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Als die Geigers aufbrachen, um die Kinder nach Hause zu bringen, drängte Jay Rob J. mit ihnen zu kommen, damit sie zu dritt musizieren konnten. Aber Rob J. erwiderte, er sei müde. In Wirklichkeit fühlte er sich gereizt und nicht zu Geselligkeit aufgelegt. Um diese Stimmung loszuwerden und etwas Luft zu schnappen, spazierte er den kurzen Weg zum Fluss hinunter. Auf Makwas Grab bemerkte er Unkraut, und er riss wütend an den Stängeln, bis nichts mehr davon zu sehen war.

Ihm fiel ein, warum ihm der Ausdruck auf George Cliburns Gesicht so vertraut vorgekommen war. Es war der gleiche Ausdruck, den er schon in Schottland auf Andrew Geroulds Gesicht gesehen hatte, als der ihn zum erstenmal bat, ein Pamphlet gegen die englische Verwaltung zu schreiben, und abgewiesen wurde. Die Gesichter beider Männer hatten eine Mischung von Gefühlen verraten: Fatalismus, beharrliche Kraft und die Unbehaglichkeit zu wissen, dass sie sich von seinem Charakter und seinem Stillschweigen abhängig gemacht hatten.

Die Rückkehr

An einem Morgen, an dem der Frühnebel wie schwerer Rauch über dem Wasser und zwischen den Bäumen hing, verließ Shaman das Haus und ging am Klosetthäuschen vorbei, um träge in den großen Fluss zu pinkeln.

Als orangefarbene Scheibe brannte die Sonne durch die oberen Schichten des Nebels und ließ die unteren in einem fahlen Glanz erstrahlen. Die Welt war neu und kühl und roch gut, und was er vom Fluss und dem Wald sehen konnte, entsprach dem permanenten Frieden in seinen Ohren. Wer heute fischen will, muss früh aufstehen, dachte er.

Der Junge wandte sich vom Fluss ab. Zwischen ihm und dem Haus lag das Grab, und als er nun die Gestalt in den Nebelschwaden sah, spürte er keine Angst, sondern nur einen kurzen Kampf zwischen Unglauben und einer überwältigenden Freude und Dankbarkeit. Geist, ich rufe dich heute. Geist, ich spreche zu dir. »Makwa!« rief er fröhlich und ging auf sie zu. »Shaman?«

Als er die Gestalt erreichte, musste er betrübt feststellen, dass es gar nicht Makwa war.

»Mond?« sagte er, und der Name war eine Frage, weil die Frau so schlecht aussah.

Hinter Mond entdeckte er nun noch zwei weitere Indianer. Den einen kannte er nicht, der andere war Steinhund, der für Jay Geiger gearbeitet hatte. Steinhunds Oberkörper war nackt, er trug nur eine Hirschlederhose. Der Fremde hatte eine grobe Wollhose und ein zerrissenes Hemd an. Beide Männer liefen in Mokassins, aber Mond trug die Arbeitsstiefel eines Weißen und ein altes, schmutziges blaues Kleid, das an der rechten Schulter aufgerissen war. Die Männer hatten Lebensmittel bei sich, die Shaman bekannt vorkamen, ein Stück Käse, einen geräucherten Schinken, ein rohes Hammelbein, und er schloss daraus, dass sie das Kühlhaus über der Quelle aufgebrochen hatten. »Whiskey holen?« sagte Steinhund und deutete auf das Haus, doch Mond fauchte ihn in der Sauk-Sprache an. Dann brach sie zusammen.

»Mond, bist du in Ordnung?« fragte Shaman.

»Shaman. So groß.« Sie sah ihn bewundernd an. Er kniete sich neben sie. »Wo warst du? Sind die anderen auch hier?«

»Nein... Anderen in Kansas. Reservat. Hab’ Kinder dortgelassen, aber...« Sie schloss die Augen.

»Ich hole meinen Vater«, sagte er, und ihre Augen öffneten sich wieder.

»Sie waren so böse zu uns, Shaman«, flüsterte sie. Ihre Hände tasteten nach den seinen und hielten sie fest.

Shaman spürte, dass etwas aus ihrem Körper in sein Bewusstsein wanderte. So als könnte er wieder hören und es hätte gedonnert, und er wusste zugleich, was mit ihr passieren würde - irgendwie wusste er es. Seine Hände kribbelten. Er öffnete den Mund, doch er konnte nicht schreien, konnte Mond nicht warnen. Er war wie versteinert. Eine Angst ergriff ihn, die ihm vollkommen neu war, die noch grausamer war als das Entsetzen über die plötzliche Taubheit, schlimmer als alles, was er bisher erlebt hatte.

Schließlich fand er die Kraft, ihre Hände wegzustoßen. Er rannte auf das Haus zu, als wäre es seine einzige Rettung. »Pa!« schrie er.

