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Alden Kimball hatte Rob gebeten, einen Bekannten von ihm zu behandeln, der krank in der verlassenen Mormonenstadt Nauvoo lag. Alden begleitete ihn als Führer. Auf der Reise Flussabwärts wollten sie es sich gemütlich machen und bezahlten deshalb für sich und ihre Pferde die Fahrt auf einem Flachboot. Nauvoo war eine gespenstische, zum größten Teil verlassene Stadt, ein Netzwerk breiter Straßen an einer hübsch gelegenen Flussbiegung, mit soliden Häusern und den steinernen Ruinen eines Tempels in der Mitte, der aussah, als wäre er von König Salomon erbaut. Nur eine Handvoll Mormonen lebte noch dort, erzählte ihm Alden, alte Leute und Rebellen, die mit der Führung gebrochen hatten, als die Heiligen der letzten Tage nach Utah gezogen waren. Es war ein Ort, der Freigeister anzog. So war ein Winkel der Stadt an eine kleine Kolonie von Franzosen vermietet worden, die sich selbst die Ikarier nannten und genossenschaftlich zusammenlebten. Mit verächtlich erhobenem Kopf, aufrecht in seinem Sattel sitzend, führte Alden Rob J. durch das französische Viertel und schließlich zu einem Haus aus verwittertem Backstein an einem freundlichen Sträßchen.

Eine ernst blickende Frau mittleren Alters öffnete auf sein Klopfen hin und nickte ihm grüßend zu. Sie nickte auch Rob J. zu, nachdem Alden sie als Mrs. Bidamon vorgestellt hatte. Etwa ein Dutzend Leute standen oder saßen im Salon, aber Mrs. Bidamon führte Rob nach oben in ein Zimmer, in dem ein etwa sechzehnjähriger Junge mit Masern im Bett lag. Es war kein schwerer Fall. Rob gab der Mutter Senfsamen und zeigte ihr, wie sie ihm damit Bäder bereiten konnte. Aus einem Päckchen mit getrockneten Holunderbeeren sollte sie Tee kochen.

»Ich glaube nicht, dass Sie mich noch einmal brauchen werden«, sagte er. »Aber Sie müssen mich sofort holen lassen, wenn es zu einer Entzündung der Ohren kommt.«

Mrs. Bidamon war schon voraus ins Erdgeschoss gegangen und hatte den Leuten im Salon offensichtlich die beruhigende Nachricht bereits überbracht, denn als Rob J. über die Schwelle trat, erwarteten sie ihn mit Geschenken: einem Topf Honig, drei Gläsern Marmelade, einer Flasche Wein - und mit dankbarem Geplapper.

Danach stand er beladen vor dem Haus und starrte Alden verwirrt an. »Sie sind Ihnen sehr dankbar, dass Sie den Jungen behandelt haben«, sagte Alden. »Mrs. Bidamon war die Witwe von Joseph Smith, dem Propheten der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage, dem Mann, der die Religion begründet hat. Der Junge ist sein Sohn, und er heißt ebenfalls Joseph Smith. Sie glauben, dass der Jüngling auch ein Prophet ist.« Während sie wegritten, betrachtete Alden die Stadt und seufzte. »Das war doch wirklich ein schöner Ort zum Leben. Und alles ist ruiniert, nur weil Joseph Smith seinen Schwanz nicht in seiner Hose behalten konnte. Der und seine Vielweiberei! Gattinnen im Geiste, hat er sie genannt. War aber nichts Geistiges dran, der hat nur gern rumgehurt.« Rob J. wusste, dass man die Heiligen aus Ohio, Missouri und schließlich auch aus Illinois vertrieben hatte, weil Gerüchte über ihre Mehrfachheiraten die Gemüter der ortsansässigen Bevölkerung erregt hatten. Er hatte Alden noch nie mit Fragen über sein früheres Leben bedrängt, doch jetzt konnte er nicht widerstehen. »Haben Sie selber auch mehr als eine Frau gehabt?«

»Drei. Als ich dann mit der Kirche Jesu Christi gebrochen hab’, wurden sie unter den anderen Heiligen verteilt, zusammen mit ihren Kindern.«

Rob wagte nicht zu fragen, wie viele Kinder es gewesen waren. Aber ein Dämon reizte seine Zunge zu einer letzten Frage: »Hat Ihnen das was ausgemacht?«

Alden dachte einen Augenblick nach und spuckte dann aus. »Die Abwechslung war schon interessant, das will ich gar nicht leugnen. Aber der Friede ohne sie ist wunderbar«, erwiderte er.

