Palmer Avenue, Chicago, übernommen würden. »Ich habe ihnen einen Brief geschrieben und ihnen drei freie Sonntage genannt. Und sie haben mir mitgeteilt, dass Ellwood Patterson am dritten September predigen werde.
Sie haben sich um alles gekümmert.« Er räumte ein, dass Pattersons Predigt nicht besonders populär gewesen sei. »Hauptsächlich hat er uns ja vor den Katholiken gewarnt.« Er lächelte. »Und um ehrlich zu sein, dagegen hatte keiner was. Aber dann hat er mit den Leuten angefangen, die aus anderen Ländern ins Mississippi-Tal kommen. Dass sie den Einheimischen die Arbeit wegnehmen. Und dass alle, die nicht von hier stammen, wie Eiterbeulen sind.« Eine Nachsendeadresse für Patterson hatte er nicht. »Es hat doch niemand daran gedacht, ihn noch einmal einzuladen. Das letzte, was eine junge Kirche wie die unsere braucht, ist ein Prediger, der die Gemeindemitglieder gegeneinander aufbringen will.« Ike Nelson, der Saloon-Besitzer, erinnerte sich an Ellwood Patterson. »Die war’n bis spät in die Nacht da an dem Samstag. Ein übler Suffkopf, dieser Patterson, und die zwei Typen, die er dabeihatte, war’n auch nich’ viel besser. Das Geld saß ihnen ziemlich locker, aber so viel konnten die gar nich’ dalassen, wie ich Schwierigkeiten mit ihnen hatte. Der große, Hank, hat mich immer angebrüllt, ich soll ‘n paar Huren besorgen, aber dann hat sich der Fettwanst zugesoffen und wollt’ von Frauen nichts mehr wissen.«
»Wie hieß der denn mit Nachnamen, dieser Hank?«
»Warten Sie mal. Ach ja... Cough. Hank Cough. Der andere Kerl, der dünnere, junge, den nannten sie Len.
Manchmal auch Lenny. An ‘nen Nachnamen kann ich mich nich’ erinnern. Hatte so’n dunkelroten Fleck auf der Wange. Und er hinkte, als hätt’ er ein Bein kürzer als das andere.«
Das Hinken hatte Toby Barr nicht erwähnt; aber vermutlich hatte er den Mann nicht gehen sehen. »Auf welchem Bein hinkte er denn?« fragte er, aber das brachte ihm nur einen verwirrten Blick des Kneipenwirts ein.
»Ging er so?« fragte Rob und hinkte auf dem rechten Bein. »Oder so?« Nun war das linke dran.
»Nicht so stark, es war ja kaum zu bemerken. Aber auf welcher Seite, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass alle drei ‘n ganzen Stiefel vertragen konnten. Patterson hat mir ‘n ordentlichen Packen Scheine auf die Theke geknallt und gesagt, ich soll nur immer nachgießen und mir auch was nehmen. Am Ende musste ich dann nach Mort London und Fritzie Graham schicken und ihnen ‘n paar Dollar von dem Packen zustecken, damit sie die drei zu Anna Wiley schafften und in der Pension ins Bett steckten. Aber ich hab’ gehört, dass Patterson am nächsten Morgen in der Kirche so frisch und heilig war, wie man sich’s nur wünschen kann.« Ike strahle. »So
‘nen Prediger lass ich mir gefallen!«
Acht Tage vor Weihnachten kam Alex Cole mit Aldens Erlaubnis, er dürfe nun kämpfen, in die Schule.
Während der Pause sah Shaman seinen Bruder über den Schulhof gehen. Erschrocken stellte er fest, dass Biggers Beine zitterten. Alex ging direkt auf Lucas Stebbins zu, der mit anderen Jungen im weichen Schnee einer nicht geräumten Ecke des Hofes Weitsprung übte. Das Glück war ihm gnädig, denn Luke hatte bereits zwei wenig erfolgreiche Sprünge hinter sich und deshalb seine schwere Rindlederjacke ausgezogen. Wenn er die Jacke anbehalten hätte, hätte Alex ebensogut mit der Faust auf ein Stück Holz schlagen können. Luke glaubte, Alex wolle beim Weitspringen mitmachen, und freute sich schon darauf, ihn schikanieren zu können. Doch Alex stellte sich vor ihn hin und jagte ihm die Rechte ins grinsende Gesicht.
