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Julian Howard spuckte aus und meinte, das Ganze sei »ein unnötiger Wirbel wegen zwei Jungs, die an Halloween ‘n bisschen die Sau rausgelassen haben«.

Rob J. versuchte, seine Abneigung gegenüber Howard zu vergessen, dem er es zutraute, ein Mitglied des Supreme Order of the Star-Spangled Banner zu sein, falls es diesen in Holden’s Crossing gab, und der selber ein übler Unruhestifter sein konnte. Er teilte Howards Meinung, dass die Jungen keine Mörder oder Verbrecher waren; da er aber in seinem Beruf die menschliche Verdauung sehr ernst nahm, teilte er nicht die allgemeine Ansicht, dass alles, was mit Scheiße zu tun habe, lustig sei - bis hin zur Zerstörung von Aborthäuschen. Er wusste, dass der Sheriff ein halbes Dutzend Beschwerden wegen der Jungen zur Hand hatte und nur zu bereit war, Maßnahmen gegen sie zu ergreifen, da er beide Väter nicht mochte. Rob J. schlug vor, man solle Alex und Mal für die Behebung des Schadens heranziehen. Drei der Außenklos waren zersplittert oder auseinandergefallen. Zwei konnten nicht mehr über den gleichen Gruben aufgebaut werden, da diese voll waren.

Als Wiedergutmachung sollten die Jungen neue Gruben ausheben und die Häuschen reparieren. Falls neue Bretter nötig waren, wollte Rob J. für sie aufkommen; Alex und Mal sollten ihre Schulden dann bei ihm auf der Farm abarbeiten. Erst wenn sie sich nicht an die Abmachung halten sollten, würde der Sheriff gegen sie vorgehen. Mort London gab widerstrebend zu, dass er an dem Vorschlag nichts Verkehrtes entdecken könne.

Julian Howard war anfangs dagegen, doch als Rob J. ihm sagte, dass sein Sohn und der Cole-Junge nebenbei ihre gewohnte Arbeit verrichten müssten, stimmte auch er zu. Alex und Mal wurden erst gar nicht um ihre Meinung gefragt, und so wurden die beiden im Verlauf eines Monats zu Experten in der Wiederherstellung von Latrinen. Sie begannen mit dem Aushub der Gruben, um damit fertig zu sein, bevor der Boden hartfror, und erledigten dann die Schreinerarbeiten mit vor Kälte gefühllosen Händen.

Doch Alex blieb unbezähmbar. Eines Nachts kam er in das Schlafzimmer, das er mit Shaman teilte, hielt dem Bruder die Öllampe vors Gesicht und verkündete mit tiefer Befriedigung, dass er es getan habe. »Was getan?«

fragte Shaman und rieb sich den Schlaf aus den Augen. »Du weißt schon. Ich hab’s getan. Mit Pattie Drucker.«

Shaman war nun hellwach. »Nie. Du bist ein verdammter Lügner, Bigger.«

»Nein, ich hab’s mit Pattie Drucker getan. Bei ihr zu Hause, während ihre Eltern bei ihrem Onkel waren.«

Shaman starrte ihn mit schmerzlichem Entzücken an; er konnte ihm nicht glauben und hätte es doch so gern getan. »Wie war’s denn, wenn du’s wirklich getan hast?«

Alex lächelte blasiert und holte lustvoll zu einer anschaulichen Antwort aus: »Wenn du dein Ding da unten bei den Haaren und so reinschiebst, ist es warm und gemütlich. Sehr warm und gemütlich. Aber irgendwie wirst du dann furchtbar aufgeregt, und du fängst an, dich vor und zurück zu bewegen. Vor und zurück, wie der Bock beim Schaf.«

»Bewegt sich das Mädchen auch vor und zurück?«

»Nein«, erwiderte Alex, »das Mädchen liegt nur ganz glücklich da und lässt dich machen.«

»Und was passiert dann?«

»Na ja, du verdrehst die Augen. Und das Zeug schießt aus deinem Schwanz raus wie ‘ne Gewehrladung.«

»Wie ‘ne Gewehrladung? O Mann! Tut das dem Mädchen weh?«

»Nein, du Trottel. Ich mein’ doch: so schnell wie ‘ne Gewehrladung, nicht so hart. Es ist weicher als Pudding, genau wie wenn du’s dir selber machst. Na ja, und dann ist’s so ziemlich vorbei.«

Die Unmenge von Einzelheiten, von denen er noch nie etwas gehört hatte, überzeugte Shaman. »Heißt das, dass Pattie Drucker jetzt dein Mädchen ist?«

»Nein!« sagte Alex.

»Bist du sicher?« fragte Shaman ängstlich. Pattie Drucker war schon beinahe so groß wie ihre teiggesichtige Mutter und hatte ein Lachen, das an den Schrei eines Esels erinnerte.

»Bist noch zu jung, um das zu verstehen«, murmelte Alex verstimmt und aus der Fassung gebracht, und er löschte die Lampe, um das Gespräch zu beenden.

