Offensichtlich hatte er sich sein Vergnügen zu deutlich anmerken lassen, denn als er wieder aus dem Stall kam, wartete sein Vater bereits vor dem Schwitzhaus, und jetzt war Shaman an der Reihe, die Steine zu erhitzen, zur Hütte zu schleppen und mit Wasser zu übergießen. Als die beiden schließlich glühend und lachend ins Haus zurückkehrten, mussten sie feststellen, dass sie über dem Schwitzen das Abendessen vergessen hatten. Sarah hatte, verärgert wie sie war, die Teller der beiden auf dem Tisch stehenlassen, und das Essen war inzwischen kalt. Zwar bekamen Shaman und sein Vater keine Suppe mehr, und sie mussten das geronnene Fett von ihrem Hammelfleisch kratzen, doch sie waren sich einig, dass es das wert gewesen war. Makwa hatte wirklich gewusst, wie man anständig badet.
Bei Schulbeginn hatte Rachel keine Schwierigkeiten, sich in ihrer neuen Rolle als Lehrerin zurechtzufinden. Der Tagesablauf war ihr vertraut: neue Lektionen, Klassenarbeiten, gemeinsames Singen, Hausaufgaben. In Mathematik war Shaman besser als sie, und sie bat ihn deshalb, den Rechenunterricht zu übernehmen. Er erhielt zwar keine Bezahlung, doch sie lobte ihn sehr vor den Eltern und dem Schulausschuss, und ihm machte es Spaß, gemeinsam mit ihr die Stunden vorzubereiten.
Keiner von beiden erwähnte Miss Burnhams Meinung, dass Shamans Stimmschulung vermutlich gar nicht länger notwendig sei. Da Rachel nun Lehrerin war, übten sie im Schulgebäude, nachdem die anderen Kinder nach Hause gegangen waren, und sie gingen nur noch zu den Geigers, wenn sie Lillians Klavier brauchten.
Shaman saß gerne neben Rachel auf der Klavierbank, aber es gefiel ihm noch besser, wenn sie alleine im Schulhaus waren.
Die Schüler hatten sich immer darüber lustig gemacht, dass Miss Burnham offensichtlich nie austreten musste, und jetzt legte Rachel die gleiche Disziplin an den Tag. Doch sobald die Kinder draußen waren, stürzte sie zum Häuschen. Um sich die Wartezeit zu verkürzen, dachte Shaman häufig darüber nach, was sie wohl unter ihren Röcken trug. Bigger hatte ihm erzählt, wenn er es mit Pattie Drucker treibe, müsse er ihr immer aus der alten, löchrigen Unterwäsche ihres Vaters helfen, doch Shaman wusste, dass die meisten Frauen Fischbeinkrinolinen trugen oder Rosshaargarnituren, die zwar kratzten, aber schön wärmten. Rachel mochte die Kälte überhaupt nicht. Kaum war sie ins Klassenzimmer zurückgekehrt und hatte ihren Mantel auf den Haken hängt, lief sie schon zum Ofen, um sich zuerst von vorne und dann von hinten aufzuwärmen.
Schon nach einem knappen Monat musste Rachel mit ihren Eltern nach Peoria fahren, und Shaman sprang für den halben Oktober als Aushilfslehrer ein, wofür er auch bezahlt wurde. Die Schüler kannten ihn ja bereits als Lehrer aus dem Rechenunterricht. Sie wussten, dass er ihre Lippen sehen musste, um sie zu verstehen, und gleich am ersten Morgen sagte Randy Williams, der jüngste Sohn des Schmieds, mit dem Rücken zum Lehrer etwas Freches. Shaman nickte ungerührt, als die Kinder lachten, und fragte Randy, ob er ihn ein wenig an den Fußknöcheln in die Höhe halten solle. Shaman war größer als die meisten Männer, die sie kannten, und den Kindern verging das Grinsen, als Randy eingeschüchtert erwiderte, nein, das wolle er nicht. Danach war das Unterrichten für Shaman kein Problem mehr. An ihrem ersten Schultag nach der Rückkehr war Rachel bedrückter Stimmung. Nachdem die Kinder gegangen waren, kam sie zitternd und weinend vom Häuschen zurück. Shaman ging zu ihr und legte die Arme um sie. Sie wehrte sich nicht, stand einfach nur da zwischen ihm und dem Ofen, die Augen geschlossen. »Ich hasse Peoria«, sagte sie leise. »Es ist schrecklich, so viele Leute um einen herum. Meine Mutter und mein Vater... sie haben mich vorgeführt.«
Für Shaman war es durchaus einsichtig, dass die Eltern stolz auf Rachel waren. Außerdem brauchte sie jetzt ein ganzes Jahr lang nicht mehr nach Peoria zu fahren. Er sagte nichts. Er träumte nicht einmal davon, sie zu küssen.
Es reichte ihm, einfach nur dazustehen und ihr sanftes Fleisch zu spüren, und er war überzeugt, dass nichts, was ein Mann und eine Frau miteinander tun, schöner sein konnte als das. Nur einen kurzen Augenblick lang löste sie sich von ihm und sah ihn aus tränenfeuchten Augen ernst an. »Mein treuer Freund.«
»Ja«, erwiderte er.