Es war ein Fehler, der Beginn eines ungeschickten Schlagabtausches. Dabei hatte Alden ihn so sorgfältig vorbereitet. Der erste Überraschungsschlag hätte auf den Magen zielen sollen, damit, wenn er richtig traf, Luke die Luft wegblieb, aber Alex’ Angst hatte die Vernunft verdrängt. Lukes Unterlippe blutete, und er stürzte sich wütend auf Alex. Der angreifende Luke, das war ein Anblick, bei dem Alex noch vor zwei Monaten vor Schreck erstarrt wäre, doch inzwischen war er daran gewöhnt, dass Alden auf ihn zustürmte, und er wich aus. Als Luke an ihm vorbeirauschte, versetzte er ihm noch einen schmerzhaften linken Jab auf den bereits verletzten Mund.
Der größere Junge bremste ab, doch bevor er sich in Position stellen konnte, versetzte ihm Alex zwei weitere Jabs auf die gleiche Stelle. Shaman hatte schon beim ersten Schlag zu jubeln begonnen, und jetzt rannten die Schüler aus allen Ecken des Hofes herbei und umringten die Kämpf enden.
Alex’ zweiter großer Fehler war es, dass er zu Shaman hinübersah, als er dessen Stimme hörte. Lukes Faust traf ihn knapp unterhalb des rechten Auges und schickte ihn zu Boden. Aber Alden hatte seine Sache gut gemacht, denn Alex rollte sich ab, sprang sofort wieder hoch und erwartete Luke, der auf ihn zustürzte.
Alex’ Gesicht fühlte sich taub an, und das rechte Auge schwoll sofort zu, aber er stand fest und sicher auf den Beinen, was ihn selber erstaunte. Er konzentrierte sich und nahm die Stellung ein, die ihm während seines täglichen Trainings zur Routine geworden war. Sein linkes Auge war noch in Ordnung, und er heftete den Blick genau auf die Stelle, die Alden ihm eingeschärft hatte, nämlich auf Lukes Brust, damit er erkennen konnte, in welche Richtung der seinen Körper drehte und mit welchem Arm er ausholte. Er versuchte nur einmal, einen Schlag abzublocken, danach war sein ganzer Arm taub; Luke war einfach zu stark. Alex wurde allmählich müde, aber er pendelte und sprang hin und her und versuchte nicht an den Schaden zu denken, den Luke anrichten konnte, wenn er noch einen Treffer landete. Immer wieder ließ er seine Linke vorschnellen und traf Luke ins Gesicht und auf den Mund. Der kräftige erste Schlag zu Beginn des Kampfes hatte einen von Lukes Schneidezähnen gelockert, und der stetige Hagel von Jabs erledigte den Rest. Shaman staunte, als Luke heftig den Kopf schüttelte und den Zahn in den Schnee spuckte.
Alex reagierte mit einem weiteren linken Jab und einem etwas ungeschickten rechten Cross, der auf Lukes Nase landete und sie zum Bluten brachte. Verwirrt hob Luke die Hände vors Gesicht. »Den Knüppel, Bigger!« schrie Shaman. »Den Knüppel!« Alex hörte seinen Bruder und trieb seine Rechte mit solcher Gewalt in Lukes Magen, dass der zusammenklappte und nach Luft schnappte. Es war das Ende des Kampfes, denn die zusehenden Kinder flüchteten bereits vor dem Zorn des Lehrers. Finger aus Stahl verdrehten Alex’ Ohr, und plötzlich starrte Mr.
Byers zornig auf die beiden Kampfhähne hinab und erklärte die Pause für beendet.
Im Klassenzimmer wurden Lucas und Alex dann den anderen Kindern unter dem großen Schild mit der Aufschrift Frieden auf Erden als üble Vorbilder vorgeführt. »In meiner Schule dulde ich keine Schlägereien«, sagte Mr. Byers kalt, griff nach der Gerte, die er als Zeigestab benutzte, und bestrafte die beiden Boxer mit je fünf herzhaften Streichen auf die offene Hand. Luke schluchzte. Alex’ Unterlippe zitterte, als er seine Strafe erhielt. Sein geschwollenes Auge hatte die Farbe einer alten Aubergine angenommen, und seine rechte Hand schmerzte innen und außen: die Knöchel abgeschürft vom Boxen, die Handfläche geschwollen und rot von Mr.
Byers Streichen. Aber als er zu Shaman hinübersah, durchströmte beide Brüder ein Gefühl der Erfüllung.
Als die Kinder nach dem Unterricht das Schulhaus verließen und sich zerstreuten, scharten sich einige lachend um Alex und stellten bewundernde Fragen. Lucas Stebbins trottete alleine nach Hause, mürrisch und noch immer verwirrt. Als Shaman Cole hinter ihm herlief, dachte Luke verstört, nun wolle auch noch der jüngere Bruder gegen ihn antreten, und er hob die Hände, die linke zur Faust geballt, die rechte in einer beinahe flehenden Geste geöffnet.