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Er nickte verzückt, und die beiden lächelten sich an.

»Ach, Shaman«, sagte Dorothy Burnham, nahm seine Hand von ihrem Hals, hielt sie aber weiter fest. »Du lernst ja so schnell! Aber du brauchst beständige Übung, mehr als ich dir bieten kann, wenn erst die Schule wieder beginnt. Wenn es nur jemanden gäbe, der dir sonst noch helfen kann!«

Shaman wusste, dass sein Vater mit seiner Praxis voll ausgelastet war. Seine Mutter beschäftigte sich vorwiegend mit ihrer Kirchenarbeit, und er spürte bei ihr auch eine gewisse Abneigung, mit seiner Taubheit umzugehen, was ihn zwar verwirrte, aber alles andere als Einbildung war. Und Alex war mit Mal unterwegs, sooft ihm die Arbeit Zeit dazu ließ.

Dorothy Burnham seufzte. »Finden wir denn niemanden, der in der Lage ist, regelmäßig mit dir zu arbeiten?«

»Ich würde sehr gerne helfen«, sagte plötzlich eine Stimme. Sie kam aus dem großen Ohrensessel, der mit dem Rücken zum Klavier stand, und zu Miss Burnhams Überraschung tauchte Rachel Geiger hinter der Lehne auf und kam schnell zu ihnen.

Wie oft, fragte die Lehrerin, war das Mädchen wohl schon unbemerkt dabeigesessen und hatte den Übungen gelauscht?

»Ich weiß, dass ich es kann, Miss Burnham«, sagte Rachel etwas atemlos.

Shaman schien nicht abgeneigt zu sein.

Miss Burnham strahlte und drückte Rachel die Hand. »Ich bin mir sicher, du wirst es ganz hervorragend machen, meine Liebe«, sagte sie.

Rob J. hatte auf keinen seiner Makwas Tod betreffenden Briefe eine Antwort bekommen. Eines Abends setzte er sich an den Tisch, um sich seine Enttäuschung von der Seele zu schreiben. So entstand ein Brief, der in einem schärferen Ton als der vorige gehalten war und mit dem er in der trägen, verfilzten Bürokratie etwas Staub aufzuwirbeln hoffte.

... Die Verbrechen der Vergewaltigung und des Mordes werden von den Vertretern der Regierung und der Gerichtsbarkeit so bedenkenlos übergangen, dass sich die Frage stellt, ob der Staat Illinois -und mit ihm die ganzen Vereinigten Staaten - wirklich ein zivilisiertes Land ist oder nicht vielmehr ein Ort, an dem Männer sich aufführen dürfen wie die niedersten Tiere, ohne die geringste Strafe fürchten zu müssen.

Er schickte Abschriften des Briefes an dieselben Behörden wie zuvor und erwartete, dass der schärfere Ton Ergebnisse zeitigen werde. In der anderen Sache wendet sich auch niemand an mich, dachte er schmollend.

Beinahe überstürzt hatte er die Nische im Schuppen gegraben, doch jetzt, da sie bereit stand, ließ George Cliburn nichts von sich hören. In den ersten Wochen hatte er sich noch gefragt, wie man ihn wohl benachrichtigen werde, doch dann begann er nach Erklärungen zu suchen, weshalb man ihn ignorierte. Er verdrängte den Gedanken an die geheime Nische und gab sich statt dessen dem vertrauten Kürzerwerden der Tage hin, dem Anblick der Gänse, die in einem langgestreckten V über den blauen Himmel nach Süden zogen, dem Rauschen des Flusses, das immer kristalliner wurde, je mehr das Wasser abkühlte.

Eines Morgens ritt Rob J. in den Ort, und Carroll Wilkenson verließ seinen Platz auf der Veranda der Gemischtwarenhandlung und schlenderte auf ihn zu, als er eben von einer kleinen, gescheckten Stute mit hängendem Hals abstieg. »Neues Pferd, Doc?«

»Ich probier’ sie nur aus. Unsere Vicky ist inzwischen schon fast blind. Taugt zwar noch für die Kinder, um auf die Weide zu reiten, aber... Die Stute gehört Tom Beckermann.« Beckermann hatte ihm versichert, die Stute sei fünf Jahre alt, doch ihre unteren Schneidezähne waren so abgenutzt, dass sie mindestens doppelt so alt sein musste. Außerdem scheute sie bei jedem Insekt und jedem Schatten. »Mögen Sie Stuten?«

»Nicht unbedingt. Allerdings sind sie zuverlässiger als Hengste, und wenn man an den Preis denkt...«

»Da haben Sie recht. Verdammt recht. Übrigens, ich bin gestern George Cliburn begegnet. Ich soll Ihnen ausrichten, dass der einige neue Bücher hat - und ob Sie vielleicht Interesse hätten, sie sich anzusehen.«

Das war das Signal, und es traf ihn überraschend. »Vielen Dank, Carroll. George hat eine wunderbare Bibliothek«, sagte er und hoffte, dass seine Stimme dabei nicht zitterte.

