Auf dem kalten Herd im Schuppen stand ein Topf mit Wasser. Rob J. zündete Feuer an. An einem Nagel im Stall fand er seine älteste Arbeitshose, die für den Schwarzen viel zu groß und zu lang war, und ein Paar ehemals rote Hosenträger, die inzwischen grau waren vom Staub. Eine aufgerollte Hose konnte gefährlich sein, wenn der, der sie trug, laufen musste. Rob schnitt deshalb mit seiner medizinischen Schere von beiden Beinen etwa zwanzig Zentimeter ab. Als er das Pferd versorgt hatte, war auch das Wasser auf dem Herd warm geworden. Er öffnete den Verschlag noch einmal, reichte Wasser, Lumpen, Seife und die Hose hinein und befestigte das Brett wieder.
Dann löschte er das Feuer im Herd und blies die Lampe aus. Er zögerte einen Augenblick, bevor er ging. »Gute Nacht«, sagte er dann in Richtung der Bretter. Ein Rascheln war zu hören wie von einem Bären in seinem Bau -
offensichtlich wusch sich der Mann gerade.
»Dankee, Söh«, kam schließlich ein heiseres Flüstern, als rede jemand in einer Kirche.
Der erste Gast in meiner Herberge, so nannte ihn Rob J. bei sich. Er blieb dreiundsiebzig Stunden. Wieder war es eine pechschwarze Nacht, als George Cliburn - wie immer entspannt und fröhlich und so höflich, dass es beinahe formell wirkte - ihn abholte und wegbrachte. Obwohl Rob J. in der Dunkelheit keine Einzelheiten erkennen konnte, war er sicher, dass die Haare des Quäkers ordentlich über die Glatze gekämmt und die rosigen Wangen so glatt rasiert waren, als wäre es Mittag.
Etwa eine Woche später bekam Rob J. Angst, dass er, Cliburn, Dr. Barr und Carroll Wilkenson wegen Beihilfe zum Diebstahl verhaftet werden könnten, weil er hörte, dass Mort London einen entflohenen Sklaven festgenommen hatte. Aber es zeigte sich, dass es sich nicht um »seinen« Schwarzen handelte, sondern um einen Sklaven, der ohne jede Hilfe von anderen aus Louisiana geflohen war und sich auf einem Flusskahn versteckt hatte.
Für Mort London war es eine gute Woche. Ein paar Tage nachdem er die Belohnung für die Rückführung des Sklaven erhalten hatte, belohnte Nick Holden seine langjährige Treue mit der Ernennung zum Deputy United States Marshal von Rock Island. Sein Amt als Sheriff legte er sofort nieder, und auf seine Empfehlung hin ernannte Bürgermeister Andreson für den Rest der Wahlperiode Londons einzigen Stellvertreter Fritzie Graham zu dessen Nachfolger. Rob J. mochte Graham nicht besonders, doch gleich bei ihrer ersten Begegnung machte der Interimssheriff deutlich, dass er nicht vorhatte, Mort Londons Linie beizubehalten.
»Ich hoffe doch, dass Sie Ihre Arbeit als Leichenbeschauer wieder aufnehmen, Doc. Wir brauchen Sie.«
»Sehr gerne«, erwiderte Rob J. Und das war die Wahrheit, denn ihm fehlten diese Gelegenheiten zur Übung seiner chirurgischen Fertigkeiten sehr. So ermutigt, konnte er nicht widerstehen, Graham um die Wiederaufnahme von Makwas Fall zu bitten. Doch der argwöhnischungläubige Blick, den Graham ihm daraufhin zuwarf, sagte ihm mehr als dessen Versprechen zu tun, was in seiner Macht stehe. »Darauf können Sie sich verlassen, Sir.«
Der graue Star trübte Queen Victorias Augen, und die sanfte alte Stute sah überhaupt nichts mehr. Wäre sie jünger gewesen, hätte Rob J. sie operiert, aber ihre Arbeitskraft war verbraucht, und er sah keinen Grund, ihr noch Schmerzen zuzufügen. Er schläferte sie auch nicht ein, denn ihr schien es zu gefallen, einfach nur auf der Weide herumzustehen, wo immer wieder jemand vorbeikam und ihr einen Apfel oder eine Karotte gab.
