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»Führe mich, Kahlan. Lehre mich, Kahlan. Kahlan, beschütze mich. In deinem Licht werde ich gedeihen. Deine Gnade gebe mir Schutz. Deine Weisheit beschämt mich. Ich lebe nur, dich zu lieben. Mein Leben gehört dir.«

Die Erkenntnis war wie ein Schock. Plötzlich hockte er mit aufgerissenen Augen auf seinen Hacken.

Er wußte, was er zu tun hatte.

Zedd hatte es ihm gesagt, er hatte ihm klargemacht, die meisten der Dinge, die die Menschen glaubten, seien falsch. Das erste Gesetz der Magie. Er war lange genug der Narr gewesen, hatte lange genug auf andere gehört. Er war nicht länger bereit, der Wahrheit aus dem Weg zu gehen. Sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln.

Er stand auf. Er war von ganzem Herzen überzeugt. Aufgeregt machte er kehrt und stakste durch die Menschen, die kniend ihr Glaubensbekenntnis herunterleierten.

Die beiden Mord-Sith erhoben sich. Sie stellten sich ihm in den Weg, mit entschlossener Miene, Schulter an Schulter. Er blieb abrupt stehen. Die mit den blonden Haaren und den blauen Augen hob ihren Strafer in einer bedrohlichen Geste und fuchtelte vor ihm damit herum.

»Es ist niemandem gestattet, eine Andacht zu versäumen. Niemandem.«

Richard erwiderte den drohenden Blick. »Ich bin der Sucher.« Er hob die Faust mit Dennas Strafer. »Dennas Gemahl. Ich bin es, der sie getötet hat. Mit jener Magie, mit der sie mich hielt. Ich habe zum letzten Mal zu Vater Rahl gebetet. Deine nächste Bewegung wird darüber entscheiden, ob du lebst oder stirbst. Entscheide dich.«

Die kalten, blauen Augen nahmen einen erstaunten Ausdruck an. Die beiden Mord-Sith sahen sich an. Sie traten zur Seite. Richard marschierte davon, in den Garten des Lebens, zu Darken Rahl.

Zedd suchte aufmerksam die Felsränder ab, als sie die Straße an der Flanke der Hochebene hinaufgingen. Je höher sie kamen, desto heller erstrahlte die Umgebung. Die drei verließen den Nebel und traten hinaus in die Vormittagssonne. Vor ihnen wurde eine Zugbrücke heruntergelassen, und die Kette ratterte über die Zahnräder, als sich der Brückenbogen über einen Einschnitt senkte. Chase lockerte das Kurzschwert in der Scheide auf seinem Rücken, als die heruntergelassene Brücke den Blick auf ein paar Dutzend Soldaten freigab, die auf der anderen Seite warteten. Keiner der Soldaten griff zur Waffe, auch versperrten sie nicht den Weg, sondern blieben bequem an den Seiten stehen und schienen sich für die drei nicht zu interessieren.

Kahlan schenkte ihnen im Vorübergehen keinerlei Beachtung. Chase dagegen schon. Er sah aus wie ein Mann, der jeden Augenblick zu einem Gemetzel bereit war. Die Wachen nickten ihm zu und lächelten ihn höflich an.

Der Grenzposten beugte sich ein wenig zu Zedd hinüber, behielt die gut bewaffneten Soldaten aber im Blick. »Das gefällt mir nicht. Es ist zu einfach.«

Zedd grinste. »Wenn Darken Rahl uns umbringen will, muß er uns erst dorthin gehen lassen, wo wir getötet werden sollen.«

Chase sah den Zauberer stirnrunzelnd an. »Sehr ermutigend.«

Zedd legte Chase die Hand auf die Schulter. »Es wäre kein Ehrverlust, mein Freund. Kehr um, bevor sich die Pforten für immer hinter uns schließen.«

Chase warf sich in die Brust. »Nicht, bis alles erledigt ist.«

Zedd nickte und beschleunigte seine Schritte, um dicht hinter Kahlan zu bleiben. Als sie den oberen Rand der Hochebene erreicht hatten, standen sie vor einer gewaltigen Mauer, die sich zu beiden Seiten erstreckte. Auf den Befestigungsanlagen wimmelte es von Soldaten. Kahlan ging ohne Zögern zum Tor. Zwei Soldaten mühten sich mit dem Gewicht des gewaltigen Tores ab und drückten auf, als sie näher kam. Sie schritt ohne Zögern hindurch.

