»Diese verdammten Nordlichter, was wissen denn die über Nigger? Ein paar von uns Farmern ham sich zusammengetan, weil wir wollen, dass Illinois endlich aufwacht und ‘nem Mann erlaubt, Sklaven zu halten.
Wolln Sie vielleicht bei uns mitmachen? Diese Dunkelhäutigen sind doch dazu bestimmt, auf den Feldern des weißen Mannes zu arbeiten. Sie ham ja auch ein paar rote Nigger, die bei Ihnen arbeiten.«
»Das sind Sauks, keine Sklaven. Sie arbeiten für Lohn. Ich persönlich halte nichts von der Sklaverei.«
Die beiden Männer sahen sich an. Howard errötete. Er schwieg, und offensichtlich hielt ihn nur die Tatsache, dass Rob kein Honorar verlangt hatte, davon ab, diesem hochnäsigen Doktor die Meinung zu sagen. Rob dagegen war froh, dass die Unterhaltung beendet war. Er ließ der Frau noch etwas Chinin da und konnte anschließend, ohne aufgehalten zu werden, nach Hause reiten. Doch als er dort eintraf, wartete bereits Gus Schroeder in panischer Angst auf ihn, denn Alma war beim Reinigen des Stalls zwischen die Wand und den großen, scheckigen Bullen geraten, auf den sie so stolz waren. Der Bulle hatte sie gerade zu Boden gestoßen, als Gus den Stall betrat. »Und dann rührte sich das gottverdammte Vieh nicht mehr. Steht einfach da über ihr und senkt die Hörner, und ich musste ihn schließlich mit der Heugabel wegscheuchen. Sie sagt zwar, sie war’ nicht schlimm verletzt, aber Sie kennen ja Alma.« Also ritt er, noch immer ohne Frühstück, zu den Schroeders. Alma schien in Ordnung, war allerdings blass und etwas verstört. Sie zuckte zusammen, als er gegen die fünfte und sechste Rippe auf der linken Seite drückte, und er beschloss, lieber kein Risiko einzugehen, sondern ihr einen Verband anzulegen. Er wusste, wie sehr es sie demütigte, sich vor ihm ausziehen zu müssen, und er bat deshalb Gus, nach seinem Pferd zu sehen, damit der Ehemann nicht Zeuge ihrer Erniedrigung würde. Er ließ sie selbst ihre großen, schwabbeligen, blau geäderten Brüste hochheben und achtete darauf, ihr weißes Fleisch beim Verbinden sowenig wie möglich zu berühren. Zur Ablenkung unterhielt er sich mit ihr über Schafe und Weizen und erzählte ihr von seiner Frau und seinen Kindern. Danach lächelte sie ihn etwas verlegen an und ging in die Küche, um eine frische Kanne aufzugießen. Anschließend saßen sie zu dritt am Tisch und tranken Kaffee.
Gus erzählte Rob, dass Ellwood Pattersons samstäglicher »Vortrag« nur eine schlecht verhüllte Wahlkampfrede für Nick Holden und die American Party gewesen sei. »Die Leute glauben, dass Nick ihn herbestellt hat.«
Besagte »Flut, die die Christenheit bedroht« bestand nach Patterson aus den Katholiken, die in die Vereinigten Staaten einwanderten. Die Schroeders waren an diesem Sonntagmorgen zum erstenmal nicht in die Kirche gegangen. Sowohl Alma wie Gus waren als Lutheraner erzogen worden, doch von Patterson hatten sie schon nach dessen Vortrag genug gehabt. Er hatte behauptet, dass die im Ausland Geborenen - und das hieß: auch die Schroeders - dem amerikanischen Arbeiter das Brot stahlen, und war dafür eingetreten, dass die Wartezeit bei der Einbürgerung um achtzehn Jahre verlängert werde. Rob J. schnitt eine Grimasse. »So lange möchte ich eigentlich nicht warten.« Da sie alle drei an diesem Sonntag noch Arbeit vor sich hatten, dankte er Alma für den Kaffee und machte sich auf den Weg. Er musste fünf Meilen Flussaufwärts zur Farm von John Ashe Gilben reiten, dessen bejahrter Schwiegervater, Fletcher White, sich eine böse Erkältung zugezogen hatte. White war dreiundachtzig und ein zäher alter Vogel; er hatte schon öfters Bronchienerkrankungen überstanden, und Rob war zuversichtlich, dass er es auch diesmal wieder schaffen werde. Fletchers Tochter Suzy hatte er aufgetragen, dem greisen Mann heiße Getränke einzuflößen und Wasser zum Kochen zu bringen, damit er den Dampf inhalieren konnte. Rob besuchte Fletcher öfter, als eigentlich notwendig war, aber seine alten Patienten lagen ihm besonders am Herzen, da er nur wenige hatte. Pioniere waren meist kräftige junge Leute, die die Alten zurückließen, wenn sie nach Westen aufbrachen.