Die Familie musste jedoch ein Pferd zur Verfügung haben, wenn er unterwegs war. Bess, die andere Stute, war noch älter als Vicky und würde auch bald ersetzt werden müssen. Deshalb hielt Rob J. weiterhin nach einem geeigneten Pferd Ausschau. Er war ein Gewohnheitsmensch, der sich nur sehr ungern auf ein neues Tier umstellte, doch im November kaufte er schließlich von den Schroeders ein Allzweckpferd, eine kleine braune Stute, die weder besonders jung noch besonders alt war. Der Preis hielt sich in so vernünftigen Grenzen, dass er den Verlust würde verschmerzen können, falls sich das Pferd nicht als das Tier erwies, das sie brauchten. Die Schroeders hatten die Stute Trude genannt, und er und Sarah sahen keinen Grund, sie umzutaufen. Er unternahm kleine Ausritte mit ihr und wartete immer auf irgendeine Enttäuschung, doch tief im Inneren war er überzeugt, dass Alma und Gus ihm nie ein schlechtes Pferd andrehen würden. An einem klaren, kühlen Nachmittag ritt er zum erstenmal auf ihr zu seinen Hausbesuchen, die ihn weit über die Gemeindegrenze hinausführten. Sie war kleiner als Vicky oder Bess und wirkte knochiger unter dem Sattel, aber sie war folgsam und alles andere als nervös. Als sie in der Dämmerung des früh hereinbrechenden Abends heimkehrten, wusste er, dass sie ihm gute Dienste leisten würde, und er nahm sich viel Zeit, sie zu striegeln und zu füttern. Die Schroeders hatten nur Deutsch mit ihr gesprochen, Rob J. dagegen den ganzen Tag nur Englisch. Doch jetzt klopfte er ihr auf die Flanke und grinste. »Gute Nacht, meine gnadige Liebchen«, sagte er in verwegenem Deutsch, wobei er seinen gesamten Wortschatz dieser Sprache mobilisierte. Er nahm die Laterne und wandte sich zum Gehen. Doch er kam nur bis zur Tür, da knallte es plötzlich. Er zögerte, weil er nicht glauben wollte, dass es sich wirklich um einen Flintenschuss gehandelt hatte, doch unmittelbar nach dem Pulverknall schlug kaum zwanzig Zentimeter über seinem Kopf krachend eine Kugel in den Türsturz ein. Das brachte ihn zur Besinnung. Er trat schnell in den Stall zurück und blies die Laterne aus. Er hörte die Hintertür des Hauses auf- und zugehen, hörte Laufschritte.
»Pa? Alles in Ordnung?« rief Alex.
»Ja. Geh wieder ins Haus!«
»Was...«
»Auf der Stelle!«
Wieder Schritte, das Öffnen und Schließen der Tür. Während er angestrengt in die Dunkelheit spähte, merkte er, dass er zitterte. Die drei Pferde bewegten sich unruhig in ihren Boxen. Vicky wieherte. Die Zeit schien stehenzubleiben.
»Dr. Cole?« Aldens Stimme kam näher. »Haben Sie geschossen?«
»Nein, ein anderer hat geschossen und den Türsturz getroffen. Und mich beinahe auch.«
»Bleiben Sie, wo Sie sind!« rief Alden entschieden.
Rob J. wusste, wie sein Knecht dachte. Es würde ihn selbst zu viel Zeit kosten, die Schrotflinte aus seiner Hütte zu holen, statt dessen würde er die Jagdbüchse aus dem Haupthaus holen. Rob hörte seine Schritte, sein warnendes: »Bin nur ich«, und das Öffnen und Schließen der Tür. Und wieder das Aufgehen der Tür. Er hörte Alden weggehen, dann nichts mehr. Ein paar Minuten dehnten sich zu einem Jahrhundert, bis sich wieder Schritte dem Stall näherten.
»Kein Mensch da, soweit ich das sehen kann, Dr. Cole, und ich hab’ gründlich nachgesehen. Wo hat die Kugel denn genau eingeschlagen?«
Als Rob J. ihm die zersplitterte Stelle am Türsturz zeigte, musste Alden sich auf die Zehenspitzen stellen, um sie untersuchen zu können.
»Nein, so was!« sagte Alden. »Schlimm genug, dass er auf Ihrem Land wildert. Aber so nah am Haus und bei dem schlechten Licht! Wenn ich den zu fassen kriege, nimmt er keine Flinte mehr in die Hand.«
»Ist ja nichts passiert! Ich bin froh, dass Sie da waren«, sagte Rob J. und legte Alden die Hand auf die Schulter.
Gemeinsam gingen sie ins Haus, um die Familie zu beruhigen und das Beinahe-Unglück zu verdauen.
Rob J. goss Alden einen Brandy ein und nahm sich selber auch einen, was sehr selten vorkam.
Sarah bereitete ihm sein Lieblingsessen zu, grüne Paprikaschoten und junge Moschuskürbisse, gefüllt mit gewürztem Hackfleisch und mit Kartoffeln und Karotten gedünstet. Er aß mit Appetit und lobte die Kochkünste seiner Frau, doch danach suchte er die Abgeschiedenheit der Veranda und setzte sich dort auf einen Stuhl.