In dieser Woche reichte die Skala der Patienten, die Rob behandelte, von dem jungen Propheten bis zu einem Kongressabgeordneten. Er wurde nach Rock Island gerufen, um das Mitglied des Repräsentantenhauses Samuel T. Singleton zu untersuchen, der bei der Rückkehr aus Washington eine Herzattacke erlitten hatte.

Als Rob Singletons Haus betrat, verließ es gerade Thomas Beckermann, und der erzählte ihm, dass auch Tobias Barr den Abgeordneten bereits untersucht habe. »Der braucht aber ‘ne Menge medizinischer Autoritäten, was?«

meinte Beckermann verdrießlich. Der Aufwand zeigte nur das Ausmaß von Samuel Singletons Angst, und als Rob J. ihn untersuchte, erkannte, er, dass diese Angst wohlbegründet war. Singleton war neunundsiebzig. Der kleine Mann hatte eine fast vollständige Glatze, schwammiges Fleisch und einen riesigen Bauch. Sein Herz schlug unregelmäßig, Rob J. hörte Pfeif- und Gurgelgeräusche.

Er nahm die Hände des alten Mannes in die seinen und starrte in das Antlitz des Schwarzen Ritters.

Singletons Assistent, ein Mann namens Stephen Hume, und sein Sekretär, Billy Rogers, saßen am Fußende des Bettes. »Wir waren das ganze Jahr in Washington. Jetzt muss er in Illinois Reden halten und seine Position wieder festigen. Er hat einen Riesenberg Arbeit vor sich«, sagte Hume vorwurfsvoll, als sei es Rob J.s Schuld, dass Singleton in so schlechter Verfassung war. Hume war zwar ein schottischer Name, doch Rob J. wurde mit dem Mann nicht so recht warm. »Sie müssen im Bett bleiben«, sagte er unverblümt zu Singleton. »Vergessen Sie Ihre Reden und Ihre Position! Essen Sie leicht und bekömmlich! Und trinken Sie nur sehr wenig Alkohol!«

Rogers starrte ihn böse an. »Die beiden anderen Ärzte haben uns aber etwas ganz anderes gesagt. Dr. Barr meinte, nach der langen Reise wäre jeder erschöpft. Und der andere aus Ihrer Stadt, Dr. Beckermann, war der gleichen Ansicht und sagte, alles, was der Abgeordnete brauche, sei Hausmannskost und gute Prärieluft.«

»Wir hielten es für richtig, mehrere Ärzte zu Rate zu ziehen«, sagte Hume, »falls es verschiedene Ansichten gibt.

Und die haben wir jetzt ja auch, nicht? Die anderen beiden sind nicht Ihrer Meinung, also steht’s zwei zu eins.«

»Sehr demokratisch. Aber das hier ist keine Wahl.« Rob J. wandte sich an Singleton. »Wenn Sie überleben wollen, sollten Sie tun, was ich Ihnen sage.«

Die kalten alten Augen sahen ihn amüsiert an. »Sie sind ein Freund des Abgeordneten Holden. Und sein Partner in diversen Geschäften, wenn ich richtig informiert bin.«

Hume gluckste vergnügt. »Nick kann’s ja kaum noch erwarten, dass unser Boss zurücktritt.«

»Ich bin Arzt. Um Politik kümmere ich mich nicht. Sie haben mich gerufen, Mr. Singleton.«

Der Kongressabgeordnete nickte und warf den beiden anderen einen vielsagenden Blick zu. Billy Rogers führte Rob aus dem Zimmer. Als der versuchte, die Bedrohlichkeit von Singletons Zustand darzulegen, erhielt er vom Sekretär ein Nicken und vom Assistenten ein glattzüngiges Dankeschön. Rogers bezahlte das Honorar, als gebe er einem Stalljungen ein Trinkgeld, und Rob J. wurde schnell und ohne Umschweife hinauskomplimentiert. Als Rob J. ein paar Stunden später auf Vicky die Main Street in Holden’s Crossing entlangritt, sah er, wie gut Nick Holdens Nachrichtendienst funktionierte. Nick wartete auf der Veranda vor Haskins Laden, den Stuhl gegen die Wand gekippt, einen Stiefel auf dem Geländer. Als er Rob J. entdeckte, winkte er ihn zu sich. Nick zog ihn schnell in den hinteren Lagerraum des Ladens und versuchte erst gar nicht, seine Aufregung zu verbergen.

»Und?«

»Was und?«

»Ich weiß, dass Sie direkt von Samuel Singleton kommen.«

»Über meine Patienten rede ich nur mit ihnen selbst. Und manchmal mit ihren Lieben. Sind Sie einer von Singletons Lieben?«

Holden lächelte. »Also, ich mag ihn schon.«

»Mögen reicht nicht, Nick.«

»Keine Spielchen, Rob J.! Ich möchte nur eins wissen: Muss er zurücktreten?«