Zwei Ereignisse öffneten Rob J. die Augen. An einem kalten Novembermorgen hielt Shaman seinen Vater auf dem Weg zum Stall an. »Ich habe gestern Miss Burnham besucht- ich meine Mrs. Cowan. Ich soll dir und Mutter schöne Grüße ausrichten.«
Rob J. lächelte. »Wirklich? Das ist aber nett. Hat sie sich schon an das Leben auf der Farm gewöhnt?«
»Ja. Die kleinen Mädchen scheinen sie zu mögen. Es gibt natürlich eine Menge Arbeit, und sie sind ja nur zu zweit.«
Er warf seinem Vater einen schüchternen Blick zu. »Pa. Gibt es eigentlich viele Ehen wie die ihre - ich meine, wo die Frau älter ist als der Mann?«
»Weißt du, Shaman, normalerweise ist es ja andersherum, aber nicht immer. Ich glaube, es gibt einige solche Ehen.« Er wartete darauf, dass das Gespräch sich in eine bestimmte Richtung entwickle, doch sein Sohn nickte nur und machte sich auf den Weg zur Schule. Daraufhin ging Rob J. in den Stall und sattelte sein Pferd.
Einige Tage später arbeiteten er und der Junge im Haus. Sarah hatte in einigen Häusern in Rock Island bestimmte Bodenbeläge gesehen, und war dann Rob J. so lange in den Ohren gelegen, bis er versprach, dass auch sie solche bekommen werde. Für diese Beläge musste Leinwand mit Harz getränkt und anschließend mit fünf Schichten Farbe überzogen werden. Das Ergebnis war leicht zu reinigen, wasserdicht und dekorativ. Sarah hatte Alden und Alex das Harz und die ersten vier Farbschichten auftragen lassen, für den letzten Schliff aber ihren Gatten herangezogen.
Rob J. hatte die Farbe für alle fünf Schichten aus Buttermilch, gekauftem Öl und feingemahlenen braunen Eierschalen selbst hergestellt. Entstanden war auf diese Weise ein Farbton, der an jungen Weizen erinnerte. Rob und Shaman hatten die letzte Schicht gemeinsam aufgetragen und mühten sich an diesem sonnigen Sonntagvormittag damit ab, einen dünnen schwarzen Randstreifen um jede Bodenfläche zu ziehen, eine Fleißarbeit, die sie beendet haben wollten, bevor Sarah aus der Kirche zurückkam.
Shaman war geduldig. Rob J. wusste, dass in der Küche Rachel auf ihn wartete, doch er sah, dass der Junge auch im letzten der drei Zimmer nicht versuchte, die Arbeit schnell hinter sich zu bringen. »Pa?« fragte Shaman.
»Braucht man eigentlich viel Geld zum Heiraten?«
»Hm. Schon einiges.« Rob wischte seinen schmalen Pinsel an einem Lappen ab. »Na ja, das ist natürlich unterschiedlich. Manche Paare wohnen bei der Familie der Frau, andere bei der des Mannes, bis sie es schaffen, einen eigenen Hausstand zu gründen.« Er hatte zur Arbeitserleichterung aus dünnem Holz eine Schablone geschnitten, die Shaman am Rand entlangführte, während er die schwarze Farbe auftrug. Ein letztes Verrücken der Schablone, ein letzter Pinselstrich, und sie waren fertig.
Sie reinigten die Pinsel und stellten sie an ihren Platz im Stall. Auf dem Weg zum Haus nickte Shaman plötzlich.
»Ich kann mir schon vorstellen, warum das unterschiedlich ist.«
»Was soll unterschiedlich sein?« fragte Rob J. geistesabwesend, denn in Gedanken war er bereits bei dem Problem, wie er am besten die Gewebeflüssigkeit in Harold Hayses dick angeschwollenem Knie drainieren konnte.
»Das Geld, das man zum Heiraten braucht. Es hängt davon ab, wieviel man mit seiner Arbeit verdient, wie schnell ein Kind kommt, von solchen Sachen.«
»Genau«, erwiderte Rob J. verwirrt, weil er das Gefühl hatte, den wichtigsten Teil ihrer Unterhaltung nicht mitbekommen zu haben. Aber ein paar Minuten später sah er Shaman und Rachel Geiger am Stall vorbei zur Straße gehen. Shamans Augen ruhten auf Rachels Gesicht, damit er erkennen konnte, was sie sagte, doch Rob J.
sah sofort, was der Ausdruck im Gesicht seines Sohnes darüber hinaus bedeutete.
Plötzlich wurde ihm einiges klar, und er brummte. Noch bevor er sich um Harold Hayses Knie kümmerte, ritt er zur Farm der Geigers. Sein Freund stand im Geräteschuppen und schärfte Sensen. Jay lächelte Rob zur Begrüßung zu, ohne die Arbeit zu unterbrechen.