»Ja, die hat er.« Wilkenson hob zum Abschied die Hand. »Na, dann werd’ ich mal weitersagen, dass Sie ein neues Pferd suchen.«

»Das wäre sehr nett«, erwiderte Rob J.

Nach dem Abendessen studierte er den Himmel, bis er sicher war, dass es eine mondlose Nacht werden würde.

Schon seit dem frühen Nachmittag trieben dichte, schwere Wolken über den Horizont. Die Luft war wie in einer Waschküche nach zwei Tagen großer Wäsche und versprach Regen noch vor der Morgendämmerung. Er ging früh zu Bett und schlief ein paar Stunden. Als Arzt war er es gewöhnt, immer nur kurz zu ruhen, und so war er um ein Uhr wieder frisch und munter. Um nicht in Zeitnot zu geraten, löste er sich schon deutlich vor zwei Uhr aus Sarahs Wärme. Er war in der Unterwäsche zu Bett gegangen, und jetzt nahm er leise, und ohne Licht zu machen, seine Kleider und ging hinunter. Sarah war daran gewöhnt, dass er zu jeder Tages- und Nachtzeit wegging, um Patienten zu behandeln. Sie schlief deshalb seelenruhig weiter.

Seine Schuhe standen in der Diele, wo auch sein Mantel hing. Im Stall sattelte er Queen Victoria, denn er musste nur bis zu jener Stelle reiten, wo die Zufahrt der Coles in die öffentliche Straße mündete, und Vicky kannte den Weg so gut, dass sie nicht viel zu sehen brauchte. Vor Nervosität brach er zu früh auf, weshalb er zehn Minuten lang in einem leichten Nieselregen am Wegesrand warten musste. Dem Pferd über den Hals streichelnd, horchte er auf eingebildete Geräusche, bis schließlich Geräusche sein Ohr trafen, die er sich nicht einbildete: das Knarzen und Klimpern eines Pferdegeschirrs, das Hufeklappern eines Arbeitspferdes. Bald darauf löste sich ein schwer mit Heu beladener Wagen aus der Dunkelheit. »Sind Sie es?« fragte George Cliburn ruhig. Rob J.

unterdrückte den plötzlichen Impuls, seine Identität zu leugnen, und saß ruhig auf seinem Pferd, während Cliburn im Heu wühlte, worauf eine zweite Gestalt herauskrabbelte. Cliburn hatte dem ehemaligen Sklaven offensichtlich strikte Anweisungen gegeben, denn der Mann fasste, ohne ein einziges Wort zu sagen, nach Vickys Sattel und schwang sich hinter Rob J. auf das Pferd.

»Geht mit Gott!« sagte Cliburn fröhlich, ließ die Zügel schnalzen und fuhr los. Irgendwann in der letzten Zeit hatte der Schwarze offensichtlich sein Wasser nicht mehr halten können. Rob J.s erfahrene Nase sagte ihm, dass der Urin bereits getrocknet war, wahrscheinlich schon seit Tagen, aber er rückte trotzdem von dem Ammoniakgestank hinter seinem Rücken etwas ab. Alles war dunkel, als sie am Haus vorbeiritten. Er hatte vorgehabt, den Mann schnell in der Nische zu verstecken, das Pferd zu versorgen und dann sofort wieder in sein warmes Bett zu kriechen. Doch im Schuppen wurde die Sache dann doch komplizierter. Als er die Lampe anzündete, sah er einen Mann zwischen dreißig und vierzig Jahren vor sich; ängstliche, wachsame Augen wie die eines in die Enge getriebenen Tiers, eine große Hakennase und ungekämmtes Kraushaar, das an die Wolle eines schwarzen Schafbocks erinnerte, bekleidet mit soliden Schuhen, einem ausreichend intakten Hemd und einer Hose, die so zerrissen und löchrig war, dass sie diese Bezeichnung kaum noch verdiente.

Rob J. hätte ihn gern gefragt, wie er heiße und woher er komme, aber Cliburn hatte ihm eingeschärft, keine Fragen zu stellen, das sei gegen die Regeln. Rob löste einige der Bretter und erklärte dem Mann den Inhalt des Verschlages: ein Topf mit Deckel für die menschlichen Bedürfnisse, Zeitungspapier zum Abwischen, ein Krug mit Trinkwasser und eine Tüte ungesüßte Kekse. Der Schwarze sagte nichts, er bückte sich nur und kroch in die Nische, und Rob befestigte die Bretter wieder.