»Anscheinend bringst du dauernd meine Jungen nach Hause.«
Jay sah ihn prüfend an. »Wirst du’s durchstehen?«
Rob nickte.
Dafür sah Jay blass und elend aus. Er schnitt eine Grimasse. »Ich fürchte, du musst dich an die Arbeit machen.
Die Sauks werden sie waschen und begraben wollen.«
»Halt mir mal für eine Weile alle vom Leib!« bat Rob, ging dann in den Schuppen und schloss die Tür hinter sich.
Sie war mit einem Tuch bedeckt. Hereingebracht hatten sie offensichtlich weder Jay noch die Sauks. Eher schon Londons Männer, denn jemand hatte sie beinahe nachlässig auf den Seziertisch geworfen, wie einen leblosen Gegenstand ohne großen Wert, ein Stück Holz - oder eben eine tote Indianerin. Sie lag auf der Seite, und als er das Tuch wegzog, sah er zuerst ihren Hinterkopf und den nackten Rücken, das Gesäß und die Beine.
Die bläuliche Verfärbung deutete an, dass sie zum Zeitpunkt des Todes auf dem Rücken gelegen hatte, der Rücken und die plattgedrückten Hinterbacken waren fleckig von ausgetretenem Kapillarblut. In der Gesäßfalte bemerkte er dunkelrote Verkrustungen und eine eingetrocknete weißliche Substanz, die sich an manchen Stellen mit dem Blut zu hellen scharlachroten Flecken vermischt hatte. Behutsam drehte er sie auf den Rücken.
Auf ihren Wangen waren Kratzer, vermutlich von Zweigen verursacht, als sie mit dem Gesicht nach unten auf den Waldboden gedrückt wurde.
Rob J. hatte eine große Vorliebe für den weiblichen Hintern. Seine Frau hatte das sehr früh gemerkt. Sarah bot sich ihm gelegentlich so dar, das Gesicht im Kissen, die Brüste auf die Matratze gedrückt, ihre schmalen, elegant geformten Füße ausgestellt, die beiden birnenförmigen Wölbungen weiß und rosa über ihrem goldenen Busch.
Es war eine nicht gerade bequeme Stellung, die sie aber manchmal einnahm, weil seine sexuelle Erregung auch ihre Leidenschaft befeuerte. Für Rob J. war der Koitus ein Ausdruck der Liebe und nicht nur ein Akt der Fortpflanzung, und deshalb war für ihn keine Körperöffnung tabu. Aber als Arzt wusste er, dass der Schließmuskel seine Elastizität verlieren kann, wenn er missbraucht wird, und so achtete er beim Liebesspiel mit Sarah darauf, nichts zu tun, was sie verletzen konnte. Bei Makwa war jemand nicht so rücksichtsvoll gewesen.
Ihr von der Arbeit gestählter Körper wirkte um einige Jahre jünger, als sie vermutlich gewesen war. Schon vor Jahren waren er und Makwa mit der körperlichen Anziehung, die sie beide empfanden, ins reine gekommen, sie hatten sie immer sorgfältig in Schach gehalten. Aber es hatte Zeiten gegeben, da hatte er von ihrem Körper geträumt und sich vorgestellt, wie es wäre, sie zu lieben. Jetzt hatte der Tod sein Zerstörungswerk begonnen. Der Bauch war angeschwollen, und ihre Brüste waren schlaff, denn der Gewebezerfall hatte bereits eingesetzt. Die Muskelversteifung war beträchtlich, und er streckte die Beine, solange das noch möglich war. Ihre Schamhaare glichen schwarzer Drahtwolle und waren blutverschmiert. Vielleicht war es gut, dass sie nicht überlebt hatte, denn sie hätte ihre Zauberkraft verloren gehabt. »Schweinehunde! Ihr dreckigen Schweinehunde!« Er wischte sich die Augen, und plötzlich wurde ihm bewusst, die draußen konnten ihn hören und wussten, dass er mit Makwa-ikwa alleine war. Ihr Oberkörper schien nur noch eine unförmige Masse aus Wunden und Prellungen zu sein, und ihre Unterlippe war zerschlagen, wahrscheinlich von einer großen Faust.
Auf dem Boden neben dem Seziertisch lagen die Beweisstücke, die der Sheriff aufgesammelt hatte: ihr zerrissenes und blutverschmiertes Kleid (ein altes Baumwollkleid, das Sarah ihr geschenkt hatte), ihr Korb, halbvoll mit Minzeblättern, Kresse und irgendwelchem Laub -Vogelkirsche, wie er vermutete -, und ein Hirschlederschuh. Nur ein Schuh? Er suchte den anderen, fand ihn aber nirgends. Ihre kantigen braunen Füße waren nackt, es waren harte, viel benutzte Füße, der zweite Zeh des linken verkrüppelt von einer alten Fraktur.
