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Regensberg. Als dieser erwähnte, er müsse ins westliche Illinois reisen, um Geschäfte zu besuchen, die seine Blechwaren führten, darunter auch einige in Rock Island und Davenport, hatte Solomon Rosen für ihn den Besuch bei den Geigers arrangiert. Einige Wochen nach dem Besuch traf ein Brief von Mr. Rosen ein. Rachel habe auf Johann Regensberg einen sehr vorteilhaften Eindruck gemacht. Mr. Rosen teilte ihnen mit, dass die Familie Regensberg Jichuss habe, die wahre Vornehmheit, die von einer langen Ahnenreihe herausragender Gemeindemitglieder herrühre. Mr. Regensbergs Vorfahren ließen sich bis ins vierzehnte Jahrhundert zurückverfolgen, und unter ihnen seien viele Lehrer und Schriftgelehrte. Doch dann verdüsterte sich Jay s Gesicht, als er weiter vorlas, denn was nun folgte, fasste er als Beleidigung auf. Johanns Eltern, Leon und Golda Regensberg, waren tot. Ihre Aufgabe in dieser Angelegenheit hatte Mrs. Harriett Ferber übernommen, die Schwester des verstorbenen Leon. Und diese Mrs. Ferber forderte auf Grund der Familientradition ein Attest oder einen anderen Beweis für die Jungfräulichkeit der zukünftigen Braut.

»Wir sind doch nicht in Europa! Und sie kaufen keine Kuh!« sagte Jason gekränkt.

Seine kühl formulierte Ablehnung erwiderte Mr. Rosen unverzüglich mit einem Brief, in dem er die Forderung zurückzog und statt dessen anfragte, ob die Geigers nicht Johanns Tante einladen könnten. So kam einige Wochen später Mrs. Ferber nach Holden’s Crossing, eine kleine, sich sehr gerade haltende Frau mit schneeweißen, straff nach hinten gekämmten und zu einem Knoten zusammengeschlungenen Haaren. Auch sie kam mit ihrem Korb voller kandierter Früchte, brandygetränkter Kuchen und einem Dutzend Flaschen koscheren Weins gerade rechtzeitig zum Sabbat. Sie genoss Lillians Kochkünste und die musikalischen Darbietungen der Familie, vor allem aber beobachtete sie Rachel. Sie unterhielt sich intensiv mit ihr und wie es aussah, hatte sie das Mädchen von Anfang an in ihr Herz geschlossen. Sie war bei weitem nicht so streng, wie die Geigers befürchtet hatten. Spät am Abend, während Rachel die Küche aufräumte, setzte Mrs. Ferber sich mit Lillian und Jay zusammen, und sie erzählten einander von ihren Familien.

Lillians Vorfahren waren spanische Juden, die vor der Inquisition zuerst nach Holland und dann nach England geflohen waren. In Amerika hatte ihre Familie politische Tradition. Väterlicherseits war sie mit Francis Salvador verwandt, der von seinen christlichen Nachbarn in den Provinzkongress von South Carolina gewählt worden war und im Dienst der Patrioten wenige Wochen nach der Unabhängigkeitserklärung als erster Jude für die Vereinigten Staaten starb -überfallen und skalpiert von Torys und Indianern. Mütterlicherseits war sie eine Mendez und eine Cousine von Judah Benjamin, dem Senator von Louisiana. Jasons Familie, in Deutschland alteingesessene Arzneimittelhersteller, war 1819 nach Charleston gekommen, auf der Flucht vor dem Pöbel, der damals mit dem Schlachtruf »Hep! Hep! Hep!« Jagd auf Juden machte, einem Schrei, der zurückreicht bis zu den Kreuzzügen und aus den Anfangsbuchstaben von Hierosolym est perdita, Jerusalem ist verloren, gebildet wurde.

Die Regensbergs hatten Deutschland ein Jahrzehnt vor den Hep-Unruhen verlassen, berichtete Mrs. Ferber. Die Familie hatte im Rheinland Weinberge besessen. Sie war zwar nicht sehr reich, erfreute sich aber doch eines gewissen Wohlstands, und Joe Regensbergs Blechwarenfabrik florierte. Er gehörte zum Zweig der Kohanim, das Blut von Hohepriestern in Salomons Tempel floss in seinen Adern. Falls es zu einer Heirat kommen sollte, so gab sie Lillian und Jay leise zu verstehen, würden deren Enkel von zwei Oberrabbis des alten Jerusalem abstammen. So saßen die drei beisammen, betrachteten einander mit Wohlgefallen und tranken guten englischen Tee, der ebenfalls aus Mrs. Ferbers üppigem Korb stammte. »Die Schwester meiner Mutter hieß auch Harriett«, sagte Lillian. »Wir haben sie nur Hattie genannt.«

