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»Bitte, Richard«, sagte Shota mit Tränen in den Augen. »Von mir aus hasse mich für das, was ich bin, aber hasse mich nicht dafür, daß ich dir die Wahrheit gesagt habe.«

»Die Wahrheit, so wie du sie siehst, Shota! Aber vielleicht nicht die Wahrheit, so wie sie werden wird. Ich werde Kahlan nicht auf dein Wort hin töten.«

Shota nickte traurig und sah ihn aus feuchten Augen an.

»Königin Milena besitzt das letzte Kästchen der Ordnung.« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Aber sei gewarnt: sie wird es nicht mehr lange haben. Vorausgesetzt, du bist bereit, die Wahrheit zu glauben, wie ich sie sehe.« Sie blickte auf ihren Begleiter hinab. »Samuel«, sagte sie sanft, »führe sie aus Agaden hinaus. Nimm ihnen nichts weg, was ihnen gehört. Ich wäre sehr verstimmt, wenn du das tätest. Damit meine ich auch das Schwert der Wahrheit.«

Richard sah, wie ihr eine Träne die Wange hinunterlief, als sie sich umdrehte und die Straße hinaufging. Mitten im Schritt hielt sie inne und blieb einen Augenblick lang stehen. Ihr wunderschönes kastanienbraunes Haar fiel ihr auf die Schultern und über den Rücken ihres schleierartigen Kleides. Dann hob sie den Kopf, ohne sich jedoch umzuschauen.

»Wenn dies vorüber ist«, sagte sie mit vor Gefühl brechender Stimme, »und du solltest tatsächlich gewinnen … komm nie wieder hierher. Wenn du es doch tust … werde ich dich töten.«

Dann ging sie weiter, zu ihrem Palast.

»Shota«, flüsterte er heiser, »es tut mir leid.«

Sie blieb weder stehen, noch drehte sie sich um, sondern ging einfach weiter.

3

Als sie um die Ecke bog, wäre sie fast in seine Beine gelaufen, so leise ging er. Sie sah an seinem langen Silbergewand hinauf bis zu seinem Gesicht, weit oben in der Luft.

»Giller! Hast du mich erschreckt!«

Seine Hände steckten jeweils im anderen Ärmel. »Tut mir leid, Rachel. Ich wollte dir keine Angst einjagen.« Er blickte rechts und links den Flur hinunter, dann hockte er sich hin. »Was tust du gerade?«

»Ich muß etwas erledigen«, verriet sie ihm mit einem tiefen Seufzer. »Prinzessin Violet hat gesagt, ich soll die Köche für sie ausschimpfen, dann soll ich zu den Waschfrauen gehen und ihnen sagen, daß sie einen Soßenfleck auf einem ihrer Kleider entdeckt hat und daß ihr das nie passieren würde, also müssen sie es getan haben, und sollte sie jemals herausfinden, daß sie das noch einmal tun, läßt sie ihnen die Köpfe abschlagen. Ich will ihnen das nicht sagen, weil sie nett sind.« Sie berührte die hübsche Silberborte am Ärmel von Gillers Umhang. »Aber sie hat gesagt, wenn ich es nicht tue, kriege ich mächtigen Ärger.«

Giller nickte. »Nun, tu einfach, was sie gesagt hat. Ich bin sicher, die Waschfrauen wissen, daß du dir das nicht ausgedacht hast.«

Rachel blickte in seine großen, dunklen Augen. »Jeder weiß, daß sie sich ständig ihre Kleider selber mit Soße bekleckert.«

Giller lachte stumm. »Du hast recht. Ich habe es selbst schon gesehen. Aber es bringt kein Glück, schlafende Hunde zu wecken.« Sie verstand nicht, was er meinte, und verzog das Gesicht. »Das bedeutet, du bekommst Ärger, wenn du Prinzessin Violet darauf aufmerksam machst, also ist es am besten, du hältst den Mund.«

Rachel nickte. Sie wußte, das stimmte. Giller blickte wieder den Flur hinauf und hinunter, aber es war niemand sonst in der Nähe.

Er beugte sich vor und flüsterte: »Tut mir leid, daß ich nicht mit dir sprechen und mich erkundigen konnte. Hast du deine Kummerpuppe gefunden?«

Sie nickte und mußte lächeln. »Vielen Dank, Giller. Sie ist wunderbar. Ich bin noch zweimal rausgeschmissen worden, seit du sie mir gegeben hast. Sie hat mir gesagt, ich darf nicht mit dir sprechen, es sei denn, du sagst, es wäre sicher. Also habe ich einfach gewartet. Wir haben geredet und geredet, und ich fühle mich schon viel besser.«

»Da bin ich aber froh, Kind.« Er strahlte.

