Alle vier starrten ihn nur verständnislos an. Der Mann auf dem Boden schüttelte den Kopf. Shamans Vater nickte, und sie traten hinaus in eine Luft, die nach nichts anderem als nach Bäumen roch.
Diesmal kam nur der Mann, der am Abend zuvor an der Spitze geritten war, mit ihnen. Er wartete, bis sie aufgesessen waren, bevor er ihnen Taschentücher vor die Augen band. Rob J. hörte, wie der Atem seines Sohnes plötzlich schneller wurde, und er wünschte, er hätte mit Shaman gesprochen, solange der noch seine Lippen sehen konnte. Sein Gehör war aufs äußerste angespannt. Sein Pferd wurde geführt, er konnte das Klappern der Hufe vor sich hören, hinter sich hörte er jedoch nichts. Aber es war ja kein Problem für die Männer, jemanden unterwegs auf die Zeugen warten zu lassen. Derjenige müsste sie dann nur vorbeireiten lassen, sich ein wenig vorbeugen, auf einen Kopf mit einer Augenbinde zielen und abdrücken.
Es war ein langer Ritt. Als sie schließlich anhielten, wusste Rob, wenn sie noch eine Kugel erwartete, würde sie jetzt kommen. Aber es wurden ihnen lediglich die Augenbinden abgenommen. »Sie reiten einfach in dieser Richtung weiter, verstanden? Dann werden Sie sich bald wieder auskennen.«
Rob J. nickte blinzelnd, er sagte nicht, dass er bereits wusste, wo sie waren. Sie ritten in die eine Richtung, der Bewaffnete in die andere. Nach einer Weile hielt Rob J. an einem Gehölz an, damit sie austreten und sich die Beine vertreten konnten.
»Shaman!« sagte er. »Gestern abend. Hast du meine Unterhaltung mit dem Angeschossenen beobachtet?«
Der Junge nickte und sah ihn an.
»Mein Sohn, hast du verstanden, worüber wir gesprochen haben?«
Der Junge nickte wieder.
Rob J. glaubte ihm. »Aber wie kommt es, dass du das gleich verstanden hast? Hat irgend jemand Sachen über...«
- er brachte es nicht über die Lippen, »deine Mutter« zu sagen - »... deinen Bruder gesagt?«
»Ein paar Jungen in der Schule...«
Rob J. seufzte. Die Augen eines alten Mannes in einem so jungen Gesicht, dachte er. »Also, Shaman, hör mal zu! Ich glaube, alles, was passiert ist - dass wir bei diesen Leuten waren, dass ich diesen Angeschossenen behandelt habe und vor allem, was ich mit ihm besprochen habe -, ich glaube, das alles sollte unser Geheimnis bleiben. Deins und meins. Wenn wir es nämlich deinem Bruder und deiner Mutter erzählen, wird sie das sehr schmerzen. Und ihnen Angst einjagen.«
»Ja, Pa.«
Sie bestiegen wieder die Pferde. Ein warmer Wind war aufgekommen. Der Kerl hat recht gehabt, dachte Rob J., es fängt jetzt an zu tauen. In ein paar Tagen würden hier überall Bäche fließen, und da mussten sie längst weg sein. Wenig später riss ihn von hinten Shamans hölzerne Stimme aus seinen Gedanken.
»Ich will genauso sein wie du, Pa. Ich möcht’ ein guter Arzt werden.« Rob J. stiegen die Tränen in die Augen.
Die Umstände - er mit dem Rücken zu Shaman und der Junge durchgefroren, hungrig und müde-verboten es, ihm beizubringen, dass man sich einige Wünsche nicht erfüllen kann, wenn man taub ist. So musste er sich damit begnügen, seine langen Arme nach hinten auszustrecken und seinen Sohn an sich zu drücken. Er spürte Shamans Stirn an seinem Rücken, und er hörte einfach auf, sich zu quälen. Während das Pferd dahintrottete und sie langsam nach Hause brachte, gestattete er sich, vom Schlaf zu naschen wie ein Verhungernder, der Angst hat, einen ganzen Teller voll Essen zu verschlingen.
Antworten und Fragen
Stars and Stripes Religious Institute
Palmer Avenue Nr. 282, Chicago, Illinois
18. Mai 1852
Dr. Robert J.Cole
Holden’s Crossing, Illinois
Sehr geehrter Dr. Cole,
wir haben Ihre Anfrage bezüglich des Aufenthaltsortes und der Adresse von Reverend Ellwood R. Patterson erhalten, doch müssen wir Ihnen leider mitteilen, Ihnen in dieser Angelegenheit nicht behilflich sein zu können.
