»Und was ist mit Kahlan?«
Zedd schüttelte den Kopf. »Die Zauberkraft eines Konfessors funktioniert anders als alle anderen. Eine Berührung mit der Magie eines Konfessors bedeutet für eine Mord-Sith den Tod. Einen äußerst üblen Tod. Ich habe es einmal gesehen. Ich will es nicht noch einmal sehen.« Zedd ließ den Blick über das blutverschmierte Chaos schweifen und dachte daran, was sie Kahlan angetan hatten oder beinahe angetan hätten. »Ich habe wohl eine Menge Dinge gesehen, die ich nicht noch einmal sehen möchte.«
Zedd hievte gerade Kahlans Rucksack über die Schultern, als ein Beben die Luft erschütterte, der Donner ohne Hall. Die beiden rannten zum Pfad Kahlan hinterher. Sie waren erst ein kurzes Stück weit gekommen, als sie den letzten Mann, alle viere von sich gestreckt, quer über dem Pfad liegend fanden, dort wo er gelauert hatte. Sein eigenes Schwert ragte ihm aus der Brust. Er hielt das Heft mit tödlichen Griff umklammert.
Sie rannten weiter, bis sie sie eingeholt hatten. Sie schritt zielstrebig voran, die Augen geradeaus, ohne einen Blick für ihre Umgebung. Das Konfessorkleid flatterte hinter ihr wie eine Flamme im Wind. Zedd hatte immer angenommen, Konfessoren sähen in ihren Kleidern wunderschön aus, besonders, wenn es weiß war wie das der Mutter Konfessor.
Jetzt erkannte er, was es wirklich war. Eine Rüstung für die Schlacht.
19
Der Nieselregen sammelte sich auf Richards Gesicht und lief an seiner Nase hinunter, blieb kitzelnd als Tröpfchen an der Spitze hängen. Genervt wischte er es fort. Er war so müde, daß er kaum noch wußte, was er tat. Nur eins wußte er sicher, er war nicht imstande, Kahlan, Zedd oder Chase zu finden. Er hatte unablässig gesucht, war endlose Pfade und Straßen in beiden Richtungen entlang gewandert, hatte sich im Zickzack dem Palast des Volkes genähert und doch kein Zeichen von ihnen gesehen. Überall gab es Wege und Pfade, und er wußte, daß er nur einen Bruchteil von ihnen abgesucht hatte. Nachts hatte er nur für ein paar Stunden haltgemacht, meist, um dem Pferd ein wenig Ruhe zu gönnen, und selbst dann hatte er noch zu Fuß weitergesucht. Seit er seinen Bruder verlassen hatte, hatte die dichte Wolkendecke tief über dem Boden gehangen und die Sicht begrenzt. Er war wütend, daß der Himmel ausgerechnet jetzt verhangen war, wo er Scarlet nötiger denn je brauchte.
Alles schien sich gegen ihn verschworen zu haben, so als arbeite das Schicksal für Darken Rahl. Bestimmt hatte Rahl Kahlan inzwischen gefangen. Es war zu spät, sie befand sich längst im Palast des Volkes.
Er trieb das Pferd den Bergpfad hinauf, durch die hohen Nadelwälder, die auf dem steilen Untergrund wuchsen. Schwammiges Moos dämpfte das Geräusch der Hufe. In der Dunkelheit war fast nichts zu erkennen. Als er durch Dunkelheit und Nebel höher kam, wurde der Baumbestand spärlicher und setzte ihn dem kalten Wind aus, der den steilen Hang hinaufwehte. Er zerrte an seinem Umhang und heulte ihm in den Ohren. Dunkel wehten Wolken- und Nebelfetzen über den Pfad. Richard zog seine Kapuze über, um sich gegen die Widrigkeiten des Wetters zu schützen. Er konnte zwar nichts erkennen, wußte aber, daß er den höchsten Punkt des Passes erreicht hatte, und begann den Abstieg auf der anderen Seite.
Es war tief in der Nacht. Mit der Dämmerung begänne der erste Tag des Winters. Der letzte Tag der Freiheit.