Fletcher war bereits wieder auf dem Wege der Besserung. Suzy Gilbert setzte Rob ein Mittagessen aus einer gebratenen Wachtel und Kartoffelpfannkuchen vor und bat ihn, bei ihren Nachbarn, den Bakers, vorbeizusehen, da einer der Söhne eine entzündete Zehe hatte, die geöffnet werden musste. Rob ritt auch dorthin und fand den neunzehnjährigen Donny Baker in einem sehr schlechten Zustand vor. Der junge Mann fieberte und hatte heftige Schmerzen von einer böse aussehenden Entzündung. Die halbe Sohle seines rechten Fußes war schwarz verfärbt.
Rob amputierte zwei Zehen, öffnete dann den Fuß und führte einen Gazetampon ein, aber er zweifelte, ob er den Fuß würde retten können. Er kannte zahlreiche Fälle, bei denen eine solche Infektion nur durch die Amputation des ganzen Fußes hatte gestoppt werden können.
Es war später Nachmittag, als er sich auf den Heimweg machte. Etwa auf halber Strecke hörte er hinter sich jemanden rufen. Er hielt Vicky an und wartete, bis Mort London ihn auf seinem großen kastanienbraunen Wallach eingeholt hatte. »Sheriff?«
»Doc, ich...« Mort nahm seinen Hut ab und schlug gereizt nach einer herumsummenden Fliege. Er seufzte. »Eine schlimme Sache. Ich fürchte, wir brauchen einen Leichenbeschauer.« Auch Rob J. war gereizt. Suzy Gilberts Kartoffelpfannkuchen lagen ihm schwer im Magen. Wenn Calvin Baker ihn eine Woche früher benachrichtigt hätte, hätte er Donnys Zehen problemlos heilen können. Jetzt gab es große Probleme, vielleicht sogar eine Tragödie. Er fragte sich, wie viele seiner Patienten auf dem offenen Land es wohl schlecht erging, ohne dass sie es ihn wissen ließen, und beschloss, noch vor Einbruch der Nacht bei mindestens dreien vorbeizusehen. »Da holen Sie sich besser Beckermann«, sagte er. »Ich habe heute noch viel zu tun.«
Der Sheriff drehte den Hut in seinen Händen. »Hm. Ich kann mir vorstellen, dass Sie es selber übernehmen wollen, Dr. Cole.«
»Einer meiner Patienten?« Er ging im Geiste die möglichen Kandidaten durch.
»Es ist diese Sauk-Frau.«
Rob J. sah ihn an.
»Die Indianerin, die für Sie gearbeitet hat«, ergänzte London.
Die Verhaftung
Er redete sich ein, dass es Mond sei. Nicht, dass Mond entbehrlich war oder er sie nicht mochte und schätzte, aber er hatte nur zwei Sauk-Frauen, die für ihn arbeiteten, und wenn es nicht Mond war, dann war die Alternative nicht auszudenken.
»Die, die Ihnen beim Behandeln geholfen hat«, sagte Mort London aber unerbittlich. »Erstochen. Ziemlich viele Einstiche. Und zuvor hat man sie zusammengeschlagen. Und ihr die Kleider heruntergerissen. Ich glaube, sie wurde auch vergewaltigt.«
Ein paar Minuten lang ritten sie schweigend. »Kann gut sein, dass es mehrere waren. Die ganze Lichtung, wo sie gefunden wurde, ist nämlich voller Hufspuren«, sagte der Sheriff. Dann verstummte er wieder, und sie ritten stumm.
Als sie die Farm erreichten, hatte man Makwa-ikwa bereits in den Schuppen gebracht. Vor der Tür hatte sich, zwischen Praxis und Stall, eine kleine Gruppe versammelt: Sarah, Alex, Shaman, Jay Geiger, Mond, Der singend einhergeht und die Kinder der beiden. Die Indianer trauerten nicht laut, aber ihre Augen verrieten ihren Kummer und ihr Wissen um die Sinnlosigkeit und die Schlechtigkeit des Lebens. Sarah weinte leise, und Rob J. ging zu ihr und küsste sie. Jay Geiger führte ihn von den anderen weg. »Ich habe sie gefunden.« Er schüttelte den Kopf, als wollte er ein Insekt verscheuchen. »Lillian hat mich mit ein paar Gläsern Pfirsichmarmelade zu euch geschickt. Und unterwegs habe ich dann Shaman unter einem Baum schlafen sehen.«
Das schockierte Rob J. »Shaman war dort? Hat er Makwa gesehen?«
»Nein, hat er nicht. Sarah sagt, Makwa hat ihn heute morgen zum Beerensuchen in den Wald mitgenommen, wie sie es öfters getan hat. Als er dann müde wurde, hat sie ihn wohl einfach im Schatten ein Nickerchen machen lassen. Und du weißt doch, dass Geräusche, Schreie oder sonstwas Shaman nicht stören. Ich hab’ gedacht, der ist bestimmt nicht allein hier draußen, und bin weitergeritten, bis zu dieser Lichtung. Und da hab’ ich sie gefunden.... Sie sieht furchtbar aus, Rob. Ich selber hab’ ein paar Minuten gebraucht, bis ich mich wieder in der Gewalt hatte. Ich bin dann zurückgeritten und habe den Jungen geweckt. Aber gesehen hat er nichts. Ich hab’ ihn erst hierher gebracht und bin dann zu London geritten.«