»Ich habe sie Sara genannt. Eine Puppe braucht einen Namen, weißt du.«

»Tatsächlich?« Er zog eine Braue hoch. »Das wußte ich gar nicht. Nun, Sara ist ein hübscher Name für sie.«

Rachel strahlte. Sie war froh, daß Giller der Name ihrer Puppe gefiel. Sie legte ihm einen Arm um den Hals und sagte in sein Ohr: »Sara hat mir auch ihren Kummer erzählt«, flüsterte sie. »Ich hab’ ihr versprochen, dir zu helfen. Ich wußte gar nicht, daß du auch fortlaufen willst. Wann können wir fort, Giller? Prinzessin Violet macht mir solche angst.«

Sie umarmte ihn, und er strich ihr mit seiner großen Hand über den Rükken. »Bald, Kind. Aber zuerst müssen wir einiges vorbereiten, damit wir nicht erwischt werden. Wir wollen doch nicht, daß uns jemand folgt, findet und zurückbringt, oder?«

Rachel schüttelte, an seine Schulter gelehnt, den Kopf. Dann hörte sie Schritte. Giller hatte sie schon gehört. Er erhob sich und sah sich um.

»Rachel, es wäre sehr schlecht, wenn man uns miteinander sprechen sieht. Jemand könnte … das mit der Puppe herausfinden. Mit Sara.«

»Ich gehe jetzt besser«, sagte sie hastig.

»Keine Zeit. Drück dich an die Wand und zeige mir, wie tapfer und still du sein kannst.«

Sie tat, was er gesagt hatte, und er stellte sich vor sie und versteckte sie hinter seinem Umhang. Rachel hörte das Klirren von Rüstungen. Nur irgendwelche Wachen, dachte sie. Dann hörte sie das leise Kläffen. Der Hund der Königin! Es mußte die Königin mit ihrer Garde sein! Wenn die Königin herausfand, daß sie sich hinter dem Umhang des Zauberers versteckte, säßen sie schön in der Klemme. Vielleicht fand sie auch das mit der Puppe heraus. Sie biß die Zähne zusammen und drückte sich noch tiefer in die dunklen Falten. Der Umhang bewegte sich leicht, als Giller sich verbeugte.

»Majestät«, meinte Giller, als er sich wieder aufrichtete.

»Giller!« fauchte sie mit ihrer fiesen Stimme. »Was schleichst du hier oben herum?«

»Herumschleichen, Majestät? Meines Wissens stehe ich in Euren Diensten, um dafür zu sorgen, daß niemand hier herumschleicht. Ich habe lediglich das magische Siegel an der Juwelenkammer überprüft, um mich zu vergewissern, daß sich niemand daran zu schaffen gemacht hat.« Rachel hörte, wie der kleine Köter den Saum von Gillers Umhang beschnüffelte. »Wenn es Euer Wunsch ist, Majestät, überlasse ich die Dinge dem Schicksal, und stelle keine Nachforschungen an, wenn mich etwas besorgt.« Der kleine Köter kam um den Umhang herumgelaufen, sie konnte sein Schnaufen hören. Wenn er doch bloß verschwände! »Wir alle werden abends zu Bett gehen und in einem schlichten Gebet die guten Seelen darum bitten, daß sich mit Vater Rahls Eintreffen alles zum Besten wendet. Und sollte etwas nicht in Ordnung sein, nun, dann können wir einfach sagen, wir wollten nicht, daß hier irgend jemand herumschleicht, also haben wir nicht nachgesehen. Vielleicht hat er Verständnis dafür.«

Der kleine Köter fing an zu knurren.

»Reg dich nicht unnötig auf, Giller, ich habe doch nur gefragt.« Rachel sah, wie sich die kleine schwarze Schnauze unter den Saum schob. »Mein Kleiner, was hast du da gefunden? Was ist denn, mein Kleiner?«

Der Köter knurrte und bellte einmal kurz. Giller trat ein Stück zurück und drückte Rachel an die Wand. Das Mädchen versuchte, an Sara zu denken, und wünschte sich, sie wäre in diesem Augenblick bei ihr.

»Was gibt’s, mein Süßer? Was riechst du da?«

»Ich fürchte, Majestät, ich habe mich auch in den Ställen herumgetrieben. Sicherlich riecht Euer Hund das.« Gillers Hand fuhr dicht neben ihrem Kopf unter den Umhang.

»In den Ställen?« Die Fiesheit war noch nicht ganz aus ihrer Stimme gewichen. »Was in aller Welt könnte dich in die Ställe geführt haben?« Rachel hörte, wie ihre Stimme lauter wurde. Die Königin hatte sich vorgebeugt, um ihren Hund aufzuheben. »Was machst du da, Schatz? Was soll das?«

Rachel nuckelte am Saum ihres Kleides, um sich nicht durch ihr Zittern zu verraten. Giller nahm die Hand aus dem Umhang. Rachel sah, daß er irgend etwas zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Der Köter schob seinen Kopf unter den Umhang und begann zu kläffen. Giller öffnete die Finger, und glitzernder Staub rieselte auf den Kopf des Hundes. Der Hund fing an zu niesen. Dann sah Rachel, wie die Hand der Königin ihn fortzog.