Er hatte sie oft barfuss gesehen und sich immer gewundert, wie sie sich diesen Zeh wohl gebrochen hatte, doch er hatte sie nie danach gefragt.
Er blickte hoch zu ihrem Gesicht und sah seine gute Freundin. Die Augen waren offen, doch die Glaskörper hatten Druck verloren und waren trocken, so dass die Augen das Lebloseste an ihr waren. Er schloss sie schnell und beschwerte die Lider mit Pennymünzen, er wurde jedoch auch so das Gefühl nicht los, als starre sie ihn an.
Ihre Nase trat im Tod noch stärker hervor und wirkte hässlich. Im Alter wäre sie keine Schönheit gewesen, aber ihr Gesicht strahlte bereits jetzt große Würde aus. Er erschauderte und faltete die Hände wie ein Kind beim Gebet.
»Es tut mir so leid, Makwa-ikwa.« Er machte sich keine Illusionen, dass sie ihn hören könnte, aber es tröstete ihn, wenn er zu ihr sprach. Er nahm Feder, Tusche und einen Bogen Papier zur Hand und zeichnete die runenähnlichen Narben auf ihren Brüsten ab, denn er hatte das Gefühl, dass sie wichtig seien. Er wusste nicht, ob irgend jemand die Linien verstehen würde. Da Makwa-ikwa geglaubt hatte, noch viele Jahre vor sich zu haben, hatte sie sich noch keinen Nachfolger herangezogen und in ihre Geheimnisse eingeweiht. Rob vermutete, dass sie gehofft hatte, eins der Kinder von Mond und Der singend einhergeht würde sich eines Tages als geeignet erweisen. Schnell zeichnete er ihr Gesicht, so wie es gewesen war. Etwas Schreckliches war ihr und damit auch ihm widerfahren. So wie er stets von dem Henker und Medizinstudenten träumte, der den Kopf seines Freundes Andrew Gerould in die Höhe hielt, würde er immer von diesem Tod träumen. Er wusste zwar nicht genau, was an der Freundschaft so Besonderes war, das sie von der Liebe unterschied, aber irgendwie waren er und diese Frau wirkliche Freunde geworden, und ihr Tod war ein großer Verlust für ihn. Einen Augenblick lang vergaß er sein Gelübde der Gewaltlosigkeit: Wenn er die Täter jetzt in den Händen gehabt hätte, er hätte sie zerdrückt wie Ungeziefer. Der Augenblick verging wieder. Rob J. band sich gegen den Gestank ein Tuch vor Mund und Nase und griff zum Skalpell. Er öffnete den Leichnam in U-form von Schulter zu Schulter und schnitt dann zwischen den Brüsten hindurch in gerader Linie bis zum Nabel, so dass ein blutloses Y entstand. Seine Finger waren gefühllos und gehorchten seinem Verstand nur widerwillig. Es war gut, dass er nicht an einem lebenden Patienten schnitt. Bevor er die drei Hautlappen zurückgeklappt hatte, war die schauerliche Leiche Makwa gewesen, doch als er nach der Knochensäge griff, um das Brustbein von den Rippen zu lösen, zwang er sich, auf einer Bewusstseinsebene zu denken, auf der nichts Platz hatte außer der vor ihm liegenden Arbeit. Er verfiel in die berufliche Routine und tat, was getan werden musste.
Bericht über Tod durch Gewaltanwendung:
Opfer: Makwa-ikwa
Adresse: Colesche Schaffarm, Holden’s Crossing, Illinois
Beruf: Assistentin von Dr. Robert J. Cole
Alter: ca. 29 Jahre
Größe: ca. 1,75 Meter
Gewicht: ca. 63 Kilogramm
Todesumstände: Leiche des Opfers, eine Frau des Sauk-Stammes, wurde am Nachmittag des 3. September 1851
in einem Waldstück auf der Coleschen Schaffarm von einem Vorbeireitenden entdeckt. Festzustellen waren elf Stichwunden, die in unregelmäßiger Linie vom Jugulum am Sternum entlang bis zu einer Stelle etwa zwei Zentimeter unterhalb des Sternfortsatzes verliefen. Die Wunden waren zwischen 0,947 und 0,952 Zentimeter breit. Zugefügt wurden sie mit einem spitzen Gegenstand, vermutlich einer Dreiecksklinge aus Metall mit drei sehr scharfen Kanten.