Sie habe man nie anders genannt als Harriett, erwiderte Mrs. Ferber, zwinkerte dabei aber so humorvoll mit den Augen, dass die Geigers ihre Einladung nach Chicago sehr gerne annahmen. Einige Wochen später, es war ein Mittwoch, bestiegen alle sechs Mitglieder der Familie in Rock Island einen Zug, der sie in fünf Stunden direkt und ohne Umsteigen nach Chicago bringen sollte. Chicago war groß, wuchernd, schmutzig, überfüllt, schäbig, laut und - für Rachel - sehr aufregend. Ihre Familie bezog Zimmer im vierten Stock von Palmer’s Illinois Home Hotel. Am Donnerstag und Freitag lernten sie bei zwei Diners in Harrietts Wohnung an der South Wabash Avenue andere Verwandte kennen, und am Samstagmorgen besuchten sie den Gottesdienst in der Familiensynagoge der Regensbergs, der Kehilath-Anshe-Maarib-Kongregation, wo man Jason die Ehre erwies, ihn zur Thora zu rufen und einen Segensspruch anstimmen zu lassen. Am Abend besuchten sie ein Theater, in dem eine Tourneebühne »Der Freischütz« von Carl Maria von Weber aufführte. Rachel hatte noch nie eine Oper gesehen, und die gefühlvollen romantischen Arien verzückten sie. In der Pause nach dem ersten Akt führte Joe Regensberg sie nach draußen und fragte sie, ob sie seine Frau werden wolle, und sie nahm an. Das Ganze ging ohne große Seelenqual vonstatten, denn den eigentlichen Antrag und die Zusage hatten die Älteren bereits vollzogen. Anschließend holte er einen Ring aus der Tasche, der seiner Mutter gehört hatte. Der Diamant - der erste, den Rachel je gesehen hatte - war bescheiden, aber wundervoll gefasst. Der Ring war ein bisschen groß, und sie ballte die Faust, damit er ihr nicht vom Finger glitt und verlorenging. Als sie auf ihre Plätze zurückkehrten, begann eben der zweite Akt. Rachel, die neben ihrer Mutter saß, nahm im Dunkeln deren Hand, legte sie auf den Ring und lachte lautlos, als Lillian überrascht den Mund aufriss. Und während sie sich von der herrlichen Musik wieder in den deutschen Wald versetzen ließ, dämmerte ihr, dass das Ereignis, das sie so gefürchtet hatte, für sie ein Tor zur Freiheit und eine angenehme Art, Macht auszuüben, sein konnte.

Es war ein heißer Vormittag im Mai, als Rachel zur Schaffarm kam, und Shaman war verschwitzt und staubig, denn er hatte schon einige Stunden lang die Sense geschwungen und anschließend begonnen, das Gras zusammenzurechen. Rachel trug ein vertrautes, altes, graues Kleid, in dessen Achseln sich bereits dunkle Schweißflecken zeigten, ein leichtes, graues Häubchen, das er noch nicht kannte, und weiße Baumwollhandschuhe. Als sie ihn bat, sie nach Hause zu begleiten, ließ er bereitwillig den Rechen fallen.

Eine Weile sprachen sie über die Schule, doch schon bald begann sie, von sich zu erzählen, von dem, was sich in ihrem Leben ändern würde. Sie lächelte ihn an, zog ihren linken Handschuh aus, zeigte ihm den Ring, und er begriff sofort, dass sie verlobt war. »Dann ziehst du also von hier weg?«

Sie nahm seine Hand. Noch Jahre später schämte er sich dafür, dass er in diesem Augenblick sonst nichts zu ihr gesagt hatte, ihr nicht alles Gute für ihr Leben gewünscht und ihr gestanden hatte, wieviel sie ihm bedeute, ihr nicht gedankt und Lebewohl gesagt hatte. Als er sich vor der Geigerschen Hofeinfahrt von ihr abwandte und sich auf den Heimweg machte, schmerzte seine Hand, so fest hatte sie sie gehalten.

Einen Tag nachdem die Geigers nach Chicago gefahren waren, wo in einer Synagoge unter einem Baldachin die Hochzeit stattfinden sollte, kam Rob J. nach Hause und wurde von Alex abgefangen, der sagte, er werde sich um das Pferd kümmern. »Schau mal nach! Mit Shaman stimmt was nicht.«