Shaman lag im Dunkeln und dachte erregt und gleichzeitig besorgt darüber nach, was Alex gesagt hatte. Die Sache mit dem Augenverdrehen behagte ihm nicht. Luke Stebbins hatte ihm erzählt, man könne blind werden, wenn man an sich selber herumspiele. Das Taubsein reichte ihm schon, er wollte nicht noch einen Sinn verlieren.

Vielleicht bin ich schon dabei, blind zu werden, dachte er, und gleich am nächsten Morgen lief er aufgeregt herum, um sein Sehvermögen an nahen und fernen Gegenständen zu prüfen.

Je weniger Zeit Bigger für Shaman hatte, desto mehr Zeit verbrachte Shaman über Büchern. Er las sehr schnell und bettelte schamlos jeden um neue Bücher an. Die Geigers besaßen eine umfangreiche Bibliothek und erlaubten ihm, sich Lesestoff auszuleihen. Zum Geburtstag und zu Weihnachten bekam er Bücher, Nachschub für das Feuer, das er gegen die Kälte der Einsamkeit entzündet hatte. Miss Burnham sagte, sie habe noch nie eine solche Leseratte gesehen wie ihn. Sie hielt ihn gnadenlos zur Verbesserung seiner Aussprache an. Während der Schulferien erhielt sie bei den Coles freie Kost und Logis, und Rob J. ließ es sich nicht nehmen, sie für ihre Mühe mit seinem Sohn zusätzlich zu entschädigen. Doch sie arbeitete nicht aus Eigennutz mit Shaman, sondern weil ihr seine Aussprache zu einem persönlichen Anliegen geworden war. Die Übungen mit dem Geigerschen Klavier wurden beharrlich fortgesetzt. Fasziniert beobachtete sie, wie feinfühlig Shaman auf die Schwingungsunterschiede reagierte, und es dauerte nicht lange, bis er die einzelnen Töne erkennen konnte, sobald sie sie angeschlagen hatte. Shamans Wortschatz wuchs mit seiner Lektüre, doch er hatte Schwierigkeiten mit der Aussprache neuer Wörter, weil er nicht von anderen hören konnte, wie sie korrekt ausgesprochen wurden. So betonte er zum Beispiel das Wort »Kathedrale« auf der zweiten Silbe, und Miss Burnham erkannte, dass ihm die Aussprache meistens deshalb Schwierigkeiten machte, weil er nicht wusste, wo die Worte betont wurden. Um ihm das zu erklären, benutzte sie einen Gummiball, den sie bei unbetonten Silben nur leicht, bei betonten aber fester vom Boden aufspringen ließ. Doch auch das brauchte seine Zeit, denn selbst das Ballfangen bereitete Shaman große Schwierigkeiten. Miss Burnham merkte, dass sie sich beim Fangen an dem Geräusch orientierte, das der Ball beim Aufprallen auf dem Boden von sich gab. Shaman hatte dieses Hilfsmittel nicht, und so musste er lernen, sich die entsprechende Zeitspanne einzuprägen, die ein mit einer bestimmten Kraft geschleuderter Ball brauchte, um zu seiner Hand zurückzuspringen. Sobald er begriffen hatte, dass der unterschiedlich hoch springende Ball verschiedene Betonungen bedeutete, setzte sie das in Übungen mit Tafel und Kreide um. Zu diesem Zweck schrieb sie ein Wort auf die Tafel und kennzeichnete die betonten Silben mit einem Akzent: Ka-the-drä-le, Gü-ten Mör-gen, Bil-der, Fei-er, Ge-bir-ge. Rob J. unterstützte die Ballübungen, indem er Shaman das Jonglieren beibrachte. Häufig gesellten sich auch Alex und Mal hinzu. Rob hatte manchmal zur Unterhaltung der Kinder jongliert, und es gefiel ihnen, dies nachzumachen. Doch anfangs hatten sie große Schwierigkeiten damit. Trotzdem ermutigte er sie zum Weitermachen. »In Kilmarnock lernen alle Cole-Kinder das Jonglieren. Es ist eine alte Familientradition. Und wenn die in Schottland das lernen können, könnt ihr es auch. Zu seiner Enttäuschung erwies sich ausgerechnet der Howard-Junge als der beste Jongleur, denn er konnte schon bald mit vier Bällen umgehen. Doch Shaman war knapp hinter ihm, und Alex übte beharrlich weiter, bis er drei Bälle sicher in der Luft halten konnte. Der Zweck der Übung war freilich nicht, große Artisten hervorzubringen, sondern Shaman ein Gefühl für wechselnde Rhythmen zu geben. Bei einer der nachmittäglichen Übungen an Lillian Geigers Klavier nahm Miss Burnham Shamans Hand vom Klavierdeckel und legte sie an ihre Kehle. »Wenn ich spreche«, sagte sie, »schwingen die Bänder in meinem Kehlkopf - so wie die Drahtsaiten im Klavier. Spürst du die Schwingungen, wie sie sich bei den verschiedenen Wörtern ändern?«