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Dr. Howe empfiehlt Ihnen deshalb, Ihren Sohn zu Hause zu behalten und ihn selbst zu unterrichten, und ich stimme ihm zu.

Die befragten Ärzte hatten davor gewarnt, dass Shaman, wenn man ihn nicht zum Sprechen zwinge, auf Grund mangelnder Übung der Sprechorgane mit der Zeit stumm werden könne. Und Holmes fügte noch hinzu, wenn die Sprechfähigkeit erhalten werden solle, dürfe die Familie Cole im Umgang mit dem jungen Robert keine formalisierten Zeichen benutzen und von ihm auch nie solche Zeichen akzeptieren.

Die Fesselung

Zunächst verstand es Makwa-ikwa nicht, als Cawso wabeskiou ihr sagte, sie dürfe den Kindern die Zeichen der Stämme nicht mehr beibringen. Aber Rob J. erklärte ihr, warum diese Zeichen für Shaman schlechte Medizin waren. Der Junge hatte bereits sechzehn Zeichen gelernt. Er kannte die Geste für Hunger, er konnte um Wasser bitten und anzeigen, dass ihm heiß oder kalt war und ob er sich wohl oder krank fühlte, er konnte seine Zustimmung oder sein Missfallen ausdrücken, grüßen und sich verabschieden, konnte Größen beschreiben und schließlich deutlichmachen, ob er etwas für klug oder für töricht hielt. Für die anderen Kinder war die indianische Zeichensprache nur ein Spiel, aber für Shaman, der ja von der normalen Kommunikation ausgeschlossen war, bedeutete sie den wiederhergestellten Kontakt zur Welt.

Seine Hände sprachen weiter.

Rob J. verbot den anderen, sich darauf einzulassen, doch es waren Kinder, und wenn Shaman ein Zeichen machte, konnten sie der Versuchung, darauf zu reagieren, manchmal nicht widerstehen. Nachdem Rob J.

mehrmals zusehen musste, dass weiterhin Zeichen ausgetauscht wurden, nahm er einen weichen Stoffstreifen, den Sarah zu einer Binde zusammengerollt hatte, und fesselte damit Shaman die Hände an den Gürtel. Shaman schrie und weinte.

»Du behandelst deinen Sohn... wie ein Tier«, flüsterte Sarah. »Es ist vielleicht schon zu spät für ihn. Vielleicht ist das seine letzte Chance.« Rob fasste die Hände seiner Frau und versuchte, sie zu trösten. Aber sosehr sie ihn auch anflehte, er blieb standhaft und die Hände seines Sohnes blieben gefesselt, als wäre er ein kleiner Gefangener.

Alex wusste noch gut, wie er sich gefühlt hatte, als sein Körper während der Masern so schrecklich gejuckt und sein Vater ihm die Hände gefesselt hatte, damit er sich nicht kratzen konnte. Er vergaß dabei, dass sein Körper bereits geblutet hatte, und erinnerte sich nur noch an das ungelinderte Jucken und das entsetzliche Gefesseltsein.

Bei der ersten Gelegenheit holte er deshalb die Sichel aus der Scheune und zerschnitt die Fessel seines Bruders.

Als Rob J. Alex Hausarrest auferlegte, hielt der sich nicht daran. Er packte ein Küchenmesser, ging hinaus und befreite seinen Bruder noch einmal von den Fesseln, nahm ihn bei der Hand und führte ihn weg. Zur Mittagszeit wurde ihre Abwesenheit bemerkt, und jeder auf der Farm ließ seine Arbeit im Stich, um sich auf die Suche zu machen. In den Wäldern, am Flussufer und auf den Weiden der Prärie suchte man sie und rief ihre Namen, die freilich nur einer der Jungen würde hören können. Niemand erwähnte den Fluss selbst, doch in diesem Frühling waren zwei Franzosen mit einem Kanu bei Hochwasser umgekippt und ertrunken, weshalb die Bedrohung, die dieser Fluss darstellte, allen noch frisch im Gedächtnis war.

Es gab keine Spur von den beiden Jungen, bis kurz vor Einbruch der Nacht Jay Geiger auf die Farm der Coles geritten kam, Shaman vor sich im Sattel, Alex hinter sich. Er habe sie mitten in seinem Maisfeld gefunden, berichtete er, vollkommen verweint und sich gegenseitig an den Händen haltend, seien sie zwischen den Pflanzen gesessen. »Wenn ich das Feld nicht gerade nach Unkraut abgesucht hätte, würden sie immer noch dort sitzen«, sagte Jay. Rob J. wartete, bis die tränennassen Gesichter gewaschen waren und die Jungen gegessen hatten. Dann nahm er Alex und ging mit ihm zum Fluss. Die Strömung kräuselte sich glucksend an den Steinen am Ufer, und das Wasser war bereits dunkler als der Himmel. Die hereinbrechende Nacht spiegelte sich in ihm.

