lässt.