Wie Sie vielleicht wissen, unterstützt unser Institut sowohl die Kirchen wie auch die American Workingmen of Illinois bei ihrer Aufgabe, den aufrechten, im Lande geborenen Arbeitern dieses Staates Gottes christliche Botschaft zu bringen. Im letzten Jahr wandte sich Mr. Patterson an uns und erbot sich, uns seelsorgerisch zu helfen. Hieraus ergab sich sein Besuch in Ihrer Gemeinde und Ihrer geschätzten Kirche. Doch Mr. Patterson ist inzwischen aus Chicago weggezogen, und wir besitzen keinerlei Informationen über seinen derzeitigen Aufenthaltsort. Seien Sie versichert, dass wir, sollten uns diesbezügliche Informationen erreichen, diese unverzüglich an Sie weiterleiten werden. Doch falls in der Zwischenzeit Probleme auftauchen, bei denen ein anderer unserer aufrechten Diener Gottes Ihnen weiterhelfen kann, oder theologische Fragen, die ich persönlich Ihnen beantworten würde, so zögern Sie nicht, sich an mich zu wenden.
Ihr ergebener Diener in Christo
Dr. theol. Oliver G. Prescott
(Direktor des Stars and Stripes Religious Institute)
Die Antwort entsprach mehr oder weniger dem, was Rob J. erwartet hatte. Als nächstes schrieb er in Briefform eine Bestandsaufnahme all dessen, was er über den Mord an Makwa-ikwa wusste. In diesem Brief berichtete er von der Anwesenheit dreier Fremder in Holden’s Crossing. Er erwähnte seinen Fund von Hautpartikeln unter drei Fingernägeln Makwas und die Tatsache, dass Dr. Barr Reverend Ellwood R. Patterson am Nachmittag nach dem Mord wegen drei tiefer Kratzwunden im Gesicht behandelt hatte.
Dann schickte er identische Abschriften dieses Briefes an den Gouverneur von Illinois in Springfield und an die beiden zuständigen Senatoren in Washington. Er zwang sich, auch seinem Kongressabgeordneten Nick Holden einen formellen Brief mit diesen Informationen zu schicken. Er bat die Behörden, den entsprechenden Dienststellen Anweisung zu geben, Patterson und seine beiden Kumpane aufzuspüren und eine mögliche Verbindung zwischen ihnen und dem Tod von Bärenfrau zu untersuchen.
Bei der Juniversammlung der Medical Society war ein Gast zugegen, ein Arzt namens Naismith aus Hannibal in Missouri. Während des geselligen Beisammenseins vor der eigentlichen Versammlung erzählte er von einem Prozess, den ein Sklave in Missouri angestrengt hatte, um seine Freiheit zu erlangen.
»Vor dem Krieg des Schwarzen Falken war Dr. John Emerson als Feldscher hier in Illinois stationiert, in Fort Armstrong. Er besaß einen Negersklaven namens Dred Scott, und als die Regierung das ehemalige Indianerland zur Besiedelung freigab, erwarb er eine Parzelle im damaligen Stephenson, dem jetzigen Rock Island. Sein Sklave baute sich eine Hütte auf dem Land und lebte dort einige Jahre, damit sein Herr als Siedler auf diesem Land gelten konnte. Dred Scott ging mit Emerson nach Wisconsin, als der dorthin versetzt wurde, und kehrte dann mit ihm nach Missouri zurück, wo der Arzt starb. Der Neger versuchte, sich von der Witwe seine Freiheit und die seiner Frau und seiner Töchter zu erkaufen. Aus verständlichen Gründen weigerte sich Mrs. Emerson aber. Daraufhin versuchte der schwarze Halunke, sich seine Freiheit vor Gericht zu erstreiten, mit dem Argument, dass er drei Jahre lang in Illinois und Wisconsin als freier Mann gelebt habe.« Tom Beckermann lachte schallend auf. »Ein prozessierender Neger!«
»Na ja«, sagte Julius Barton, »mir scheint, dass sein Anspruch berechtigt ist. In Illinois und in Wisconsin ist die Sklaverei verboten.« Dr. Naismith lächelte noch immer. »Ja, aber er wurde doch in Missouri, einem Sklavenstaat, gekauft und ist auch dorthin zurückgekehrt.« Tobias Barr machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Was halten denn Sie von der Sklaverei, Dr. Cole?«
»Ich glaube«, sagte Rob J. bedächtig, »dass ein Mensch das Recht hat, ein Tier zu besitzen, wenn er es gut behandelt und ausreichend mit Futter und Wasser versorgt, aber ich glaube nicht, dass ein menschliches Wesen das Recht hat, ein anderes menschliches Wesen zu besitzen.«