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Jay staunte über die Ergebnisse und versuchte, die Methode auch seinen Nachbarn nahezubringen, doch er fand nirgends ein offenes Ohr.

»Das ist nur, weil diese ignoranten Arschlöcher mich als Ausländer betrachten, obwohl ich in South Carolina geboren bin, ein paar von denen aber in Europa«, beschwerte er sich erregt bei Rob J. »Die trauen mir nicht. Sie hassen die Iren und die Juden, und die Chinesen, und die Italiener, und Gott weiß wen sonst noch, weil die zu spät nach Amerika gekommen sind. Die Franzosen und die Mormonen hassen sie aus Prinzip. Und die Indianer hassen sie, weil die zu früh in Amerika waren. Zum Teufel, wen mögen sie eigentlich?« Rob lachte. »Aber, Jay...

sich selber mögen sie! Sie glauben, dass sie genau richtig sind, nur weil sie zufällig gerade zur rechten Zeit hier angekommen sind«, sagte er.

In Holden’s Crossing war es eine Sache, gemocht zu werden, eine ganz andere aber, akzeptiert zu werden. Rob J.

Cole und Jay Geiger wurden widerstrebend akzeptiert, weil ihre Berufe dringend benötigt wurden. Während sie allmählich zu markanten Flecken in der Patchworkdecke der Gemeinde wurden, hielten die beiden Familien eng zusammen und unterstützten und ermutigten sich gegenseitig. Die Kinder wurden vertraut mit den Werken großer Komponisten, und oft lagen sie abends im Bett und lauschten dem wunderbaren Klang der Saiteninstrumente, die ihre Väter mit Liebe und Leidenschaft spielten. Als Shaman fünf Jahre alt war, wüteten im Frühling die Masern. Der unsichtbare Panzer, der Sarah und Rob beschützt hatte, wirkte nicht mehr, und so schwand auch das Glück, das ihnen bis dahin beigestanden hatte. Sarah brachte die Krankheit mit nach Hause und musste einen leichten Anfall durchstehen, Shaman ebenfalls. Rob J.s Ansicht nach hatte jeder Glück, der sich nur geringfügig ansteckte, denn seiner Erfahrung nach bekam man die Masern nur einmal im Leben. Alex allerdings befiel die Krankheit in ihrer ganzen schrecklichen Heftigkeit. Während seine Mutter und sein Bruder nur leicht erhöhte Temperatur hatten, glühte er im Fieber. Während sie nur schwachen Juckreiz spürten, kratzte er sich die Haut blutig. Rob J. wickelte ihn in welke Kohlblätter und musste ihm zu seinem eigenen Besten die Hände fesseln.

Im darauffolgenden Frühjahr war Scharlach die vorherrschende Krankheit. Die Sauks steckten sich an, und auch Makwa-ikwa wurde krank, so dass Sarah missmutig zu Hause bleiben und die Indianerfrau pflegen musste, anstatt als Assistentin mit ihrem Mann mitzureiten. Nach einer Weile steckten sich auch die beiden Jungen an.

Diesmal holte Alex sich die leichtere Version, während Shaman glühte, erbrach, vor Ohrenschmerzen schrie und einen so heftigen Ausschlag bekam, dass er sich an vielen Stellen schälte wie eine Schlange. Nachdem die Epidemie abgeklungen war, ließ Sarah die warme Mailuft ins Haus und erklärte, dass die Familie einen Feiertag nötig habe. Sie briet eine Gans, ließ die Geigers wissen, dass sie willkommen seien, und am Abend erklang wieder Musik, nachdem seit Wochen keine mehr zu hören gewesen war.

Die Kinder der Geigers durften auf Feldbetten im Zimmer von Alex und Shaman schlafen. Kurz bevor sie einschliefen, schlüpfte Lillian Geiger ins Zimmer und gab jedem Kind einen Gutenachtkuss. An der Tür blieb sie noch einmal stehen und wünschte ihnen eine gute Nacht. Alex antwortete, und auch ihre eigenen Kinder: Rachel, Davey, Herrn und Cubby, der noch zu jung war, um bei seinem richtigen Namen- Lionel - gerufen zu werden.

»Gute Nacht, Rob J.« sagte sie. Doch es kam keine Antwort, und Lillian sah, dass der Junge geradeaus starrte, als wäre er tief in Gedanken versunken.

»Shaman? Mein Lieber?« Als wieder keine Reaktion kam, klatschte sie laut in die Hände. Fünf Gesichter wandten sich ihr zu, doch eines nicht.

Im anderen Zimmer spielten die Musiker jenes Mozart-Duo, das sie am besten gemeinsam spielten und in dem sie als Künstler glänzten. Rob war sehr erstaunt, als Lillian sich plötzlich vor ihn stellte und seinen Bogen mitten in einer Passage anhielt, die er besonders liebte. »Dein Sohn«, sagte sie, »der kleine. Er hört nichts.«

Das stille Kind

Während seines lebenslangen Kampfes um die Linderung von Leiden, die körperliche und seelische Defekte mit sich bringen, wunderte Rob J. sich immer wieder, wie sehr es ihn traf, wenn der Patient jemand war, den er liebte. Er hatte für alle Sympathie, die er behandelte, auch für solche, die die Krankheit böse gemacht hatte, und sogar für jene, die schon vor ihrer Krankheit böse gewesen waren, denn indem sie seine Hilfe suchten, wurden sie in gewisser Weise zu den Seinen. Als junger Arzt in Schottland hatte er seine Mutter immer schwächer werden und auf den Tod zugehen sehen, und das hatte ihm schmerzhaft vor Augen geführt, wie machtlos er letztlich als Mediziner war. Jetzt schmerzte ihn tief, was diesem starken, stämmigen Jungen widerfahren war, der seinem Samen und seiner Seele entsprungen war. Shaman lag nur benommen da, während sein Vater in die Hände klatschte, schwere Bücher zu Boden fallen ließ und ihn anschrie. »Kannst... du... etwas... hören... Sohn?«

schrie Rob und deutete auf seine eigenen Ohren, doch der kleine Junge starrte ihn nur verwirrt an. Shaman war vollkommen taub geworden. »Wird es wieder vergehen?« fragte Sarah ihren Mann. »Vielleicht«, antwortete Rob, doch er sorgte sich noch mehr als sie, weil er mehr wusste und Tragödien miterlebt hatte, die sie sich kaum vorstellen konnte.

»Du wirst schon dafür sorgen, dass es wieder vergeht.« Sie hatte absolutes Vertrauen in ihn. So, wie er einst sie gerettet hatte, würde er auch ihr Kind heilen.

Rob J. wusste zwar nicht, wie er vorgehen sollte, aber er versuchte es. Er goss Shaman warmes Öl in die Ohren.

Er badete ihn heiß, legte Kompressen an. Sarah betete zu Jesus. Die Geigers beteten zu Jahwe. Makwa-ikwa schlug ihre Wassertrommel und sang zu ihren Manitus und Geistern. Weder Gott noch Geist schienen darauf zu achten. Weder Gott noch Geist erhörten das Flehen.

Am Anfang war Shaman zu verblüfft, um Angst zu haben. Doch schon wenige Stunden später begann er zu wimmern und zu schreien. Er schüttelte den Kopf und griff sich an die Ohren. Sarah glaubte schon, die schrecklichen Ohrenschmerzen würden wieder einsetzen, doch Rob wusste, es war etwas anderes, denn er kannte das von früheren Fällen. »Er hört Geräusche, die wir nicht hören können. In seinem Kopf.«