Unter einem überhängenden Felsen entdeckte Richard eine geschützte Stelle und beschloß, vor seiner letzten Morgendämmerung noch ein paar Stunden zu schlafen. Ermattet glitt er vom nassen Rücken des Pferdes und band es an eine nahe Krüppelfichte, die sich in das hohe Gras duckte. Er nahm nicht einmal seinen Rucksack ab, sondern rollte sich einfach in seinem Umhang unter den Felsen und versuchte einzuschlafen. Dachte an Kahlan und daran, was er unternehmen mußte, um sie vor den Händen einer Mord-Sith zu bewahren. Sobald er Darken Rahl beim Öffnen des Kästchens geholfen hätte, das ihm die gesuchte Macht verschaffen würde, würde dieser ihn töten. Darken Rahl hatte ihm zwar versichert, er wäre frei und könne sein Leben leben — aber was für ein Leben wäre das, nachdem er von Kahlans Macht berührt worden war? Außerdem wußte er, daß Darken Rahl log. Rahl hatte vor, ihn zu töten. Hoffentlich ging es wenigstens schnell. Sein Entschluß, Darken Rahl zu helfen, wäre sicher auch Zedds Tod, aber wenigstens würden viele andere überleben. Leben unter der brutalen Herrschaft von Darken Rahl, trotzdem, sie würden leben. Richard ertrug die Vorstellung nicht, für den Tod von allen und jedem verantwortlich zu sein. Rahl hatte die Wahrheit gesagt, Richard war verraten worden, und wahrscheinlich wußte er auch, welches Kästchen ihn töten würde. Selbst wenn er log, durfte Richard nicht das Leben aller mit dieser einzigen Chance verspielen. Richard hatte keine Alternative mehr, ihm blieb nichts anderes übrig, als Darken Rahl zu helfen.
Seine Rippen schmerzten noch immer von Dennas Folter. Das Liegen fiel ihm nach wie vor schwer, genau wie das Atmen. Seit er den Palast des Volkes verlassen hatte, verfolgten ihn im Schlaf Alpträume, Alpträume von Dennas Folter, genau wie sie es ihm versprochen hatte. Er träumte, hilflos dazuhängen, während Denna ihn traktierte, träumte von seiner Hilflosigkeit, sie daran zu hindern, träumte, niemals fliehen zu können. Er träumte, Michael stände daneben und sähe zu. Er träumte, wie auch Kahlan gefoltert wurde und Michael dabei zusah.
Er wachte schweißgebadet auf, zitternd vor Angst, und hörte sich winseln. Sonnenlicht fiel schräg unter den Felsvorsprung. Die orangefarbene Sonne schob sich gerade über den östlichen Horizont.
Richard stand auf, räkelte sich und betrachtete die Dämmerung des ersten Wintertages. Er befand sich hoch auf einem Berg. Die umliegenden Gipfel durchstießen eine tiefhängende Wolkendecke. Die Wolken erstreckten sich weit vor ihm bis zum östlichen Horizont wie ein orangegefärbtes Meer aus Grau.
Das Wolkenmeer wurde nur an einer einzigen Stelle durchbrochen — durch den Palast des Volkes. Von der Sonne beschienen erhob er sich in weiter Ferne stolz auf seiner Hochebene, überragte die Wolken, als wartete er auf ihn. Ein Gefühl der Kälte zog durch seinen Unterleib. Der Palast war noch sehr weit entfernt. Er hatte die Entfernung bis dorthin unterschätzt, es war viel weiter, als er gedacht hatte. Er durfte keine Zeit mehr verlieren. Sobald die Sonne im Zenit stand, konnten die Kästchen geöffnet werden.
Beim Umdrehen nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Das Pferd wieherte verängstigt. Geheul zerriß die Stille des Morgens. Herzhunde.
Richard zückte sein Schwert, als sie sich in Scharen über den Felsen stürzten. Er wollte zum Pferd, doch die Herzhunde hatten es bereits gerissen. Immer mehr stürmten wie blind auf ihn zu. Nur für einen winzigen Augenblick war er vor Schreck wie gelähmt, dann sprang er auf den Felsen, unter dem er geschlafen hatte. Die Hunde sprangen mit schnappenden Zähnen hinter ihm her. Die erste Angriffswelle streckte er nieder, dann, als immer weitere Hunde angriffen, zog er sich weiter nach oben auf den Felsen zurück. Richard pflügte mit dem Schwert durch die vorrückende, knurrende, heulende Meute. Es war wie ein Meer aus dunkelbraunem Fell, das in Wellen über ihn schwappte. Ungestüm drosch und stach er auf sie ein und versuchte gleichzeitig zurückzuweichen. Hinter ihm kamen Hunde über den Felsen. Er sprang zur Seite, als die beiden Meuten ineinanderprallten und sich bei dem Versuch zerfleischten, als erste an sein Herz heranzukommen.
Richard kletterte höher, hielt sich die Bestien vom Leib und tötete jede, die ihm zu nahe kam. Er wußte, daß es aussichtslos war; es waren mehr, als er je abwehren könnte. Er ließ dem Zorn der Magie des Schwertes freien Lauf und rückte wie besessen in ihre vordersten Reihen vor. Er durfte Kahlan nicht enttäuschen, nicht jetzt. Die Luft schien voller gelber Reißer, die nach ihm schnappten. Überall war Blut von dem Gemetzel. Die Welt färbte sich rot.
Und stand plötzlich in Flammen. Hunde heulten vor tödlicher Qual auf. Der Drache röhrte vor Wut. Scarlets Schatten wischte über ihm hinweg. Richards Schwert durchtrennte jeden Hund, der ihm zu nahe kam. Die Luft stank nach Blut und versengtem Fell.