Rob J. war daran gewöhnt, von Notrufen geweckt zu werden, aber nicht vom hysterischen Schreien seines Sohnes. Shaman stammelte vor sich hin, dass Mond zurück sei und sterbe. Es dauerte einige Minuten, bis sie ihn verstanden und dazu gebracht hatten, seinen Eltern auf den Mund zu schauen, damit sie ihm Fragen stellen konnten. Als sie endlich begriffen, dass Mond wirklich zurückgekehrt war und sterbenskrank am Flussufer lag, liefen sie sofort aus dem Haus. Der Nebel lichtete sich schnell. Die Sicht war besser geworden, und sie erkannten bald, dass niemand da war. Sie nahmen Shaman ins Gebet, doch er beharrte darauf, dass Mond und Steinhund hiergewesen seien. Er beschrieb, was sie bei sich gehabt, was sie gesagt und wie sie ausgesehen hatten.

Sarah eilte davon, als sie hörte, was die Indianer mit sich schleppten, und kam wütend zurück, weil das Kühlhaus tatsächlich aufgebrochen war und einige wertvolle Nahrungsmittel fehlten. »Robert Cole«, sagte sie zornig zu ihrem Sohn, »hast du die Sachen vielleicht selber genommen und dir dann die Geschichte mit den Indianern ausgedacht?«

Rob J. ging am Flussufer auf und ab und rief Monds Namen, doch niemand antwortete.

Shaman weinte hemmungslos. »Sie stirbt, Pa.«

»Woher weißt du denn das?«

»Sie hat meine Hände gehalten, und sie...« Der Junge erschauerte. Rob J. sah den Jungen an und seufzte. Dann nickte er. Er ging zu Shaman, nahm ihn in die Arme und drückte ihn fest an sich. »Hab keine Angst! Es ist nicht deine Schuld, was mit Mond passiert ist«, sagte er. »Ich werde später mit dir darüber reden und versuchen, es dir zu erklären. Aber zuerst werd’ ich mich wohl besser auf die Suche nach ihr machen.«

Er suchte zu Pferd. Den ganzen Vormittag konzentrierte er sich auf den dichten Waldstreifen am Flussufer, denn wenn sie auf der Flucht waren und sich verstecken wollten, waren sie bestimmt dorthin verschwunden. Er ritt zuerst nach Norden in Richtung Wisconsin, kam dann zurück und ritt nach Süden. Alle paar Minuten rief er ihren Namen, doch er erhielt nie eine Antwort.

Möglicherweise war er ihnen bei der Suche sogar sehr nahe gekommen. Die Sauks konnten sich im Unterholz verstecken und ihn vorbeireiten lassen, vielleicht sogar mehrere Male. Am frühen Nachmittag musste er sich eingestehen, dass er nicht wusste, wie Sauks auf der Flucht dachten, denn er war kein Sauk auf der Flucht.

Vielleicht hatten sie das Ufer sofort verlassen. Jetzt gegen Ende des Sommers stand das Gras so hoch auf der Prärie, dass drei Leute leicht darin verschwinden konnten, und auch der mannshohe Mais auf den Feldern bot guten Schutz. So gab er schließlich auf und kehrte nach Hause zurück. Shaman war sichtlich enttäuscht, als er erfuhr, dass sein Vater ergebnislos gesucht hatte. Rob J. setzte sich alleine mit seinem Sohn unter einen Baum am Flussufer und erzählte ihm von der Gabe und dass, solange die Erinnerung zurückreichte, immer einige aus der Cole-Familie mit ihr gesegnet waren. »Nicht alle. Manchmal fehlt sie auch in einer Generation. Mein Vater hatte sie, mein Bruder und mein Onkel hatten sie nicht. Bei einigen Coles zeigt sie sich schon in frühester Jugend.«

»Hast du sie, Pa?«

»Ja, ich habe sie.«

»Und wie alt warst du, als...«

»Ich habe sie zum erstenmal verspürt, als ich schon fast fünf Jahre älter war, als du jetzt bist.«

»Was hat es mit ihr auf sich?« fragte der Junge leise. »Hm, Shaman... ich weiß es eigentlich nicht. Ich weiß nur, dass nichts Magisches an ihr ist. Ich glaube, sie ist eine Art Sinneswahrnehmung wie das Sehen, das Hören oder das Riechen. Einige von uns haben eben die Fähigkeit zu spüren, ob ein Mensch stirbt, wenn sie seine Hände nehmen. Ich glaube, diese Gabe ist einfach ein zusätzliches Talent, ähnlich der Fähigkeit, den Puls eines Menschen an verschiedenen Körperteilen zu ertasten. Manchmal...« Er zuckte mit den Achseln. »Manchmal kann sie recht nützlich sein, wenn man Arzt ist.« Shaman nickte zaghaft. »Dann wird sie mir wohl auch nützlich sein, wenn ich mal Arzt bin.«