Mauersegler stiegen hoch und stießen dann wieder herunter, bis sie beinahe die Wasseroberfläche berührten.

Hoch oben zog zielstrebig wie ein Postboot ein Kranich vorbei.

»Weißt du, warum ich dich hierher gebracht habe?«

»Wirst mich verprügeln wollen.«

»Ich habe dich bis jetzt noch nie geprügelt, oder? Und ich fange auch jetzt nicht damit an. Nein, ich will mich mit dir beratschlagen.« Der Junge sah ihn mit ängstlich aufgerissenen Augen an, denn er wusste nicht genau, ob dieses Beratschlagen nicht schlimmer war als Prügel. »Was is’n das?«

»Weißt du, was Tauschen ist?«

Alex nickte. »Klar. Hab’ schon oft Sachen getauscht.«

»Na, und ich will mit dir Gedanken austauschen. Über deinen Bruder. Shaman hat großes Glück, dass er einen großen Bruder hat wie dich, jemanden, der sich um ihn kümmert. Deine Mutter und ich... wir sind stolz auf dich.

Wir danken dir.«

»Du behandelst ihn aber gemein, Pa, fesselst ihm die Hände...«

»Alex, wenn ihr euch weiter mit Zeichen verständigt, braucht er nicht zu reden. Und ziemlich bald hat er dann das Reden verlernt, und du wirst nie wieder seine Stimme hören. Nie wieder. Glaubst du mir das?« Die Augen des Jungen wurden noch größer, die Last der Verantwortung spiegelte sich in ihnen. Er nickte.

»Ich will, dass du ihm die Hände gefesselt lässt, und ich bitte dich, dich mit ihm nie wieder mit Zeichen zu verständigen. Wenn du mit ihm redest, deute erst auf deinen Mund, damit er auf deine Lippen sieht! Dann sprich langsam und deutlich! Du musst wiederholen, was du sagst, bis er anfängt, von deinen Lippen zu lesen.« Rob J.

sah Alex in die Augen. »Verstehst du das, mein Sohn? Willst du uns helfen, damit er das Reden nicht verlernt?«

Alex nickte. Rob J. zog ihn an seine Brust und drückte ihn. Der Junge stank, wie eben ein Zehnjähriger riecht, der den ganzen Tag lang schwitzend und weinend in einem gedüngten Maisfeld gesessen hat. Zu Hause wollte Rob ihm gleich helfen, Badewasser in die Stube zu tragen.

»Ich liebe dich, Alex.«

»...dich auch, Pa«, flüsterte der Junge.

Jedem wurde das gleiche eingeschärft: Zieh Shamans Aufmerksamkeit auf dich! Deute auf deine Lippen! Sprich langsam und deutlich! Sprich zu seinen Augen anstatt zu seinen Ohren!

Jeden Morgen gleich nach dem Aufstehen fesselte Rob J. seinem Sohn die Hände. Bei den Mahlzeiten band Alex Shaman los, damit er essen konnte. Danach fesselte er seinen Bruder wieder und achtete darauf, dass keins der anderen Kinder Zeichen machte. Doch Shamans Blick wurde immer gepeinigter, das sowieso schon abgehärmte Gesicht verschloss sich vor dem Rest der Welt. Er konnte nicht verstehen. Und er sagte kein einziges Wort.

Hätte Rob J. von einem anderen Vater gehört, der seinem Jungen die Hände fesselte, hätte er alles getan, um dem Kind zu helfen. Grausamkeit lag ihm fern, und er sah, was Shamans Leiden bei den anderen in seinem Haushalt anrichtete. So war es eine willkommene Flucht für ihn, wenn er seine Tasche nehmen und davonreiten konnte, um seinem Beruf nachzugehen.

Die Welt außerhalb der Farm nahm ihren Lauf, ohne sich groß um die Sorgen der Coles zu kümmern. In diesem Sommer bauten drei weitere Familien solide Holzhäuser als Ersatz für ihre Sodenhütten. Man sprach viel davon, eine Schule zu bauen und einen Lehrer zu engagieren, und Rob J. und Jason Geiger befürworteten das Vorhaben.

Die beiden unterrichteten ihre Kinder zu Hause und halfen sich in Notfällen gegenseitig aus, aber sie waren übereinstimmend der Meinung, dass es besser wäre, wenn die Kinder in eine richtige Schule kämen. Als Rob J.

einmal die Apotheke aufsuchte, merkte er deutlich, dass Jay unbedingt etwas loswerden wollte. Schließlich platzte der Freund mit der Nachricht heraus, dass Lillians Babcock-Klavier unterwegs sei. Es war in Columbus verpackt und eingeschifft worden und hatte auf Floß und Flussdampfer bereits mehr als tausend Meilen zurückgelegt. »Den Scioto hinunter bis zum Ohio, den Ohio hinunter bis Cairo, und unseren Mississippi hoch zum Pier der Great Southern Transport Company in Rock Island, wo es jetzt auf meinen Buckboard und meine Ochsen wartet.«