Chase funkelte den Hauptmann der Wachen an. »Laßt du eigentlich jeden rein?«

Der Hauptmann starrte ihn überrascht an. »Sie wird erwartet. Von Meister Rahl.«

Chase folgte ihr mit einem Grunzen. »Damit wäre der Überraschungseffekt wohl dahin.«

»Ein Zauberer mit Rahls Fähigkeiten läßt sich nicht überraschen.«

Chase packte Zedd am Arm. »Zauberer! Rahl ist ein Zauberer?«

Zedd sah ihn stirnrunzelnd an. »Natürlich. Wie soll er sonst deiner Ansicht nach die Zauberkräfte beherrschen? Er stammt aus einem alten Zauberergeschlecht.«

Chase wirkte genervt. »Ich dachte, Zauberer wären dazu da, den Menschen zu helfen, und nicht, sie zu beherrschen.«

Zedd stieß einen langen Atem aus. »Zauberer galten als Herrscher, bis dann einige von uns beschlossen, sich nicht mehr in die Angelegenheiten der Menschen einzumischen. Es kam zur Spaltung, dem Krieg der Zauberer, wie man es nannte. Ein paar auf der anderen Seite haben überlebt, gingen weiter den alten Methoden nach, nahmen sich Macht für sich selbst, beherrschten die Menschen weiterhin. Darken Rahl ist ein direkter Nachfahre dieses Geschlechtes — dem Hause Rahl. Er wurde mit der Gabe geboren; er ist ein Mensch, der keinerlei Gewissen kennt.«

Chase wurde still, als sie eine breite Treppe hinaufstiegen, zwischen den Schatten gekehlter Säulen hindurchschritten und durch einen Eingang traten, der mit aus Stein gehauenen Weinblättern umrankt war. Sie betraten die Halle. Chase sah sich nach allen Seiten um, erstaunt über die Größe, die Schönheit und die schier überwältigenden Ausmaße des polierten Steins, der sie umgab. Kahlan schritt mitten durch die weitläufige Halle, ohne einen Blick dafür zu haben. Ihr Kleid wehte nach hinten, als sei es flüssig, das leise Geräusch ihrer Stiefel verhallte flüsternd in der höhlenähnlichen Weite.

Menschen in weißen Gewändern schlenderten durch die Gänge.

Einige saßen auf Marmorbänken, andere knieten an Plätzen mit einem Stein und einer Glocke und beteten. Sie alle trugen das selige Lächeln göttlicher Verblendung; die friedliche Maske jener, denen Gewißheit und Glaube falsche Sicherheit verleihen. Die Wahrheit war für sie nur ein vorüberziehender Dunst, der im Licht ihres selbstgenügsamen Denkens verbrannte. Gefolgsleute, Anhänger Darken Rahls, einer wie der andere. Die meisten schenkten den dreien keine Beachtung, nickten ihnen bestenfalls mit leerem Blick zu.

Zedd entdeckte zwei Mord-Sith, die in ihrer roten Lederkleidung stolz durch einen Nebengang auf sie zumarschiert kamen. Als sie Kahlan mit den Doppelblitzen des Con Dar auf ihrem Gesicht entdeckten, erbleichten die beiden, machten kehrt und waren rasch verschwunden.

Ihr Weg führte sie zu einer Kreuzung, wo sich viele Gänge sternförmig trafen. Bemalte Fenster in der Mittelachse über ihren Köpfen ließen das Sonnenlicht herein, das in bunten Balken in die höhlenähnliche Zentralkuppel strömte.

Kahlan blieb stehen und sah den Zauberer aus ihren grünen Augen an. »Wohin?«

Zedd zeigte in einen Gang auf der rechten Seite. Kahlan wollte ohne Zögern weiter.

»Woher weißt du, wohin wir müssen?« wollte Chase wissen.

»Zwei Gründe. Erstens ist der Palast des Volkes nach einem Muster gebaut, daß ich wiedererkannt habe, dem Muster eines magischen Zaubers. Der gesamte Palast ist ein gewaltiger, auf dem Boden gezeichneter Zauber. Es handelt sich um einen Zauber der Macht, der Darken Rahl beschützen, ihm hier Sicherheit geben und seine Macht vergrößern soll. Der Zauber wurde gezeichnet, um ihn vor anderen Zauberern zu schützen. Ich habe hier nur wenig Macht. Ich bin praktisch hilflos. Das Zentrum ist ein Ort mit dem Namen Garten des Lebens. Dort wird Darken Rahl sich aufhalten.«

Chase machte ein besorgtes Gesicht. »Und der zweite?«

Zedd zögerte. »Die Kästchen. Man hat ihre Schutzhülle entfernt. Ich kann sie spüren. Auch sie befinden sich im Garten des Lebens.« Irgend etwas stimmte nicht. Er wußte, wie es war, ein Kästchen zu spüren, zwei müßten zweimal so stark sein, aber es war anders. Es war dreimal so stark.

Der Zauberer leitete die Mutter Konfessor durch die richtigen hallenartigen Gänge, die richtigen Treppen hinauf. Jeder Gang, jedes neue Stockwerk waren mit Stein verkleidet, einzig in Farbe und Art unterschieden sie sich. An manchen Stellen ragten die Säulen mehrere Stockwerke in die Höhe. Balkone dazwischen blickten in die Halle hinab. Die Treppen waren sämtlich aus Marmor, jede in einer anderen Farbe. Sie kamen an riesigen Statuen vorbei, die wie steinerne Wachen an den Wänden zu beiden Seiten standen. Die drei liefen mehrere Stunden lang und arbeiteten sich immer weiter ins Zentrum des Palastes des Volkes vor. Es war unmöglich, einen direkten Weg zu wählen, es gab ihn nicht.